Eberhard Schiel

Mein Lieber Sohn und Kamerad


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ich aber den strengen Bibelglauben nicht. Da lernte ich in stillen Nächten auf der Seereise mit der "Valencia" Christus als den höchsten, den größten Helden kennen. Allerdings mit der Liebe, die er vergibt, heilt und lindert. In jener Bibelstunde hörte ich: "Ich will Euch nicht den Frieden bringen, sondern das Schwert". Das kam mir jetzt in den Sinn. Im Schlachtendonner erlebte ich diesen Gott, mit seinem gewaltigen Licht. Wohin wohl mit mit meiner Sorge, also hin zum Gebet zu diesem Heiland. Zu diesem Hinein hatte ich unbegrenztes Vertrauen. Als Narren erschienen mir diejenigen, die da sagten, es gibt keinen Gott. Ich habe mich doch freiwillig wieder ins Feld angemeldet, da meinte meine Tante, es tue ihr leid. Ich weiß aber, wofür ich kämpfe, für die Heimat und das sagt mir alles. Sterben kann man immer einmal, doch einen Heldentod sterben? Wenn Gott will, so komme ich lebend wieder und arbeite weiter. - Ein ander Mal mehr. Ich muß ins Bett. Gehst Du in die Wehrloge? Gehe bitte zur Weihnachtsfeier hin. Schreibe bitte bald wieder. Ich mag so gern mit Dir plaudern. Ich, ich weiß gar nicht, was ich alles sagen möchte. Aus der Ferne grüßt Alfred

      AN ALFRED MEISSNER (40)

      Stralsund, 29.12.1914

      Mein lieber Alfred!

      Dank, herzlichen Dank für Deinen lieben Brief. Ich sitze hier in unserem Zimmer der Roten Kreuz Wache. Eben habe ich Deinen Brief wieder gelesen und finde, daß Du möglichst bald eine Antwort erhalten möchtest. Leider kann ich eher Donnerstag keinen ausführlichen Brief schreiben. Hier auf dem Bahnhof fehlt mir die nötige Ruhe. Zur Weihnachtsfeier der Wehrloge war ich nicht, denn erstens kam dein Brief erst am 28. an, und zweitens erfuhr ich erst durch Erich, daß der Abend schon am 26. gewesen ist. Leo Zanke weilt in Stalsund. Er hat einen etwa 10 cm langen Streifschuß an der Schläfe. Von Willi Neels erhielt ich einen Brief. Danach geht es ihm gut. Am Donnerstag schreibe ich mehr.

      Dein getreuer Otto

      AN ALFRED MEISSNER (41)

      Stralsund, 31.12.1914

      Mein lieber Alfred!

      Ich ergreife die Feder, um den versprochenen Brief zu schreiben. Inzwischen habe ich Deine liebe Karte erhalten. Du hast mich gebeten, in die Wehrloge einzutreten. Daß ich nun schon am nächsten Sonnabend in der Sitzung erscheinen würde, um Mitglied zu werden, wirst Du ja selbst nicht geglaubt haben. Nur so viel will ich Dir heute schreiben: mit der Ansicht vieler Guttempler, wenn alle Menschen das Trinken lassen, dann gibt`s Zufriedenheit, eine gesunde Menschheit, kurz, was man den idealen Menschen nennt, bin ich nicht einverstanden. Gibt es denn keine Abstinenzler, die spielen, ungläubig sind, usw. Fangen wir doch bei dem Einen an, die Menschheit muß wieder zu Gott geführt werden. Wer ein echter Christ ist, der wird wissen, wie weit er gehen darf. Der Gläubige kann alles mitmachen, aber er muß nachdem ebenso freudig beten können wie vorher. Wenn ich also in die W.L. eintrete, so tue ich es, weil sie ein gut Stück Jugendpflege treibt und für Deutschlands Jugend will ich ja gerne arbeiten. Ich wünsche auch wieder die Zeit herbei, in der deutsche Mädel und Jungen frei verkehren, ohne dieses Poussieren. Vielleicht erinnerst Du Dich einer Frage in der "Jugendstimme": Wie kann man versuchen junge Mädchen kennen zu lernen, ohne das fade Poussieren mitzumachen und ohne bei der Brautwahl die erste beste nehmen zu müssen? - Meine freie Zeit gehört nicht allein meinem Verein, sondern in einem Wort gesagt, dem Vaterland, nämlich dem Roten Kreuz, der Jugendkompanie, dem Verein. Ich könnte gut meinen Sonnabend der Wehrloge widmen. Ob ich Herrn Diete aber nicht erzürne, wenn ich, ohne ihm Mitteilung zu machen, Wehrtempler werde? Ich frug gestern Erich, welches seine Meinung sei, ob ich eintrete oder nicht. Da sagte er: "Ich sage nein, ich sage ja-nein kann ich nicht sagen, deshalb sage ich nichts." Aber es wird sich schon finden.

      Mein lieber Junge! Als ich einst von Dir ging, sah ich darin den letzten Weg, denn Du warst für mich, wie man sagt, ungenießbar geworden. Daß ich mit schwerem Herzen und bangen Sorgen für die Zukunft dieses letzte Mittel ergriff, kannst Du Dir jetzt denken. Daß ich einen Meineid beging, wußte ich noch nicht. Bedauert habe ich, daß Du damals mit den Schlechten in der Fabrik einen Bund geschlossen hast und so die beiden Parteien entstanden. Erst als in der Bibelstunde in Herrn Dietes Wohnung Du die Frage stelltest, ob die Liebe zu Gott so groß sein könne, so daß dadurch einem Verbrecher vergeben wird, da wußte ich es. Das Verbrechen ist ein Meineid und den Meineid hast Du begangen. Es war mir wie ein Stich ins Herz. Ich wollte mit Herrn Diete Rücksprache nehmen, getraute es mir aber nicht. In dieser Gewissensangst wandte ich mich an Gott und langsam zog wieder Ruhe bei mir ein. Folgendes Gebet finde ich in meinem Tagebuch: "10.XI.13, O laß diesen Menschen, in dem so viele Talente schlummern, nicht zu Grunde gehen, laß ihn auch nicht aus unserm Verein. Wenn er vorläufig auch mit dem Ausschuß der Menschheit verkehrt, wenn er älter und verständiger geworden ist, dann zeig uns Wege, damit wir einander wieder näher kommen." - So, nun weißt Du, wie ich über die Angelegenheit denke und dachte.

      Es grüßt Dich

      Dein getreuer Otto

      STELLUNGSKRIEG IM WESTEN; BEWEGUNGSKRIEG IM OSTEN: 1915-1916

      Während die Generalstäbler nach immer neuen Modellen suchen, um einen entscheidenden Durchbruch an der sich festgefahrenen Westfront zu erzielen, richten sich ihre Soldaten im Stellungskrieg an der Somme häuslich ein. Die Deutschen entwerfen ein System von Schützengräben, Laufgräben, sorgfältig ausgebauten Befestigungsanlagen, mit tiefen unterirdischen Gängen und dickwandigen Bunkern versehen, das praktisch zu einem uneinnehmbaren Bollwerk wird. Wenige Kilometer dahinter, in den Ruhestellungen, entstehen kleine Druckereien. Sie geben eine Schützenzeitung heraus, sorgen für eine Bibliothek und fertigen Plakate für das Frontkino an. Das Fronttheater Wiesbaden kommt zu Besuch. Außerdem vertreibt man sich die Langeweile mit dem Briefeschreiben und Führen von Tagebüchern. Die Geselligkeit bricht oft abrupt zusammen, wenn das grausame Geschehen an der Front wieder die Soldaten zu den Waffen ruft. Vor allem bei Ypern, im Artois und in der Champagne gibt es zahlreiche Opfer. Abgesehen von den hohen Verlusten gewinnt keine Seite einen entscheidenden Vorteil dabei. Diese nüchterne Konstellation ruft wiederum die Politiker auf den Plan. Sie unternehmen auf den diplomatischen Kanälen viele Versuche zur Zerstörung des etwa gleichen Kräfteverhältnisses. Die Folgen sind unabsehbar. In den Krieg greifen nun auch die Türkei, Italien, Bulgarien und Rumänien ein. Während die italienischen Truppen gegen die der Österreicher in den Alpen nicht weiterkommen, werden Serbien und Rumänien von den Mittelmächten vernichtend geschlagen. Und die Russen ziehen sich 400 km tief ins Innere des Landes zurück, ohne dabei eine entscheidende Niederlage quittieren zu müssen.Anfang 1915 beginnt die erste Phase des deutschen U-Boot-Krieges. Diese moderne Waffengattung ist nicht ohne Bedeutung für das Kriegsgeschehen, aber eine grundlegende Wende bringt sie nicht. Dazu sind die wirtschaftlichen Ressourcen der Weltmacht England zu groß. Außerdem birgt der Einsatz der U-Boote das Risiko in sich, zusätzlich Konflikte mit neutralen Staaten zu schüren. Darum wird die Trumpfkarte des deutschen Admiralsstabes auch nach Protesten der betroffenen Länder mehrmals im Ärmel stecken gelassen. Als beispielsweise am 7. Mai 1915 die "Lusitania" versenkt wird, sterben 1198 Menschen, darunter 128 Amerikaner, was Deutschland eine zornige Protestnote des amerikanischen Präsidenten Wilson einbringt. Er warnt die Deutschen eindringlich, nicht mit dem Feuer zu spielen. Doch wer von den Gromächten spielte damals nicht mit dem Feuer. Die "Lusitania", ein Schiff der britischen Cunard-Linie, führte nachweislich Kriegsmaterial an Bord. Obendrein wurde es vor dem Auslaufen in New York dringend gewarnt, nicht die gefährdete Zone anzusteuern. Das ist allerdings kein Alibi für die Opferung unschuldiger Menschen. Mit solchen Manövern prvozierte der deutsche Generalstab buchstäblich die Armeen der Alliierten, wie der weitere Verlauf des Weltkrieges bestätigen sollte.

      Im Dezember 1915 bereiten die Alliierten den Feldzug für das kommende Jahr vor, nach dem einen Monat zuvor in Chantilly vereinbart wurde, von nun an die militärischen Operationen zu koordinieren. Noch immer hält man an der törichten Taktik fest, in einer groß angelegten Offensive den Durchbruch an den klug gestaffelten deutschen Linien zu schaffen. Hauptschauplatz des Krieges soll der Abschnitt an der Somme sein. Die Offensive an dieser Front wird mit gleichzeitigen Angriffen an der russischen und der italienischen Front einhergehen.Auch das deutsche Heer zieht neue Pläne aus der Schublade. Sie taugen ebenso wenig wie die vorigen. Zudem spricht aus ihnen blanker Zynismus. Der Chef des deutschen Generalstabes Falkenhayn