Eileen Schlüter

Grünkohlsuppen-Blues


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      Sofort spürte ich einen unangenehm kühlen Luftzug durch meinen Hospitalfetzen wehen. Dieses hellblaugeblümte Teil gewährte wirklich ein ausgezeichnetes Panorama auf mein Hinterteil, das bloß mit einem Netzhöschen bekleidet war.

      Mit halbnacktem Arsch und einem randvollen Katheterbeutel in der Hand, setzte ich wackelig einen Fuß vor den anderen. Erniedrigender ging‘s nun wirklich nicht. Im Gegensatz dazu stellten meine unrasierten Waden, die in wenig erotischen Thrombosestrümpfen steckten, lediglich ein peripheres Übel dar. Also, jetzt konnte mich wirklich nichts mehr schockieren. Ich befand mich ja praktisch in einem Dauerschockzustand – oder unter dem Einfluss von Rauschmitteln. Allenfalls illegale. Hinzu kam, dass mein Verlangen nach einer Zigarette von Sekunde zu Sekunde stärker wurde.

      Ich schlüpfte in ein Paar anatomisch geformte Latschen, das neben dem Bett stand. Schön sahen die nicht aus, aber gesund. Ich warf einen flüchtigen Blick aus dem Fenster. Der verhangene Himmel verhieß nichts Gutes. Alles in Allem sah es verdammt ungemütlich aus da draußen.

      Sobald ich aus dieser Klinik raus war, würde ich umgehend einen Flug nach Nizza buchen und den Rest des Winters im milden Monte Carlo, in unserem Ferienhaus verbringen. Ich kann‘s kaum erwarten.

      An einem Haken hing ein Morgenmantel aus Frottee, der zu seinen besseren Zeiten wohl blau war. Spätestens, wenn ich meine eigene Garderobe wieder gefunden hätte, würde dieses Ding im Kamin landen. Doch vorerst warf ich ihn mir über.

      Ich folgte meiner vorgeblichen Schwiegermutter auf den Balkon. Eisige Kälte schlug mir entgegen, was meine nackten Zehen in den AOK-Tretern gar nicht gut hießen und auf der Stelle taub wurden. Aber egal. Mittlerweile hatte ich nur noch einen einzigen, alles überbietenden Gedanken: »Her mit der Fluppe, aber dalli!«

      »Nach so einer Woche Koma sind die Entzugserscheinungen echt mörderisch«, erklärte ich, während Lotte mir die Schachtel anbot. Ein kurzer skeptischer Blick von ihr streifte mich, bevor sie mir ein Feuerzeug vor die Nase hielt.

      Gierig saugte ich an meinem Glimmstängel. Postwendend breitete sich ein Kratzen in meinem Hals aus, es folgte ein Erstickungsanfall und die, mit einigen Sekunden Verzögerung eintreffende, Schwindelattacke zwang mich dazu, mich auf den frostklirrenden Balkonfußboden plumpsen zu lassen. Lotte kauerte sich in aller Ruhe neben mich und klopfte mir auf den Rücken.

      »Du musst gleich noch mal dran ziehen, dann wird ’s besser. Glaub mir, Liebes.«

      Ich schaute gequält in ihre wässrig-blauen Augen, die mich freundlich anlächelten und befolgte ihren Rat. Ein kräftiger Zug und ich war von neuem benebelt.

      »Ganz schön stark«, ächzte ich heiser. »Dabei sehen diese dünnen Dinger so harmlos aus!«

      »Wann hast du denn wieder angefangen mit dem Rauchen?«

      Da war ich eindeutig überfragt. Ich zuckte mit den Schultern, zog abermals an der Zigarette und versuchte, den aufkommenden Hustenanfall zu unterdrücken.

      Lotte raffte sich am Balkongeländer hoch, während ich unten sitzen bleib. Ich blickte auf meine angefrorenen Zehen. Ups, unbedingt einen Termin bei der Pediküre machen, notierte ich mir auf einem imaginären Merkzettel in meinem Kopf.

      »Ich hab dich in all den Jahren nie rauchen gesehen«, bemerkte Lotte.

      »Ich kann mich an all die Jahre nicht erinnern!«

      Eine Mischung aus Verzweiflung und Wut über diese Tatsache keimte in mir auf. Mürrisch schnipste ich die Asche weg. In diesem Moment wurde die Balkontür aufgerissen und mein hypothetischer Angetrauter, Doktor Julius Gaulkötter, stürzte auf mich zu.

      »Mutti, was ist passiert!?«, rief er alarmiert in Lottes Richtung. Doch bevor Lotte etwas erwidern konnte, griff er mir auch schon unter die Achseln, um mich hochzuziehen.

      »Stella, Schatz, geht’s dir nicht gut?« Vor lauter Beunruhigung vibrierte seine Stimme. »Warum hockst du hier draußen auf dem kalten Fußboden? Und was in Gottes Namen ist das?« Sein entsetzter Blick heftete sich auf die Zigarette.

      »Also, ein Knollenblätterpilz ist es schon mal nicht. Und auch sonst nichts, was einen umbringt, zumindest nicht gleich.«

      Meine mokante Bemerkung stieß bei Julius auf wenig Beachtung. Dafür hatte ich den Eindruck, Lotte im Hintergrund kichern zu hören.

      »Sei doch vernünftig, Stella und wirf die Zigarette weg. Du bist Nichtraucherin!« Sein Griff wurde fester. »Stella, bitte, steh auf, du holst dir den Tod!«

      Dieses ewige Stella, Stella nichts als Stella stimmte mich urplötzlich aggressiv. Wütend schnippte ich die Zigarette vom Balkon.

      »Finger weg!«, zischte ich Julius an und wehrte mich rigoros gegen seinen Griff. Entgegen meiner Erwartung ließ er von mir ab und wich einen Schritt zurück. Und da ich noch nicht fest auf meinen Füßen stand, kippte ich nach hinten weg. Auch mein dynamisches Armrudern half nicht, das Gleichgewicht wiederzuerlangen. Mit einem unartikulierten Quieker ging ich zu Boden und landete auf meinem Steißbein, überzeugt davon, dass es nun auf jeden Fall gebrochen war. Mein Schmerzschrei scheuchte ein paar Tauben auf, die auf dem benachbarten Balkongeländer kauerten. Inzwischen hatten wir auch etliche Zuschauer, die die Szene gespannt von den umliegenden Balkons verfolgten.

       Habt ihr keinen Fernseher auf eurem Zimmer, oder was?

      Das alles war zu viel für mich. Wie ein verschrecktes Tier verkroch ich mich tief in der Ecke des Balkons und zog meine Beine eng an meinen Körper. Mir war schweinekalt. Im nächsten Moment machten meine Zähne sich selbstständig und klapperten wie Kastagnetten beim Flamenco, während mein ungehemmtes Schluchzen sie melodisch dazu begleitete. Ich war ein einziges Häufchen Elend, und die Vorstellung, dass die Kombination aus Erfrieren und zu Tode Schluchzen nicht gerade als das Nonplusultra der Sterbearten zu bezeichnen war, verschärfte die Situation vollends, aber wer konnte sich das schon aussuchen? Doch als wäre das alles nicht schon schlimm genug, setzte schlagartig ein monumentaler Platzregen ein, der innerhalb von Sekunden mein Netzhöschen einschließlich Inhalt unter Wasser setzte.

      Irgendwann hatte Lotte es geschafft, mich dazu zu überreden, wieder ins Zimmer zurückzukehren. Ihre raue, tiefe Stimme hatte in dem Moment etwas Beruhigendes. Mit festem Griff führte sie mich – inklusive meines unappetitlichen Anhängsels – hinein, gefolgt von einem schweigenden Julius Gaulkötter. Er beobachtete mich geknickt, während ich wie eine gebrechliche Urgroßmutter ins Bett zurückkroch. Aus mir unerklärlichen Gründen, konnte ich es nicht ertragen, dass er mich so sah. Ich wollte, dass er ging. Schließlich war er ja trotz seines weißen Kittels nicht mein Arzt, sondern nur mein unliebsamer Ehemann.

      Etwas pampig gab ich ihm zu Verstehen, dass er verschwinden solle. Er habe doch mit Sicherheit noch jede Menge Eizellen zu befruchten.

      Mit geneigtem Kopf schlich Julius aus dem Krankenzimmer. Dennoch fing ich einen letzten deprimierten Blick von ihm ein, bevor er die Tür schloss. Na endlich. Den war ich los. Vorerst.

      Kurze Zeit später verabschiedete sich auch meine Schwiegermutter. Sie müsse zum Seniorensport, den sie zwar stinklangweilig finde, aber wegen des sympathischen und knackigen Gymnastiklehrers auf keinen Fall verpassen dürfe. Eijeijeijeijei, eine Oma die auf schwule Sportlehrer in viel zu engen Shorts stand. Was kannte ich bloß für schräge Leute?

      Ich sank ins Kopfkissen.

      Ungeduld machte sich breit. Wann begannen die endlich mit der Therapie?

      Allmählich hatte ich das Gefühl, den Boden unter den Füßen zu verlieren. Meine Vergangenheit, so wie ich sie in Erinnerung hatte, wurde unweigerlich von diesem Albtraum aus lauter mutmaßlichen Familienangehörigen inklusive schrulliger Schwiegermutter entmachtet. Und ich konnte nichts dagegen tun.

      Ich war wirklich gespannt, was mich noch erwarten würde. Kaum hatte ich diesen Gedanken zu Ende gebracht, klopfte es an meiner Zimmertür.

      »Ja bitte!«

      »JUHUUU!«

      Wer war