Margarithe W. Mann

Ich war ein Kind der DDR


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der gleichen Aufgabe, wie zum Beispiel Milch holen. Es gab noch keine Milchflaschen oder gar Tüten. Die Milch, Quark und auch die Sahne kaufte man lose. Das heißt, die Verkäuferin füllte aus einer großen Kanne so viel Milch in unsere kleinen Blechkannen ab, wie wir Geld dafür mitbekommen hatten und verschloss dann das Gefäß mit dem dazugehörigen Deckel. Aber kaum waren wir auf der Straße, nahmen wir den Deckel ab und begannen mit unserem Wettkampf, mit dem Schleudern der Milchkanne. Die Kanne wurde mit einem Arm ganz schnell im Kreis geschlenkert, dabei durfte keine Milch verschweppern. Ich weiß noch zu gut, dass unserem Kumpel Fritz einmal dabei die ganze Milchkanne samt Inhalt aus der Hand flog und irgendwo im Dreck landete. Der stimmte natürlich sofort ein mächtiges sirenenartiges Geheul an, es war kaum noch Milch in seiner Kanne verblieben, sie war logischerweise ausgelaufen. Stattdessen war Dreckwasser aus der Pfütze mit dabei, … aber wir waren ja Freunde und jeder von uns gab ihm etwas aus seiner Kanne ab, egal, ob nun noch Dreck in Fritzens Kanne war oder nicht. Zu Hause sagte ich auf den fragenden Blick meiner Mutter: „Mutti, es gab heute leider nicht mehr so viel Milch, weil sie schon gleich alle war“. Ob sie das wohl geglaubt hat? Wohl eher nicht, denn das Geld war ja auch „alle“.

      Natürlich hatten wir als Kinder damals auch allerhand Unsinn im Kopf. „Flausen im Kopf“, wie sich mein Vater immer auszudrücken pflegte. So haben wir zum Beispiel den Durchgang auf dem Bürgersteig mit einem Strick abgesperrt, uns rechts und links davon postiert und die Leute erst vorbei gelassen, wenn sie uns einen Groschen ( heute 10 Cent ) dafür bezahlt haben. Es gab kaum jemanden, der uns seine Bezahlung für das weitere passieren des Bürgersteiges verwehrte. Auch der alt bewährte „Klingelsturm“ war bei uns beliebt und manchmal waren wir auch dabei recht kess. Wir klingelten solange, bis jemand vom Fenster heraus auf die Straße schaute um zu sehen wer da sei. Dann haben wir etwas zugerufen, wie zum Beispiel: „Haben Sie Schokolade oder Bonbons für uns?“. Wenn man es verneinte, dann riefen wir: „Dann machen Sie das Fenster zu, sonst wird es kalt!“. Aber fast immer warf man uns eine Hand voll Bonbons herunter. Der kleine Fritzla, wie wir ihn auch nannten, hatte mal bei einem Klingelsturm einem Opa oben am Fenster zugerufen: „He, Opa, … hast du Weißkraut?!“. Als dieser mit:„ Nein, hab` ich nicht!“, antwortete, schrie der Fritzla zurück: „ Warum steckst du dann deinen Kohlkopf zum Fernster hinaus?“. Oh, da wurde der Opa natürlich ärgerlich: „Du kleine Rotznase! Du verflixter Bengel! Na warte, gleich komme ich herunter, dann gibt’s was auf dein Hinterteil!“. Natürlich nahmen wir schleunigst reiß aus und versteckten uns im nächst besten Hauseingang bis die „Gefahr“ vorüber war.

      Als größere Schwester hatte ich manchmal den Auftrag kurz auf meinen Bruder aufzupassen, wenn meine Mutter außer Haus ging um noch schnell etwas zu erledigen. Einmal, als meine Mutter nicht da war und mein Bruder vom Mittagsschlaf aufgewachte, tobte er in seinem Bett umher und rief: „Guck mal, ich bin Helmut Recknagel!“(damaliger bekannter Skispringer). Von einem Stuhl aus absolvierte er mehrmals seinen Absprung ins Bett, solange bis er irgendwann sein Ziel verfehlte und mit der Stirn auf die Bettkante knallte. Das Resultat war eine stark blutende Platzwunde über der einen Augenbraue und meine Mutter war „bedient“, weil der Rest des Tages in der Poliklinik zugebracht werden musste, damit die Wunde genäht werden konnte. Ich war damals noch nicht alt genug, die eventuellen Folgen abzusehen und ihm zu sagen, dass er das lieber bleiben lassen sollte. Meine Mutter meinte aber: „Du bist die ältere und müsstest eigentlich schon vernünftiger sein“.

      Die Zeit verging und irgendwann brauchte ich nicht mehr in den Kindergarten zu gehen, … ich war nun ein Schulkind. An meine Schuleinführung kann ich mich eigenartiger Weise überhaupt nicht erinnern, aber sehr wohl an meinen ersten Lehrer. Er hieß Lehrer Müller und war in meinen Augen ein uralter Mann, ein Opa, aber er war sehr gut und geduldig mit uns Kindern. Ich kann mich an kein einziges lautes Wort von ihm erinnern. Er trug immer einen langen dunkelgrünen Lodenmantel und eine Baskenmütze. Unser Lehrer Opa Müller war viel mit uns Schülern unterwegs in der Natur, er unternahm mit uns Kindern Spaziergänge über Felder und Wiesen, ging mit uns in den Wald und zeigte und essbare Pilze. Er lehrte uns grundlegende Dinge, zum Beispiel, wie man Kühe, Schafe und Ziegen von einander unterscheidet und wie man sie füttert. Er erzählte uns von Haustieren und sorgte mit der Erklärung dieser Dinge für ein grundlegendes Allgemeinwissen bei uns Kindern.

      Am Anfang meiner Schulzeit habe auch ich noch im Unterricht mit Kreide auf Schiefertafeln geschrieben. Wenn etwas verkehrt war, was wir geschrieben oder gerechnet hatten, konnte man es leicht mit einem kleinen Schwämmchen abwischen. Wenn wir fertig mit dem waren, was man von uns wissen wollte, dann haben wir unsere Schiefertafeln hoch gehalten, damit unser Lehrer sehen konnte, ob es richtig war, was wir gerechnet oder geschrieben haben. Unsere Schulbänke sahen ganz anders aus als heute. Es waren Bänke aus Holz, immer vier Kinder saßen nebeneinander in einer Schulbank. Die Sitze waren miteinander verankert. Die Schreibfläche war leicht nach vorne geneigt und hatte eine Einkerbung für die Kreide. Später diente diese Rille als Ablage für die Stifte. Es gab eine Vertiefung für das Tintenfass, weil wir noch keine Füllfederhalter mit Tintenpatronen so wie es sie heute gibt besaßen. Ganz am Anfang schrieb man mit Federkielen, die man in das Tintenfass eintauchen musste. Später gab es dann den Federhalter, man zog ähnlich wie mit einer Spritze die Tinte aus dem Tintenfässchen auf um die Tinte nachzufüllen. (Meine Eltern schrieben zu ihrer Schulzeit noch mit dem Griffel, der bestand auch aus Schiefer. Besonders bei der Landbevölkerung benutzte man lange diese Schiefertafeln und Griffel, das ergab sich aus dem oft sehr weiten Weg zur Schule, damit in der Schultasche so wenig Ballast wie möglich mit sich geführt werden musste. Der Schulweg war nicht selten mehrere Kilometer lang. Busse gab es nicht und ein Fahrrad besaß vor meiner Zeit kaum ein Kind.)

      Während ich die erste Klasse besuchte wurden wir in die Pionierorganisation Ernst Thälmann aufgenommen (Gründung dieser Organisation war am 13. Dezember 1949). Drei Jahre lang waren wir nun Jungpioniere. Wir bekamen ein blaues Halstuch, eine weiße Bluse und ein blaues Käppi. Bis zur 3. Klasse nannten wir uns also Jungpioniere. Die Mädchen trugen einen blauen Rock und die Jungs eine blaue Hose. Pionierkleidung, sagte man dazu. Diese Pionierkleidung wurde getragen, wenn wir auf dem Schulhof Fahnenappell antraten, der zu verschiedenen Anlässen, wie beispielsweise zum Schuljahresende oder – Anfang veranstaltet wurde. Der Appell wurde mit dem Pioniergruß eröffnet, dabei wurde die rechte Hand über den Kopf gehoben, der Daumen zeigte zum Kopf, die restlichen, nebeneinander liegenden Finger wiesen in Richtung Himmel. Blaue Wimpelketten zierten den Schulhof. Der Pioniergruß lautete vom Lehrer gesprochen: „Für Frieden und Völkerfreundschaft seid bereit“. Wir antworteten mit „Immer bereit“. Auch gingen wir mit genannter Pionierkleidung zum Pioniernachmittag. Das waren Veranstaltungen, bzw. Treffen, die außerhalb des Unterrichtes stattfanden. Es wurde gebastelt, gemalt, getöpfert, gesungen und Altpapier gesammelt. Wir Kinder gingen von Haus zu Haus und fragten die Leute, ob sie alte Zeitungen und alte Flaschen oder Gläser für uns haben.

      (In späterer Zeit schrieb Kurt Demmler: … „Hab`n se nicht noch Altpapier, Flaschen Gläser oder Schrot, … liebe Oma, lieber Opa, klingelinge ling ein Pionier, klingelinge ling steht hier ein roter. Habn`se nicht noch Altpapier, Flaschen, Gläser oder Schrott, klingeling, schnell geb`n ses mir, sonst holt sich`s die FDJ“ ...)

      Das dabei verdiente Geld kam in die gemeinsame Klassenkasse und wurde entweder für Schulnachmittage verwendet oder für Afrika gespendet. Das war doch alles gar nicht so schlecht, oder? Wir waren unter Aufsicht und wurden beschäftigt.

      Bei uns in der DDR hatten Polizeibeamte den Namen: Volkspolizei, die insbesondere während der ersten Schuljahre, aber auch teilweise bereits im Kindergarten uns Kindern einen Besuch abstattete, um uns richtiges Verhalten auf der Straße beizubringen. Schüler der höheren Klassen fungierten als Schülerlotsen, die den Kleineren beim Überqueren der Straße vor dem Schulgebäude behilflich waren. In diesem Zusammenhang ist mir das Lied vom Volkspolizisten als regelrechter Ohrwurm in Erinnerung geblieben:

      „Ich stehe am Fahrdamm, da braust der Verkehr,

      ich trau mich nicht rüber, nicht hin und nicht her,

      der Volkspolizist, der es gut mit uns meint, der führt mich hinüber, er ist unser Freund …“.

      Natürlich bekamen wir auch Besuch von den Soldaten der Nationalen Volksarmee. Es wurde uns erklärt, dass unsere Soldaten darauf Acht geben, dass wir alle