Margarithe W. Mann

Ich war ein Kind der DDR


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      Kurze Zeit später wurde meine Oma krank, sie bekam Diabetes und meine Mutter musste ihr immer das notwendige Insulin spritzen.

      Das Pferdchen Peter war während des Sommers am Steiger und im Winter hatte es einen Stellplatz in einem Stall in der Stadt, aber es dauerte nicht mehr lange und es musste verkauft werden. Die Eltern hatten keine Zeit, wir Kinder schafften es noch nicht allein und der Onkel Josef kam einfach nicht zurecht mit dem kleinen Pony. Sicherlich deshalb weil der Onkel Josef keine Tiere mochte. Er zerrte an dem Pferdchen herum und wunderte sich, wenn er einen Tritt bekam und hochkant auf den Misthaufen flog. Dann fluchte er, wurde böse und machte damit alles noch schlimmer. Wir Kinder waren sehr traurig, dass unser Freund fort gegeben wurde. Wenn der Opa noch gelebt hätte, wäre es ganz sicher nicht so weit gekommen.

      Überhaupt habe ich den Onkel Josef als einen eigenartigen, oft sogar bösartigen, kleinen, dünnen alten Mann im Gedächtnis. Dementsprechend war natürlich unser Verhalten als Kinder ihm gegenüber. Er schimpfte viel auf uns, nahm uns das Spielzeug weg, brachte es in sein Zimmer und versteckte es unter seinem Bett. Einmal schlichen wir uns in sein Zimmer, wir wollten unsere Sachen zurückholen. Plötzlich hörten wir ihn kommen, ich versteckte mich in einer Zimmerecke und der Holger kroch schnell unter sein Bett. Der Onkel Josef führte Selbstgespräche, er entdeckte uns schließlich weil wir über ihn lachen mussten. Unser Onkel nahm einen Besen, er versuchte damit den Holger unter seinem Bett hervor zu holen, aber mein Bruder hielt den Besen fest, der Onkel Josef hüpfte vor Wut wie ein Rumpelstielzchen auf und nieder und fluchte dabei so doll, dass wir noch mehr lachen mussten. In einem günstigen Moment konnten wir mit unserer zurück eroberten Beute fliehen.

      Oft, wenn der Onkel Josef in den Hof ging, um die Asche aus den Öfen in die dafür vorgesehenen Vorrichtungen zu schütten, banden wir Stofftiere an eine lange Leine. Damals gab es auf den Höfen noch riesige gemauerte Behälter mit Metalldeckel für die gesamte Hausgemeinschaft. Einzelne separate Mülltonnen für jede Familie kannte man erst später. Die Mülltonnen waren damals wegen der oft noch heißen Asche aus den Öfen aus Metall. Die Tonnen aus Kunststoff kamen erst Jahre Später auf als die meisten Wohnungen mit Fernheizungen ausgestattet wurden. Vom Küchenfenster aus ließen wir die Stofftiere auf seinem Rücken oder auf seinem Kopf tanzen. Das sollte unsere Rache für das versteckte Spielzeug sein, wir freuten uns immer, wenn diese Revanche angekommen war. Er drohte uns mit seiner Faust, schimpfte uns eine verfluchte Bande und machte Anstalten uns fangen zu wollen, aber bis er die Treppen oben war sind wir längst außer Reichweite gewesen.

      1965 wurde meine Oma operiert, sie hatte Darmkrebs. Ihr Zustand verschlechterte sich ganz schnell, sie lag sehr viel im Bett. Meine Mutter war neben ihrem Beruf voll mit ihrer Pflege beschäftigt. Sie hatte viel zu tun, der große Garten und wir Kinder waren auch noch da. Bald konnte meine Großmutter überhaupt nicht mehr aufstehen und ging schließlich im Januar 1966 ganz von uns.

      Ich war fast 13 Jahre alt, langsam vollendete sich damit der Lebensabschnitt, den man als Kinderzeit bezeichnet. Das Spielen im Hof und auf der Straße mit einer Horde anderer Kinder wurde immer seltener. Wie alle anderen auch ging ich einem Alter entgegen, indem man manchmal nicht so recht wusste, ob man Fisch oder Fleisch ist. Ich traf mich lieber mit meiner Freundin Gabi aus meiner Klasse, mal war ich bei ihr und manchmal hockten wir in meinem Zimmer zu Hause, sehr zum Leidwesen meines Bruders, der halt noch nicht verstand, warum das so ist oder war. Die Interessen von uns heranwachsenden Mädchen klafften mittlerer Weile mit denen, die mein Bruder Holger und seine Freunde in Bezug auf Spiel und Herumtoben noch miteinander verbanden recht weit auseinander. Wir hatten jetzt keine Ambitionen mehr, uns mit lautem Jubelgeschrei am verstecken oder fangen spielen zu beteiligen.

      Man kam in ein Alter, in dem man nicht nur in der Schule mit politischen Begebenheiten konfrontiert wurde und diese, wenn vielleicht auch vorerst für sich selbst, versuchte zu verstehen und dessen Bedeutung richtig einzuordnen. Fragen traten auf: Warum macht man Geheimnisse um „Westzeitungen“, „Westkinofilmprogramme“ oder Fotos mit „Westschauspielern oder Sängern“? Warum darf man diese Dinge nicht besitzen und erst recht nicht mit in die Schule bringen, um eventuelle „Tauschaktionen“ vorzunehmen? Warum ist der Kontakt mit westdeutschen Familienmitgliedern untersagt und warum verbietet man das westdeutsche Fernsehprogramm? Eines Tages wurde ich mit einem diesbezüglichen Ereignis das erste Mal konfrontiert und versuchte mich damit auseinander zu setzen. Ein Mädchen aus meiner Klasse reichte eine westdeutsche Illustrierte in der Pause herum. Sie schaffte es dann nicht schnell genug, die besagte Zeitung wieder rechtzeitig in ihrer Schultasche verschwinden zu lassen. Der Lehrer nahm ihr sofort die Zeitung weg „Wo hast du das her?! Das ist klassenfeindliches Material, gib das her, das wird eingezogen und vernichtet! Wenn ich dich noch mal damit erwische muss ich es dem Direktor melden!“. Meine Freundin Gabi flüsterte mir zu: „Wir gehen in Zukunft lieber erst zu mir, um die Bilder zu holen, die wir tauschen wollen“. Ich stimmte ihr leise flüsternd zu: „Ja o.k. ist sicher besser so“. Auch wir nahmen zu Anfang manchmal solches angeblich „klassenfeindliches Material“ mit in die Schule, um gleich vor Ort unsere neuen Errungenschaften zu präsentieren. Ich war stolz einen Stapel westdeutscher Filmprogramme, Fotos von Schauspielern und etc. von einer Kollegin meiner Mutter geschenkt bekommen zu haben. Eine wahre Schatzkiste war das damals für mich, … eine verbotene noch dazu. Also unterließen wir es künftig lieber, besagte Dinge mit in die Schule zu nehmen. Heute lächele ich darüber, wenn ich an die Worte meiner Freundin denke, die da sagte: „Mensch, das wäre ein riesiger, unwiederbringlicher Verlust gewesen, wenn das alles weg gewesen wäre!“. Die Sachen, die vom so genannten Klassenfeind, also von den Kapitalisten stammten waren eben verboten. So gab es nur wenige Kinder, die hin und wieder Garderobe aus Westdeutschland erhielten. „Westklamotten“, nannte man das. Um die Herkunft eben dieser Klamotten zu tarnen, mussten Firmen oder Reklameschilder die darauf aufgenäht waren entfernt werden, wir brauchen keinen westdeutschen kapitalistischen Schund, … so hieß es. Bis auf wenige Ausnahmen hatten wir Kinder damals keine auffallende Kleidung an, in der Schule schon gar nicht. Heute haben die Kinder, dessen Eltern nicht das Geld haben, um teure, so genannte Markenware zu kaufen das Nachsehen. Sie werden gehänselt oder sogar gemobbt, ein Umstand, den ich aus meiner eigenen Schulzeit überhaupt nicht kenne.

      Meine Eltern gingen, so gut wie alle Mütter und Väter, den ganzen Tag zur Arbeit, also aßen wir in der Schule zu Mittag. Diese Schulspeisung gab es in der DDR bereits unmittelbar nach dem 2. Weltkrieg, obwohl nach dem Krieg die Versorgungslage sehr schlecht war. Wir Kinder waren nicht verwöhnt und ich habe somit nicht wirklich negativen Erinnerungen an das Schulessen. Wie immer und überall gab es natürlich Gerichte, von denen man nicht so begeistert war. So zum Beispiel erinnere ich mich an Nudeln und Tomatensoße, wobei die Nudeln immer in einer riesengroßen Pfanne ganz dick zusammengeklebt waren, sodass die Köchin sie mit einem Pfannenwender abstechen musste. Die Nudeln landeten dann wie ein Paket auf unserem Teller. Verzichtet habe ich nur auf mein Essen, wenn es das so genannte „Saure“ gab, das war ein Ragout aus Innereien, welches mit Essig sauer zubereitet war. Wenn ich diese graue, dünne Soßenbrühe sah, dann lief es mir kalt den Rücken hinunter. Dafür verschlang meine Freundin ihre Portion mit wachsender Begeisterung, … und meine gleich mit, weil ich sie ihr „großzügig“ überließ und froh war, dass ich diese Herrlichkeit los war. Zum Tausch bekam ich ihren Nachtisch, den es jeden Tag gab, mal als Pudding, Obst oder Quarkspeise. So ein Schulessen kostete 50 bis 0,75 Pfennig. Wir konnten auch in der Pause an der Frischmilchversorgung teilnehmen, die es als Milch und manchmal auch als Kakao in kleinen Flaschen (250ml) gab. Wie viel sie gekostet hatte weiß ich nicht mehr so genau, nur, dass man im Laden für eine Flasche Vollmilch (500ml) 0,36 Pfennig bezahlte. In den Ferien, wenn wir nicht am örtlichen Ferienlager teilgenommen haben, besorgte unsere Mutter im Krankenhaus für uns Kinder Gastessenmarken. In den Betrieben, so auch im Krankenhaus gab es für das Personal meist drei verschiedene Essen, wobei eins davon speziell für Diabetiker zubereitet wurde. Diese Essenspreise bewegten sich zwischen 0,75 Pfennig und 1,20 Mark.

      Wir Kinder besaßen, wie alle Mitschüler, jeder einen Haustürschlüssel weil die Eltern nicht zu Hause waren wenn wir von der Schule kamen. Daheim warteten verschiedene Aufträge auf uns, die wir Kinder nach der Schule zu erledigen hatten, zumindest die größeren von uns. Weil mein Bruder, wie schon gesagt, vier Jahre jünger war als ich, kam er in dieser Beziehung noch „gut weg“, wie es heißt. Mein Zimmer aufzuräumen war die erste Pflicht,