Peter Urban

Marattha König Zweier Welten Gesamtausgabe


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seinem Kaftan ab und rülpste genüsslich. Er war mit dem Mahl zufrieden, das Huneefa zubereitet hatte, und die Frage, die sein britischer Gast ihm gestellt hatte, gefiel ihm, denn er erzählte leidenschaftlich gerne von seinen weiten Reisen über den Subkontinent. Das Interesse an den »heresi«, den Franzosen, gab ihm nun Gelegenheit, von einem Winter im Maharastra zu berichten.

      »Wesley-Sahib, was weißt du über den Süden?« leitete er seine Erzählung mit einer rhetorischen Frage ein.

      Charlotte bediente sich genüsslich von einem silbernen Teller mit »gulab jamun«, »sandesh« und »gajar ka halwa«. Sie kannte die Geschichte, doch ihr war es lieber, dass der Kommandeur des 33. Regiments sie aus dem Munde von Lutuf Ullah vernahm. Es fiel ihr schwer einzuschätzen, ob die Trikolore über dem Palast des Sultans von Mysore eine Bedeutung für Britisch-Indien hatte.

      Lutuf Ullah streckte sich bequem in seinen weichen Kissen aus und rülpste noch einmal. Für Wesley war dieses Verhalten befremdlich, für Huneefa, die Hauptfrau des Kabuli, ein Ausdruck äußerster Zufriedenheit mit einem opulenten Abendmahl und zugleich ein Befehl, ihrem Herrn und seinen Gästen eine weitere Kanne mit Kaffee zu servieren. Hinter den Teppichen, die ihre Küche vom Wohnraum abtrennten, huschte sie diensteifrig hervor. Zuerst schenkte sie ihrem Gemahl aus einer schlanken, hohen Kupferkanne das heiße, aromatische Getränk ein. Dann bediente sie die beiden Gäste.

      »Gesell dich ein wenig zu uns, Weib!« knurrte Lutuf ihr freundlich zu. Seine Hand wies auf ein Kissen hinter Charlotte. Obwohl der Kabuli seine Frau liebte und achtete, musste sie – nach den Gesetzen seiner strengen Religion – doch an ihrem Platz bleiben. Und der war weit hinten, außerhalb des Sichtfelds der Geladenen.

      Charlotte dagegen war eine Mamsahib, eine weiße Frau. Darum galten für die Tochter des höchsten britischen Justizbeamten in Indien andere Spielregeln. Lutuf hatte während seiner Jugendjahre als Geisel von Warren Hastings viel über die »firanguis« – die Europäer – gelernt. Auf ein Zeichen des Pferdehändlers schenkte seine Frau sich ebenfalls Kaffee ein, und ein anderes, tief verschleiertes Geschöpf brachte ihr demütig und mit gesenktem Haupt einen kleinen Teller voller orientalischer Süßigkeiten.

      Als seine erwartungsvollen Zuhörer gut versorgt und die junge Nebenfrau wieder in der Küche verschwunden war, begann der Paschtune zu erzählen. Charlotte kannte ihn gut. Sie wusste, dass es eine lange Nacht werden würde, denn vor den aktuellen Ereignissen, die den Süden erschütterten, würde Wesley eine ausführliche Exkursion in die Geschichte des Maharastra über sich ergehen lassen müssen.

      »Ah, meine Freunde! Ich führte ein unbeschwertes und leichtes Leben zwischen den Bergen meiner Heimat und den endlosen grünen Ebenen dieses Landes. Meine Jahre in Kalkutta, während ich die Gastfreundschaft des großen Hastings-Sahib genießen durfte – möge Allah sich seiner Seele annehmen, er war ein tapferer Krieger –, hatten mir eine zufriedene und treue Kundschaft unter den >pardesi< geschaffen. Ich brachte meine Pferde auf den Markt von Bhawanipur und anschließend, nach einer weiten Reise durch Orissa und den Karnataka, auf den Pferdemarkt von Chennai im Süden. Mit jedem Handelsunternehmen wurde ich reicher und angesehener. Immer wenn ich von meinen Abenteuern nach Hause zurückkehrte, stellte ich erfreut fest, dass mein Weib Huneefa mir wieder einen gesunden Sohn geschenkt hatte. Eines Tages beschloss ich, mein Weib an einer meiner Reisen nach Chennai teilhaben zu lassen. Also verbrachten wir, nachdem ich – Allah ist gütig – einhundert Pferde verkauft hatte, ruhige, beschauliche Tage in Fort St. George. Huneefa besuchte die Märkte der Stadt und kaufte feine Seidenstoffe und duftendes Santal ein. Ich selbst trank zufrieden Tee mit meinen Freunden, und wir unterhielten uns lange und ausführlich über die Geschäfte des vergangenen Jahres.« Er hielt kurz inne und seufzte.

      »Genau in diese guten Tage an der Küste des heißen Meeres, das man auch den Golf von Oman nennt, fiel eine erschütternde Neuigkeit: Hyder Ali, der Herrscher von Mysore, ließ seine raubenden und plündernden Horden wieder auf den Karnataka los. Bis an die Zähne bewaffnet, unbeugsam und unbesiegt, bedrohten seine Maisuri-Krieger nicht nur das Landesinnere, sondern auch die Küste und Chennai – Fort St. George!«

      Lutuf trank einen großen Schluck Kaffee und stopfte sich »lukkum« in den bärtigen Mund. »Schreckliche Tage erwarteten uns alle! Oh, ich muss es gestehen! Hyder Ali war ein großer Mann – tapfer, wagemutig und ohne Furcht. Ein wahrer Herrscher, den die >heresi< sich zum Freund und Verbündeten gemacht hatten. Der Sultan von Mysore verfolgte einen alten Traum seines Volkes: das Land unter einer Hand zu einen und wieder so stark zu machen wie in den glorreichen Tagen der Moguln ... Die >heresi< aber verfolgten einen anderen Traum – Indien und insbesondere den reichen Süden des Landes den >inglis< zu entreißen und wieder jene Vorherrschaft zu erringen, die Clive-Sahib ihnen so grausam entrissen hatte. Für die >heresi< war

      Hyder Ali nur eine Schachfigur in ihrem neuen großen Spiel gegen die >inglis<. Mit jedem Schlag der Trommeln und Zimbeln kam der Schatten des Krieges näher und näher. Bald schon konnte man in Chennai am fernen Horizont den Rauch brennender Dörfer erkennen, und das Grollen der Kanonen raubte uns den Schlaf. Es waren furchtbare Tage. Als die Gefahr so groß schien, dass wir uns alle verloren glaubten, erwachten die >inglis< plötzlich aus ihrer sonderbaren Erstarrung. Cornwallis-Sahib zog die langen Stiefel an. Er war gerade erst, nach vielen Jahren auf der anderen Seite der Welt, nach Indien zurückgekehrt. Er sammelte die roten Röcke und die Sepoys um sich und Dutzende von großen, schweren Kanonen, die Tod und Verwüstung über Hyder Ali und das Maharastra bringen sollten. Ich war jung in diesen Tagen und hatte Geschmack am Abenteuer. Also vertraute ich Huneefa und meine Pferde einem alten Freund an – Orford-Sahib, dem Surveyor General von Fort St. George. Er und seine Sahibaa versprachen mir, die Ehre meines Weibes zu schützen, während ich mit den >inglis< gegen Hyder zog. Oh, Wesley, du kannst dir nicht vorstellen, wie gerührt Cornwallis-Sahib war, als ich mit meinen Paschtunen zu ihm kam und anbot, gegen unseren Feind zu ziehen. Lutuf ist ein Freund der >inglis<, und Cornwallis-Sahib versprach uns, dass die Armee und die Kompanie immer meine Pferde kaufen würden, damit der Reichtum und die Macht nie das Haus Ullah verließen. Es waren ruhmreiche Tage. Wir haben Tausende unserer Feinde erschlagen. Die anderen flüchteten zusammen mit ihren ungläubigen französischen Beratern wie die Hasen. Die Rache Allahs kam über Hyder, denn er hatte gefrevelt und den Islam verraten. Bald schon standen wir mit den >inglis< vor seiner Trutzburg – Seringapatam. Die Kanonen von Cornwallis-Sahib spien Tod und Verwüstung. Und obwohl die Mauern in sich zusammenstürzten wie Spielkarten, war der Kampf noch längst nicht entschieden. Die Monsunstürme setzten ein und ertränkten das Land. Die Geschütze konnten nicht mehr nach vorne und nicht mehr zurück bewegt werden. Zehntausend >inglis< und Sepoys lagen vor Seringapatam, und die Nahrung wurde mit jedem Tag knapper. Der Monsun brachte Fieber. Viele der >inglis< starben nicht durch die Hand des Feindes, sondern vor Hunger und Krankheit.« Wieder hielt er kurz inne, den Blick in die Vergangenheit gerichtet.

      »Nach sechzehn endlos langen Wochen musste Cornwallis-Sahib aufgeben, obwohl wir alle Tag für Tag zu Allah gebetet hatten und um den Sieg flehten. Er zerstörte die Kanonen, und wir zogen wieder zurück nach Chennai. Obwohl wir Hyder Alis Trutzburg nicht hatten zerstören können, hatten wir den Maisuri und den >heresi< doch einen Schuss vor den Bug versetzt, wie ihr so schön sagt. Die Bedrohung des Karnataka und der Küste war verschwunden. Cornwallis-Sahib hatte einen großen Sieg errungen und die >heresi< von den Handelswegen vertrieben. Er hatte ihnen alle Häfen weggenommen und ihnen nur noch Pondicherry und das elende Fischerdorf Mahé gelassen ...«

      Lutufs Blick war verträumt. Die Erinnerung an die Abenteuer seiner Jugend tat dem alten Paschtunen gut. Arthur hatte ihm aufmerksam zugehört. Er hatte nicht einmal gewagt, seinen Kaffee zu trinken, um auch ja kein Wort des Pferdehändlers zu verpassen. Nun aber hatte sein Freund aus den Bergen geendet, und er brannte vor Neugier und musste ihm einfach ein paar Fragen stellen.

      »Lutuf, erinnerst du dich noch an die >heresi<, die mit Hyder Ali kämpften? Waren es viele, oder bildeten sie nur seine Maisuri aus? Wie sieht diese Festung Seringapatam aus? Haben die Moguln sie erbaut, oder waren es unsere Leute? Warum ist Cornwallis mitten durch den Monsun gegen den Feind gezogen? Wieso ist euch die Nahrung ausgegangen?«

      Charlotte grinste und knabberte an einer kandierten Mandel. Huneefa schüttelte unter ihrem Schleier