Peter Urban

Marattha König Zweier Welten Gesamtausgabe


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strich Lutuf sich über den roten Bart. »Wesley-Sahib, ich freue mich, dass meine kleine Geschichte dir so gut gefallen hat. Was die >heresi< angeht, kann ich dir natürlich einiges erzählen, doch was die Eingebungen von Cornwallis-Sahib und den >inglis<-Soldaten anbetrifft, ist es schwierig. Ich bin ein Pferdehändler und kein Berufssoldat, mein Freund.«

      »Versuch dich zu erinnern, Lutuf! Was in den Büchern geschrieben steht, habe ich gelesen ... aber du hast alles selbst erlebt. Bücher ersetzen nicht den Bericht des Augenzeugen.«

      Der Ire war aufgeregt wie ein Kind. Das erste Kapitel über Indien, das er am ersten Tag seiner Reise gelesen hatte, handelte von Mysore und Hyder Ali. Er hatte erfahren, dass die Maisuri und ihr Sultan Englands gefährlichster und aktivster Feind in Indien gewesen waren. Sein

      Sohn, Tippu, schien Hyder in nichts nachzustehen. England hatte in Indien nicht nur Siege errungen, sondern auch grauenhafte und demütigende Niederlagen erlitten. Am 10. September 1780 war sogar eine ganze britische Armee von mehr als 3700 Mann vollständig aufgerieben worden: Hyder hatte das Gemetzel inszeniert und Tippu bei Perambakam die Pläne des Sultans in die Tat umgesetzt. Eine zweite britische Streitmacht, die sich nur zwei Meilen von Baillie und seinen bedrängten Soldaten befunden hatte, war durch den Lärm des Kampfes so verunsichert worden, dass General Hector Munro sich zurückzog, statt Baillie zu Hilfe zu kommen.

      »Cornwallis zog von Vellore aus durch den Baramahal und die östlichen >gauths< auf die südindische Hochebene. Zuerst hat er Bangalore genommen. Mit Bangalore als Nachschubbasis schickte er sich an, gegen Hyder Ali und Mysore zu marschieren«, konstatierte Arthur, um Lutufs Gedächtnis ein wenig auf die Sprünge zu helfen.

      »Sicher, Wesley-Sahib! Auf der Karte, die Moll-Sahib vor achtzig Jahren gezeichnet hat, sieht das auch sehr einfach aus. Aber in der Realität bedeutet dies, zuerst durch ein langes, enges Tal zu marschieren, zu dessen linker und rechter Seite sich nichts als Steinwüste befindet. Dann geht es über die Pässe. Sie sind unbefestigt. Nichts als Steine und Sand. Die Geschütze bereiten furchtbare Probleme; ihre Räder, ihre Achsen brechen, die Zugtiere sind zu Tode erschöpft. Sie müssen gut gefüttert werden, um die Strapazen zu überstehen. Für dieses Futter brauchen die Sahibs aber Trosswagen, und die haben Achsen, Räder und Zugtiere ... Der Weg, den Cornwallis gewählt hat, war gut und vernünftig – für eine Handelskarawane mit sechzig oder siebzig Dromedaren und ein paar Elefanten. Doch für eine große Streitmacht mit einem riesigen, unübersichtlichen und hungrigen Tross war es einfach zu weit. Der Gouverneur-Sahib ist nicht durch den Monsun gezogen. Der Monsun hat ihn nur eingeholt, mein Freund.«

      Arthur nickte nachdenklich. Charlotte beobachtete ihn und Lutuf aufmerksam. Huneefa schien in ihrem weichen Kissenberg friedlich eingeschlafen zu sein.

      »Du musst selbst in den Karnatik hinunterreiten und mit eigenen Augen sehen, welche Hindernisse die Natur einer Armee in den Weg legt. Für uns und unsere Handelskarawanen ist alles viel einfacher, Wesley-Sahib. Niemand zwingt uns, schnell zu reisen. Wir haben keine Feinde vor oder hinter uns. Gastliche Serais gibt es überall ...«

      »Ich habe verstanden, Lutuf. Eine gute Karte allein reicht nicht, um einen Kriegszug zu planen. Erzähl mir von den Franzosen.«

      Der Kabuli schenkte sich Kaffee nach und überlegte einige Minuten, bevor er antwortete: »Es sind sonderbare Männer, diese >heresi<, die Hyder Ali und heute Tippu dienen. Ich bin nicht nur unter den Fahnen des Krieges nach Mysore gezogen. Letztes Jahr waren mein Ältester, Barrak ben Lutuf ibn Ullah, und unser >jawan< Hadji Bedi ben Haleff ibn Ullah in Seringapatam. Tippu hatte eine große Anzahl Pferde von uns gekauft, und ich habe meinen Sohn geschickt, um das Geld für die Tiere zu holen und dem Sultan unsere Aufwartung zu machen. Weißt du, ich bin ein Handelsherr. Ich muss mich mit allen Kunden gut stellen.« Lutuf zwinkerte dem Iren verschmitzt zu. »Aber jeder hier in Bharat weiß um die vertrauliche Beziehung zwischen mir und den >inglis<, deswegen schicke ich immer Barrak und Bedi ben Haleff los, wenn wir mit unabhängigen Gebieten arbeiten, die George-Sultan und dem >Raj< nicht wohlgesonnen sind.«

      »Weiter, mein Freund! Mach es doch nicht so spannend!« trieb Arthur den Paschtunen an.

      Doch der alte Mann besaß die sonderbare orientalische Ruhe, und nichts konnte ihn erschüttern. »Acha, Wesley-Sahib! Acha! Gedulde dich ... Die Uhren in Bharat gehen viel langsamer als dieses schöne Stück von Piaget, das du in deiner Tasche versteckst.«

      Arthur lachte schallend. Die Spannung, die von ihm Besitz ergriffen hatte, löste sich mit einem Schlag. »Du hast die Augen eines Adlers, mein Freund.«

      »Ein Mann, der so pünktlich ist wie du, muss eine Uhr der >heresi< besitzen. Man sagt, es seien die besten Uhren der Welt«, amüsierte sich der Kabuli. Dann erhob er sich aus seinen Kissen. »Du willst den Rest der Geschichte hören? Warte, es fehlt noch ein Mann in dieser Runde. Ich wollte ihn dir schon lange vorstellen, doch Allah hatte erst heute die Güte, mir den Stolz der Familie Ullah zurückzuschicken. Er hat einen weiten Weg hinter sich. Seine Karawane aus Dagestan ist erst vor wenigen Stunden im Serai eingetroffen, und meine gute Huneefa bestand darauf, dass ihr Augapfel sich zuerst ausruht ...«

      Er verließ den schönen, teppichgeschmückten Salon und verschwand in den unergründlichen Tiefen seiner Gemächer. Arthur sah Charlotte neugierig an. Doch Sir Edwin Halls Tochter schwieg und knabberte genussvoll orientalische Süßigkeiten.

      Eine Viertelstunde später tauchte Lutuf gemeinsam mit einem jungen Mann wieder auf. Er war etwa im selben Alter wie Wesley, hochgewachsen und sehr schlank. Seine Kleidung war prächtig. Ein edelsteingeschmückter Dolch steckte unter einer feuerroten, fein bestickten Schärpe. Im Gegensatz zu seinem konservativen Vater trug der junge Barrak europäische Reitstiefel und eine teure Reithose aus Leder unter seinen weiten Gewändern. Seine grünen Augen strahlten, als er Charlotte Hall erblickte. Langes, gewelltes schwarzes Haar fiel ihm locker über die Schultern. In der Intimität des Hauses seines Vaters trug der Patschtune keinen Turban. Wesley bemerkte, dass auch Charlottes Augen aufleuchteten, als Barrak den Raum betrat. Zuerst verbeugte der Sohn des Pferdehändlers sich vor seiner Mutter. Sie war aufgewacht, als sie seine Schritte vernommen hatte, und schnatterte besorgt unter ihrem Schleier. Doch Barrak beruhigt sie in der Sprache seiner Väter, dann küsste er ihr die Hände und die Stirn. Vor Wesley verbeugte er sich kurz und respektvoll, senkte aber nicht das Haupt. Der Ire erwiderte den Gruß. Schließlich kam die Reihe an Charlotte. Lutufs Mund verzog sich zu einem breiten, wohlgefälligen Grinsen, als sein Sohn zu der jungen Frau hintrat.

      »Sallam aleikkum! Der Friede sei mit dir und mit den Deinen, Charlotte!« begrüßte er sie in der persischen Hochsprache, während seine Rechte Stirn und Brust berührte.

      »Em aleikkum esallam, Barrak ben Lutuf ibn Ullah! Und der Friede sei mit dir! Ich hoffe, dass Allah seinem getreuen Diener auf seiner langen Reise nach Dagestan all das gegeben hat, was du dir gewünscht hast. Ich freue mich, dich wohlbehalten wiederzusehen. Der Weg war weit und gefährlich, doch das Haus der Ullah steht unter einem guten Stern! Ich habe jeden Tag für deine glückliche Heimkehr gebetet!« antwortete die junge Frau in einem eleganten Farsi.

      Der junge Paschtune lächelte sie glücklich an. Dann holte er aus seinem weiten Gewand ein kleines Päckchen hervor und hielt es Charlotte hin. »Allah war gnädig! Wir haben herrliche Tiere gekauft und zu einem sehr guten Preis ... Pferde mit einer goldenen Robe, des Propheten würdig und ausdauernd wie Windhunde. Deine Gebete sind von Allah erhört worden ...«

      Sir Edwins Tochter kreuzte die Hände vor der Brust und beugte ihr Haupt leicht vor Barrak, dann nahm sie das Geschenk aus seinen Händen entgegen. Vorsichtig öffnete sie das Seidentuch. Ein sonderbarer, fast durchsichtiger Stein hob sich leuchtend vom dunklen Stoff ab. Charlotte hob den Blick. Fast strafend schüttelte sie den Kopf. Doch Lutuf warf ihr über die Schulter seines Sohnes nur ein munteres »Shabash, shabash!« zu und lachte.

      Barrak hatte Charlotte einen fast eigroßen Rohdiamanten in die Hände gelegt. Leise, für Wesley unverständlich, dankte sie Lutufs Ältestem in der persischen Hochsprache. Noch einmal verbeugte der junge Mann sich vor ihr, berührte Stirn und Brust mit der Rechten und ließ sich dann – unter dem wohlwollenden Blick seines Vaters – neben der jungen Frau nieder. Interessiert hatte