Peter Urban

Marattha König Zweier Welten Gesamtausgabe


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der Welt nicht abgeneigt waren. Diese Männer waren die einzigen in ganz Indien, die anstelle der üblichen Tuchhosen der britischen Infanterie den Kilt trugen. Wesley hatte Oberst Connor McLeod erst vor wenigen Tagen bei einer Gesellschaft im Hause des Residenten der Ostindischen Kompanie, William Hickey, persönlich kennengelernt, doch das Kastenwesen der britischen Armee war genauso tief verwurzelt wie das der Inder: Die Offiziere betrachteten sich allesamt als Angehörige einer großen Familie. Ein Mann, der den roten Rock und die Schulterstücke eines Offiziers trug, war ein Bruder, egal ob und wie lange man ihn schon kannte – ein Zusammengehörigkeitsgefühl, das durch die beschränkte Anzahl von Briten auf dem indischen Subkontinent noch verstärkt wurde.

      Wesley umarmte seinen Kameraden vom 74. Hochlandregiment herzlich und gratulierte ihm zur Geburt seines Sohnes. Dann verbeugte er sich tief vor Lady McLeod. Schließlich stellte er den Gastgebern seine Offiziere vor. Nachdem John Sherbrooke der Dame des Hauses seine Reverenz erwiesen hatte, bewunderten alle gebührend das Kind, das in den Armen seiner schottischen Amme lag und trotz des Lärm im ganzen Haus fest schlief.

      McLeod war ein Bär von einem Mann. Er überragte Arthur um einen ganzen Kopf. Seine Schultern waren breit wie ein Kleiderschrank und seine Stimme so laut und so tief, dass selbst ein freundliches Wort des Hochländers wie ein Befehl klang. »Lizzy, da jetzt auch das 33. Regiment den kleinen Prinzen gesehen hat, können Sie ihn ins Bett bringen«, brummte er die Kinderfrau gutmütig an. Dann packte seine linke Pranke den zarten Arm seiner hübschen jungen Frau, während die rechte den Kommandeur des 33. Regiments zu einem langen Tisch in einem völlig überfüllten Speisezimmer zerrte. Arthur erkannte Generalmajor John St. Leger, William Hickey und Sir John Shore. Die meisten der anderen Gäste waren ihm unbekannt. Connor McLeod stellte die Gentlemen einander vor. Dann endlich konnte das Dinner beginnen.

      Es war eine laute, fröhliche, ja übermütige Ansammlung von Menschen, die sich an diesem Abend in Chinsurah eingefunden hatte, und der besondere Anlass würde gebührend gefeiert. Ein Toast nach dem anderen wurde auf den Erben der McLeods getrunken; der Champagner floss in Strömen. Jeder wollte dem kleinen Prinzen eine glückliche Zukunft wünschen. Die Bediensteten kamen kaum damit nach, immer wieder die großen Kristallgläser zu füllen, die sich unter Hochrufen, Hurras und lautem Lachen leerten. Obwohl Arthur der Unart britischer Offiziersmessen, bis zur Besinnungslosigkeit zu trinken, abgeschworen hatte, hielt er bis zum 22. Toast mit seinen Offizieren des 33. Regiments mit. Erst als Connor McLeod laut nach dem Madeira rief und damit den umtriebigen Teil des

      Abends mit Musik und Tanz einleitete, beschloss der Ire, es gut sein zu lassen.

      »Sie werden Schottland doch nicht beleidigen, Wesley«, knurrte ein riesiger Bursche mit feuerrotem Gesicht und ebensolchem Haar ihm über den Tisch hinweg zu.

      »Mit wem habe ich die Ehre?« lenkte Arthur von dieser unerwünschten Bemerkung ab, während er sein halb volles Champagnerglas nahm und sich erhob, um aus dem Speisesaal in einen angrenzenden Ballsaal umzuziehen.

      »Baird!« knurrte der Hüne unfreundlich und mit alkoholschwerer Zunge. »Sir John Baird!«

      Arthur verbeugte sich leicht. »Ich freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen, Sir John. Ich habe viel von Ihnen gehört.«

      Er freute sich nicht im Geringsten, die Aufmerksamkeit des Riesen mit dem roten Gesicht und den roten Haaren erregt zu haben. Sir John Baird war Generalmajor und zwölf Jahre älter als Arthur. Er hatte einen Ruf, der selbst in die abgelegensten Baracken von Dublin gedrungen war, und besaß den Charakter eines hungrigen, bösartigen Tigers. Baird war schon seit ewigen Zeiten in Indien, obwohl er die Inder und das Land hasste. Jeden Versuch einer Versetzung nach Europa durch die Horse Guards wusste Sir John – dank seiner einflussreichen familiären Verbindungen – geschickt zu verhindern. Seine gesamte Existenz schien sich nur um ein einziges Wort zu drehen: »Rache!«

      Im Jahre 1780 war Baird auf dem blutigen Schlachtfeld von Perambaukum von Hyder Ali, dem Herrscher von Mysore, gefangengenommen worden und hatte dreieinhalb Jahre in Ketten in einem finsteren, verseuchten Verlies unter dem Sultanspalast von Seringapatam geschmachtet, bis ihm die Flucht aus dieser Hölle gelang. Seit diesen schrecklichen Tagen seiner endlosen Gefangenschaft in den Händen eines grausamen, skrupellosen Tyrannen lebte er nur noch dafür, einen Schlag gegen seinen Todfeind zu führen. Baird gierte danach, in den Krieg zu ziehen. Es ging dabei nicht um Englands Ruhm oder militärische Notwendigkeit, sondern nur darum, für jeden einzelnen Tag seines Leidens und seiner Verzweiflung in einem finsteren Verlies mindestens hundert Inder zur Hölle zu schicken. Wenn Baird nicht über seinen Racheplänen brütete, war er beständig auf der Suche nach Streit. Dabei war es ihm gleich, mit wem er stritt und warum. Sich mit den eigenen Landsleuten in den Haaren zu liegen, lenkte wenigstens zeitweilig seinen unruhigen Geist und seine zerstörte Seele von diesem alles verschlingenden Gedanken der Rache an Hyder Ali und Mysore ab.

      Wie jeder britische Offizier kannte auch Arthur die Geschichte über Bairds jahrelange Kerkerhaft. Doch soviel Mitgefühl er auf der menschlichen Ebene auch für diesen Mann empfand – er hatte nicht die geringste Lust, sich einen angenehmen Abend von einem notorischen Streithahn verderben zu lassen. Noch bevor Baird den Tisch umrunden konnte, um sich seinem potentiellen Opfer zu nähern, war Arthur gemeinsam mit John Sherbrooke in einer aufgeregten Menschenmasse verschwunden.

      »Uff!« entfuhr es ihm erleichtert. »Diesem Problem wären wir vorerst aus dem Weg gegangen.«

      »Baird! Ihm steht die pure Mordlust ins Gesicht geschrieben. Man sagt, dass er mehr britische Offiziere totgeschlagen hat als der Feind, weil er einfach nicht an diesen Hydra herankommt, oder wie immer er heißen mag.« John Sherbrooke schlenderte neben seinem Kommandeur durch die Menge der Gäste und blickte dabei hin und wieder besorgt über die Schulter.

      »Hyder Ali! Aber der ist vor ein paar Jahren gestorben, also kann Sir John ihm nicht mehr ans Leder. Ich hab’s während der Überfahrt gelesen. Sein Nachfolger heißt Tippu Sultan und ist der älteste Sohn von Bairds verblichenem Erzfeind. Aber ich glaube, unser Kamerad aus dem Hochland sieht das nicht so eng. Wenn er kann, reißt der auch dem Sohn für die Schandtaten des Vaters den Kopf ab«, klärte Wesley Sherbrooke auf.

      »Und was machen wir jetzt?« In Sherbrookes Stimme schwang Unruhe mit.

      »Jetzt werden wir uns im Ballsaal zwei hübsche Mädels suchen, die nicht von einem uniformierten Zerberus bewacht werden, und ein paar Runden mit den Schönen tanzen. Gestern wolltest du dich doch noch unbedingt amüsieren ... Bediene dich, mein Freund! Der Abend ist wundervoll, die Gesellschaft angenehm, und uns stehen arbeitsreiche und anstrengende Wochen bevor.«

      Noch während Arthur mit seinem Regimentskameraden sprach, glitten seine Augen bereits von links nach rechts über die Menschenmenge. Kaum hatte er seinen Satz beendet, drückte er Sherbrooke auch schon vergnügt sein Champagnerglas in die Hand und ließ ihn irgendwo im Niemandsland im Stich. Dann bahnte er sich höflich, aber zielstrebig seinen Weg durch die Menge. Zwischen einer behäbigen älteren Dame in einer zartrosa Robe, die ihre rundlichen Formen durch viele, weit drapierte Stoffbahnen zusätzlich unterstrich, und einem gutmütig aussehenden, stark ergrauten Herren mit Backenbart und ordensgeschmückter Brust, stand in einem einfachen, aber sehr geschmackvollen nachtblauen Kleid eine junge Frau und blickte mit sehnsüchtigen Augen auf die Tanzfläche. Offenbar hatte keiner der britischen Soldaten es für opportun befunden, das Mädchen zum Tanzen aufzufordern.

      Als der Kommandeur des 33. Regiments sich näherte, schlug der Blick der Kleinen von Sehnsucht in Hoffnung um. Arthur fand, dass sie einfach reizend aussah, wie sie ihn durch ihre kleine runde Nickelbrille fixierte. Er vermutete, dass genau diese Brille der Grund dafür war, dass keiner seiner Kameraden sich bis jetzt um einen Tanz bemüht hatte. Es galt als unschicklich für eine Frau, in der Öffentlichkeit mit einer Sehhilfe aufzutauchen. Arthur teilte diese Meinung nicht.

      Auch auf dem Gesicht der Dame in Rosa zeigte sich Freude, als der Mann in roter Uniform sich galant vor dem Mädchen verbeugte und sich höflich vorstellte. Der hoffnungsvolle Blick der Kleinen war inzwischen einem offenen, unbefangenen Lächeln gewichen, und Arthur fand die winzige runde Brille auf der Nasenspitze sogar reizvoll. Sie stand dem Mädchen besser als der schönste Schmuck.

      Inzwischen hatte der Herr mit Backenbart seine Familie vorgestellt,