Peter Urban

Marattha König Zweier Welten Gesamtausgabe


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Wesley-Sahib! Nun können wir deine Neugier über Mysore und Tippu befriedigen. Mein Sohn wird dir erzählen, was er und der >jawan< gesehen haben ... Übrigens, Barrak spricht eure Sprache. Er hat sogar die >madrissah< der Sahibs besucht – St. John of Calcutta. Möge Allah sich meiner erbarmen, es sind Ungläubige, die die >madrissah< leiten. Aber Hastings-Sahib sprach immer davon, dass Wissen Macht sei, deswegen habe ich Barrak in die >madrissah< geschickt.«

      »... und dann nach Europa, >baba<! Ich bin in London gewesen und habe dann ein ganzes Jahr lang Ihr Land bereist und viel gelernt, Oberst Wesley!« unterbrach Barrak seinen Vater sehr selbstbewusst. Sein Englisch war fast perfekt. Hätte der Paschtune nicht die Tracht seines Volkes getragen, Arthur hätte ihm ohne Frage geglaubt, dass er Europäer sei.

      »Es ist nicht mein Land, Ibn Ullah«, erwiderte der Offizier leise. »Ich bin Ire.«

      Barrak schmunzelte. »Während meiner Reise habe ich bemerkt, dass Ihr Volk und die >inglis< nicht gerade die besten Beziehungen haben. Nicht nur in Indien stiftet die Religion Unfrieden, nicht wahr?«

      Wesley nickte. Sein Gesichtsausdruck war ein bisschen nachdenklich. Immer, wenn er weit von den Inseln fort in der Fremde war, spürte er, wie sehr er doch Ire war und wie wenig ihn mit den Engländern verband. Sie benahmen sich überall wie die Herren der Welt und konnten sich nirgendwo anpassen.

      Lutuf hatte sich wieder bequem in seinen Kissen ausgebreitet und bediente sich vom großen Silberteller mit den orientalischen Süßigkeiten. Es schien, als wollte er seinem ältesten Sohn und Erben nun die ganze Initiative überlassen. Barrak tauschte sich zuerst leise auf Persisch mit Charlotte aus. Wesley verstand, dass er sich bei der jungen Frau sehr höflich dafür entschuldigte, dass er nun seine Aufmerksamkeit dem Gast von den britischen Landstreitkräften zuwenden müsse. Sir Edwin Halls Tochter lächelte ihm nur aufmunternd zu und legte ihre kleine Hand beschwichtigend auf seinen Arm.

      »Als wir den letzten Winter in Mysore verbrachten, haben wir nur ein einziges europäisches Regiment im Dienst des Sultans bemerkt. Es wird von Franzosen befehligt, besteht aber aus einer bunten Mischung europäischer Söldner. Sogar Engländer, die aus Euren Truppen und denen der Ostindischen Kompanie geflüchtet sind, dienen Tippu. Er bezahlt die Männer und die französischen Offiziere fürstlich. Von Zeit zu Zeit empfängt er geheimnisvolle Boten, die über Pondicherry aus Frankreich zu ihm kommen. Die Maisuri verfügen über viele europäische Kanonen. Die Wälle von Seringapatam sind reich bestückt, aber ich konnte nicht alles sehen ... es gibt streng bewachte Sperrgebiete an den Außenmauern der Stadt und ein Waffenlager, zu dem der Zutritt verwehrt ist. Die meisten Geschütze werden von den Europäern bedient. Einige wenige von ausgesuchten Männern aus der Leibgarde Tippus. Er selbst ist ein sehr beeindruckender Mann. Mutig wie ein Tiger, gerissen wie ein Affe und falsch wie eine Schlange. Sein Volk verehrt ihn. Obwohl er ein strenggläubiger Muslim ist, behandelt er die anderen religiösen Gruppen, die in seinem Herrschaftsgebiet leben, gerecht und respektvoll. Sein Fürstentum ist unendlich reich. Ein großer Teil dieser Schätze wurde in den Ausbau der Verteidigungsanlagen in Mysore investiert und in den Ankauf guter europäischer Bewaffnung für die Fußtruppen. Ich hatte im Verlauf der vier Monate, die ich dort war, irgendwie das Gefühl, dass Tippu große Pläne schmiedet. Täglich inspizierte er seine Truppen. Laufend ließ er sich von seinen französischen Offizieren vorführen, wie weit die Ausbildung der Männer gediehen war. Er muss Unsummen verschwendet haben, um seine Landsleute an den europäischen Geschützen mit scharfer Munition üben zu lassen ... und er verhandelt mit den Herrschern der Fürstentümer von Audh und Gujerat. Sogar Boten des Nizam von Hyderabad kamen und gingen. Ich bin kein Politiker, Oberst Wesley, aber selbst einem einfachen Kaufmann wie mir fiel diese unterschwellige Spannung in der Hauptstadt auf und die Wehrhaftigkeit, die die gesamte Provinz ausstrahlte. Die südliche Hälfte des Kontinents wird bald schon vor Tippu und seinen französischen Verbündeten zittern.«

      Wesley pfiff durch die Zähne. Der Bericht von Barrak ben Lutuf ibn Ullah war all seine gelehrten Bücher und die schlafraubenden Studien wert. In Fort William war das Problem Tippu Sultan nie in dieser Schärfe und Tiefe angesprochen worden. Es schien auch keine bedrohlichen Meldungen aus Fort St. George zu geben, die Sir John Shore irgendwie in Aufregung versetzten. Das Gehirn des Iren arbeitete schnell: Falls der Generalgouverneur wusste, dass im Herzen Indiens eine solche Gefahr in Gestalt eines geachteten, einheimischen Herrschers und französischer Militärberater lauerte, war es sträflicher Leichtsinn, eine Expedition gegen Spanisch-Manila zu befehlen und die britischen und Sepoy-Kontingente auszudünnen, um sich mit einem unbedeutenden Gegner wegen eines lächerlichen Hafens zu schlagen.

      »Gibt es eine Möglichkeit, diskret und schnell Informationen aus Mysore zu bekommen?«

      Es war Charlotte, die Arthurs Frage beantwortete. »Im Baramahal hat die Ostindische Kompanie einen tüchtigen Militärkommandeur: Oberstleutnant Read! Sein Vorname fällt mir nicht ein, Arthur, aber ich weiß von meinem Vater, dass es derselbe Read ist, der die neue Straße von Vellore nach Ryacotta und bis an die Grenze von Mysore gebaut hat. Read hat einen Steuerbeamten, Hauptmann MacLeod, der gleichzeitig für den Gouverneur von Madras, Lord Clive, herumschnüffelt ... zumindest hab ich das vor ein paar Wochen aufgeschnappt, als Sir John und Hyde Colebrooke bei uns zu Hause eingeladen waren.«

      Barrak ben Lutuf ibn Ullah nickte der jungen Frau zu. »Du hast Recht. Ich habe nicht mehr an MacLeod gedacht. Aber der hat noch nie seinen Fuß über die Grenze nach Mysore gesetzt. Er muss sich an die Gebiete der Ostindischen Kompanie halten. Vielleicht wäre es einfacher, Oberst Wesley würde sein Glück bei den Führern der großen Handelskarawanen versuchen, oder bei den >hirrcarrahs<.«

      »Du weißt, wie misstrauisch die Menschen unten im Süden sind, mein Sohn!« warf Lutuf ein. »Wenn Wesley-Sahib sich der >hirrcarrahs< bedienen will, muss er Leute aus dem Maharastra, dem Karnataka und dem Dekkan anwerben. Ein >brahmin< aus Kalkutta oder Chennai würde sofort alle Augen in Seringapatam auf sich ziehen...Vielleicht, wenn du mit N Govinda Bhat Verbindung aufnehmen würdest...«

      »Den hätte ich fast vergessen, Vater! Aber N Govinda ist ein fetter, träger Feigling.«

      »Trotzdem ist er seit zwanzig Jahren mein treuer Diener im Serai von Seringapatam. Er hat dem Hause Ullah noch nie einen einzelnen >pagoda< unterschlagen oder uns auch nur um das Kupferkleingeld betrogen. Und selbst wenn er vor Angst zittert – er wird Bedi ben Haleff keinen Wunsch abschlagen. Wir haben N Govinda immer gut für seine Dienste entlohnt. Er ist loyal und weiß, dass die Paschtunen kein großes Aufheben machen, wenn man sie betrügt ...«

      Der Pferdehändler fuhr sich mit einer raschen Geste über die Stelle, an der sich unter seinem langen Bart offensichtlich der Hals verbarg. Wesley beobachtete still, während sein Verstand auf Hochtouren arbeitete. Lutuf hatte recht: Die Führer der Karawanen und die Kaufleute stellten eine unerschöpfliche Informationsquelle dar. Doch einer einzigen Quelle zu vertrauen war Leichtsinn, darum brauchte er mindestens drei parallel existierende, aber voneinander völlig unabhängige Spionagenetze. Er hatte in Fort William sehr diskret Auskünfte über seinen Freund aus Kabul eingeholt. Man hatte ihm bestätigt, dass der Mann – seit er Geisel von Warren Hastings gewesen war – ein Freund der Briten war. Er hatte schon öfter Dienste und Gefälligkeiten erwiesen.

      Damit hatte der Ire sein erstes Netzwerk abgesichert und guten Händen anvertraut. Er würde dafür sorgen, dass man dem Kabuli für die wertvollen Dienste, die er leistete, seine schönen Pferde zu Höchstpreisen abkaufte.

      Was das zweite und dritte Spionagenetz anging, war er sich an diesem Abend plötzlich sicher, dass die Zeit dieses Problem von alleine lösen würde: der Zufall, gepaart mit seinem täglich wachsenden Verständnis des neuen Kriegsschauplatzes und ein paar ausgedehnten Reisen über Land ... Nach der Expedition gegen Spanisch-Manila wollte er weitersehen.

      Erst in den frühen Morgenstunden des nächsten Tages verabschiedeten sich Arthur und Charlotte. Während der Offizier die junge Frau zurück nach Chowringhee begleitete, hatte er das Gefühl, dass sie Barrak ben Lutuf ibn Ullah nur ungern verlassen hatte, und auch in den grünen Augen des ältesten Sohnes seines Freundes aus den wilden afghanischen Bergen hatte er so etwas wie Trauer ausgemacht. Außerdem war Sir Edwin Halls Tochter ungewöhnlich schweigsam. »Du