Eric Boss

Blood Vision


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dem eingeschalteten Computer und der Tatsache, dass er vollständig angezogen auf seiner Couch lag, herzustellen. Achttausend Dollar ...

      „Was hast du gesagt? Wo soll ich hinkommen?“ Mit einem Ächzen erhob sich Michael und schlug sich dabei sein Knie an. Der Tisch wackelte, mehrere leere Dosen schepperten zu Boden und die Computermaus fiel halb vom Pad. Er zerbiss sich einen Fluch auf der Zunge und beobachtete, wie das Schwarz des Bildschirmschoners sich langsam in einen grünen Pokertisch verwandelte. Verdammt, hatte er gestern wirklich eine Achttausend Dollarhand verloren? Mehrere Monatsgehälter in nicht mal einer Minute?

      „Hallooooo ... komm endlich raus! Ich warte hier vor deiner Wohnung.“ Kate Landers klang geduldig wie immer.

      „Ist dir klar, wie aufdringlich so was ist?“ Zum ersten Malan diesem viel zu frühen Morgen grinste Michael.

      „Beweg endlich deinen faulen Hintern!“ Auch Kate lachte leise.

      „Ach, leck mich!“

      Ein paar Minuten später saß Michael neben Kate im Auto und bemühte sich nicht auf ihre Brüste, die bei jedem Gangschalten provokant auf und ab wippten, zu starren.

      Der einzige Grund, warum er seinen Blick letztlich fast gewaltsam davon losriss und sich seinen kindischen Kommentar verkniff, war die Tatsache, dass er Kate wirklich mochte.

      Denn ironischerweise war Kate die einzige Person im ganzen Präsidium mit der Michael freiwillig zusammenarbeitete. Michael Scott, der ehemalige Thai-Boxer und bekennende Misanthrop, der so absolut nicht zu ihr passte. Aber er hatte nie vergessen, dass sie damals zu ihm gehalten hatte. Gegen ihren Chef, gegen die Presse und gegen den Rest der Welt.

      „Wohin fährst du mich eigentlich?“, fragte Michael mit einem schiefen Grinsen. Er war froh nicht selbst fahren zu müssen.

      „Zum Elite Club“.

      „Hä, ist das nicht der SM-Club für Reiche?“

      „Genau“.

      „Oha, wenn du zahlst, gerne!“

      Während Michael auf eine Reaktion wartete, beobachtete er Kate. War sie schön? Er hatte sich diese Frage schon oft gestellt, ohne dabei auf eine befriedigende Antwort zu kommen. Schön eher nicht, aber hübsch auf jeden Fall. Irgendwie fehlte ihr die nötige Symmetrie, um wirklich schön zu sein. Die Nase etwas zu klein, das Kinn etwas zu markant und die Lippen etwas zu schmal.

      Als Kate eben diese zu schmalen Lippen zu einem pflichtbewussten Lächeln verzog, wusste Michael, dass sein flacher Witz wieder mal nicht angekommen war. Wie so oft. Und da machte er dasselbe, was er in solchen peinlichen Situationen fast immer machte.

      Statt nämlich einfach den Mund zu halten, machte er alles nur noch schlimmer: „Oder war der heutige Abend selbst für die SM-Typen zu bizarr?“

      Er lachte heiser und bemerkte, wie auch das pflichtbewusste Lächeln aus Kates Gesicht verschwand.

      „Das ist nicht lustig“, sagte sie leise.

      Michael nickte unbeholfen. Verdammt er wusste das! Genau darum trank er sich auch jedes Wochenende ins Koma. Um den Schmerz, die Sinnlosigkeit des Daseins zu vergessen. Um den grässlich entstellten Mordopfern zu entkommen, die ihn jede Nacht, in seinen Träumen, heimsuchten. Die Welt war nicht lustig! Ihre Scheiß Bewohner waren nicht lustig! Und dieser Fall war es auch nicht!

      Dieser verfluchte Fall.

      Michael spürte, wie das Hämmern in seinem Kopf stärker wurde. Warum hatte er ihn überhaupt angenommen? Lag es daran, dass er Mitleid mit den Opfern hatte? Lag es daran, dass die erfolgreiche Aufklärung sein Leben wieder in geregeltere Bahnen lenken konnte? Das hatte zumindest Kate gemeint.

      Oder war da doch noch etwas anderes?

      Nämlich der unerklärbare, scheußliche Nervenkitzel, der jedem erfolgreichen Ermittler nur zu vertraut war. Dieses bizarre Spiel, das sich stets zwischen ihnen und dem Täter entwickelte. Ein wenig wie Poker. Man täuschte, man bluffte, man suchte nach verborgenen Möglichkeiten, um tief in die Psyche eines Menschen einzudringen. Ja, wie Poker. Nur größer, grausamer und mit Menschen als Wetteinsatz.

      Michael seufzte so laut, dass Kate verwundert von der Straße aufsah. Er hasste sich selbst, wenn er so dachte. Allerdings wusste er auch, dass diese Gedanken die einzige Chance waren, weitere Opfer zu verhindern. Um die kranken, abstrakten Phantasien eines Psychopaten zu verstehen, musste man selbst ein wenig krank sein. Alle guten Ermittler wussten das.

      Und Michael Scott war nicht gut. Er war der Beste.

      3.

      Als sie den Elite Club erreichten, herrschte dort bereits reges Treiben. Ein kleiner, untersetzter Sergeant des CPD empfing sie missmutig und geleitete sie zum Tatort. Er grummelte unverständliche Satzfragmente vor sich hin und schritt so zügig durch die hohe, düstere Eingangshalle des SM Clubs, dass Michael und Kate Mühe hatten, ihm zu folgen. Vor einer schweren Holztür blieb er stehen und murmelte: „Viel Spaß“. Es klang gehässig.

      Als Michael zur Klinke griff, bemerkte er, dass seine Hände leicht schwitzten.

      Bilder erwachten vor seinem inneren Auge und ließen ihn frösteln. Bilder von grässlich entstellten Leichen.

      Das erste Mordopfer: eine junge Frau, im Sportbecken eines Freibades. Der Kopf kahl geschoren, die Augen fein säuberlich aus den Höhlen geschnitten. Darüber hinaus hatte der Mörder ihren Mund zugenäht, mit einem dünnen, schwarzen Faden. Als man sie fand, war ihr Körper von den Stunden im Wasser schon bleich und aufgedunsen.

      Das zweite Opfer wurde auf einem Schrottplatz, etwas abgelegen im Norden der Stadt, entdeckt. Ebenfalls eine junge Frau, auf genau dieselbe Art zugerichtet. Als man die Leiche fand, saß sie in einem alten, verbeulten Auto, die leblosen Hände am Lenkrad. Ihr Mörder hatte das Standlicht eingeschaltet, das auf einen riesigen Schrottberg vor ihr fiel. Die verschiedenen Lackierungen der Schrottautos reflektierten dieses Licht und warfen es auf gespenstische Weise zurück auf die Frau ohne Augen.

      Das Ganze war so unheimlich inszeniert, dass der Schrotthändler – ein vierschrötiger Kerl, der mehrere Strafen wegen Waffenbesitzes und Körperverletzung hatte – psychologisch betreut werden musste.

      „Michael ... alles klar?“

      Kates Stimme riss ihn aus seinen düsteren Gedanken.

      „Klar, gehen wir es an!“

      4.

      Michael rümpfte die Nase. Er konnte den scharfen Geruch von Luminol ebenso wenig leiden, wie er die Forensiker der Serologie leiden konnte, die ihn mit wichtiger Miene verbreiteten.

      Wie immer, wenn er einen Tatort betrat, stachen ihm die Typen der Spurensicherung als Erstes ins Auge. Grimmig verfolgte Michael ihr reges Treiben. In ihren Tyvek-Strampelanzügen schwirrten sie umher wie große Babys, denen man Hightechspielzeug gekauft und zu viele Folgen CSI gezeigt hatte.

      „Passen sie auf, Mann! Hier ist abgesperrt!“

      Ein Strampelanzug mit dicker Hornbrille rannte hysterisch auf ihn zu und gestikulierte wild mit beiden Armen. So wild, dass ihm die ALS-Lampe mit dem grünen Lichtfilter fast aus den Händen glitt.

      Und wie immer nahmen sie sich viel zu wichtig.

      Dabei waren es letztendlich fast immer Typen wie Michael, die Verbrechen aufklärten. Typen, die bereit waren ihren Verstand, ihre Normalität zu riskieren. Typen, denen es nichts ausmachte, bis zum Hals in Scheiße zu versinken. Manchmal auch tiefer.

      Denn wenn Technik versagte, bedurfte es anderer Talente. Michael genoss noch einen Augenblick lang den entrüsteten, fast panischen Gesichtsausdruck des dürren Mannes, ehe er sich der vielen Augenpaare bewusst wurde, die sich auf ihn und Kate richteten. Ihr Auftauchen war nicht unbemerkt geblieben.

      Während Kate sich demonstrativ näher