Dietlinde Beerbom

Entscheidung auf Sardinien


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kann ich mir nicht vorstellen. Du hättest mal sehen sollen wie die sich umarmt haben. Da passte kein Blatt Papier mehr dazwischen.“

      „Was ist denn danach passiert?“

      „Keine Ahnung.“ Man konnte Kerstin den Frust über den verpassten Ausgang der Geschichte deutlich ansehen. „Weil eine Bekannte vom Step-Aerobic auf mich zu kam, musste ich leider meinen Beobachtungsposten verlassen. Es wäre mir schon peinlich, wenn ich so offensichtlich beim Spannen erwischt würde. Meinst du Anja hat schon lange Etwas mit Christoph?“

      „Ich glaube überhaupt nicht, dass sie Etwas mit ihm hat. Der ist doch auch verheiratet.“, entrüstet sich Sabine.

      Doch Kerstin lässt sich nicht einschüchtern. „Als ob das ein Hindernis wäre!“

      „Stimmt! Aber ich kann mir das beim besten Willen nicht vorstellen. So etwas macht Anja nicht. Die ist doch total verknallt in ihren Rainer.“

      „Woher willst du...Oh, hallo Anja, Schätzchen! Da bist du ja endlich. Wir haben uns schon mal einen Prosecco genehmigt. Der haut ganz schön rein auf nüchternen Magen. Mensch, hab ich einen Hunger!“

      Zum Glück hat Anja nicht mitbekommen, worüber sich die beiden gerade unterhalten haben und begrüßt ihre Freundinnen mit Küsschen rechts und links. Dann fällt sie auf einen freien Stuhl und stöhnt: „Ich hab auch einen Riesenhunger. War das wieder ein anstrengender Tag!“

      „Lass uns erst mal etwas bestellen und dann erzählst du uns von deinem Tag“, sagt Kerstin und zwinkert Sabine heimlich zu.

      Drei Köpfe verschwinden in den Speisekarten. Kurz darauf winkt Kerstin ihrem Lieblingskellner zu. Mit einem verführerischen Augenaufschlag sagt sie: „Enrico, ich kann mich gar nicht entscheiden. Es hört sich alles so gut an. Kannst du uns etwas empfehlen?“

      Enrico zuckt nicht einmal mit der Wimper, denn diese Form der Bestellung hat sich schon zu einem festen Ritual zwischen ihm und Kerstin entwickelt. So hat er natürlich auch schnell die Empfehlung des Hauses parat: „Wir aben eute wunderbare, friesche Muscheln in einer Knoblauch-Kräuter-Marinade. Dazu kann isch den Damen einen Salate des Hauses und unsere leckere Ciabatta empfehlen. Dann noch eine wunderschöne Bardolino – natürlisch nischt so schön wie ihr, aber trotzdem gutte.“, gurrt Enrico in seinem absichtlich italienisch angehauchten Deutsch. Wenn er will, kann er völlig akzentfrei reden, aber so meint er, verführerischer zu wirken und das ist gut für das Geschäft. „Zum Abschluss noch eine kleine Tiramisu und ihr werdet das Lokal sähr glücklisch verlassen. Aber zuerst bringe isch eusch meine beste Grappa auf Kosten des Hauses.“

      „Das hört sich wunderbar an. Du weißt doch immer genau, was gut für uns ist.“, schnurrt Kerstin.

      „Ah, das Beste ist gerade gutte genug für meine Lieblings-Gäste!“, gibt Enrico charmant zurück.

      „Hat der nicht einen wirklich sexy Hintern?“, fragt Sabine ihre Freundinnen, sobald Enrico außer Hörweite ist.

      „Allerdings, den würde ich nicht von der Bettkante schubsen!“, behauptet Anja, woraufhin Kerstin und Sabine schon wieder einen heimlichen Blick austauschen.

      „Was ist denn mit dir los?“, hakt Kerstin gleich nach. „Ich denke, du bist so glücklich mit deinem Rainer-Schatzi.“

      „Man wird doch wohl mal gucken dürfen!“

      „Was sagt Rainer dazu, wenn du anderen Kerlen hinterher schaust?“

      „Was hast du immer mit Rainer? Der muss doch nicht alles wissen. Erzählst du denn Karsten, wenn du einen heißen Typen gesehen hast oder guckst du immer weg?“

      „Hey!“, fährt Sabine dazwischen. „Lasst uns erst mal in Ruhe essen, bevor ihr euch an die Gurgel geht.“

      „Genau!“, stimmt ihr Kerstin zu. „Dann haben wir auch mehr Kraft zum Zudrücken!“, behauptet sie mit todernster Miene.

      Daraufhin lachen alle drei und die leichte Anspannung löst sich wieder auf.

      Während sie das umwerfende Menü genießen, sprechen sie nur über belanglose Dinge wie das Tagesgeschehen, das Wetter, die neuesten Modetrends, denn sie wollen sich auf das Essen konzentrieren. Da würden ernsthafte Gespräche, die viel Aufmerksamkeit erfordern, nur stören. Außerdem haben sie noch den ganzen Abend Zeit.

      Nach dem Dessert legen sie sich entspannt in ihren Stühlen zurück und halten sich die gut gefüllten Bäuche. „Noch einen kleinen Absacker?“, fragt Kerstin ihre Freundinnen.

      Da gibt es erwartungsgemäß keinen Widerspruch und Enrico darf zum wiederholten Male, ohne die geringste Ahnung davon zu haben, die visuellen Wünsche der Damenrunde zufrieden stellen.

      „Meine Güte, der ist aber auch wirklich ein Sahneteilchen!“, haucht Anja ganz verzückt.

      Ein willkommener Anlass für Kerstin, um wieder zum Thema zurückzukehren. „Sag mal, Anja, wie läuft es so bei euch zu Hause?“

      „Woher kommt dein plötzliches Interesse an meiner Ehe?“, fragt Anja statt einer Antwort.

      Kerstin nimmt kein Blatt vor den Mund. „Ich will ehrlich zu dir sein. Als ich gestern an deinem Bürofenster vorbei kam, habe ich gesehen, wie du und Christoph in inniger Umarmung versunken wart. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Rainer das gutheißen würde. Läuft da etwas bei euch?“

      „Gut, dass du mich und nicht Rainer darauf ansprichst. Mit so einer blöden Geschichte kann man eine Menge Unfrieden stiften, nur weil man die Tatsachen völlig falsch interpretiert – wie du es anscheinend getan hast. Ich hätte nicht erwartet, dass du so dumm bist, voreilig falsche Schlüsse zu ziehen. Aber gut, ich denke, eine ehrliche Frage verdient eine ehrliche Antwort: ja, wir haben uns in den Arm genommen, aber nein, wir haben nichts miteinander. Ich hatte Christoph erzählt, dass meine Schwester beim Putzen von der Leiter gefallen ist und sich den Arm gebrochen hat. Er hat mich nur in den Arm genommen, um mich zu trösten.“

      „Ach, so ist das. Tut mir leid, dass ich so vorschnell geurteilt habe, aber es sah wirklich so innig aus, dass mir gar keine harmlose Erklärung in den Sinn kam. Ich war total verwirrt. Warum hast du uns denn nicht erzählt, dass deine Schwester von der Leiter gefallen ist?“

      „Weil ich noch nicht die Gelegenheit dazu hatte. Es ist erst gestern Morgen passiert und ich sah keine Veranlassung, euch deswegen anzurufen, wo wir doch sowieso für heute verabredet waren. Sie ist schließlich nicht gestorben, sondern hat sich nur den Arm gebrochen.“

      „Na, immerhin war es so schlimm, dass du dich von Christoph trösten lassen musstest.“ Diese Bemerkung kann sich Kerstin einfach nicht verkneifen.

      „Ja. Ihr kennt doch meine Schwester. Der Armbruch an sich ist nicht so schlimm, aber das zieht natürlich einen Rattenschwanz nach sich. Da der Arm von oben bis unten eingegipst ist – sie macht schließlich keine halben Sachen, sondern hat ihn gleich an zwei Stellen gebrochen – kann sie sich in der nächsten Zeit nicht alleine versorgen. Nun ratet mal, wer die Ehre hat, sie bis zu ihrer Genesung bei sich aufzunehmen?“

      Kerstin und Sabine stöhnen mitleidig auf und antworten wie aus einem Mund: „Du Arme!“ Sabine fügt noch an: „Ausgerechnet deine nun wirklich ziemlich anstrengende Schwester. Was hat sie überhaupt geputzt, dass sie eine Leiter benutzen musste?“

      „Immer, wenn sie unzufrieden ist, fängt sie an alles zu wienern, was außer ihr kein Mensch abstauben würde. Dazu gehören dann auch so ausgefallene Dinge wie die Abdeckdosen der Lampen unter der Decke. In ihrem Wohnzimmer hat sie gleich zwei davon und weil sie der Meinung war, dass sie bestimmt beide in einem Durchgang säubern könnte, wenn sie die Leiter in die Mitte der beiden Dinger stellt, hat sie sich so weit zur Seite lehnen müssen, dass sie mit der Leiter umgekippt und ins Wohnzimmer geknallt ist. Dort ist sie zwischen ihrem Sofa und einem kleinen Beistelltisch auf dem Fußboden gelandet. Zum Glück hatte sie genau an der Stelle ein paar dicke Bodenkissen gestapelt, die als zusätzliche Sitzgelegenheit dienen können, wenn Besuch kommt. Die haben ihren Sturz abgefangen und Schlimmeres