Michael Stuhr

DIE GABE


Скачать книгу

er sich vor sein Notebook und versuchte ein wenig zu arbeiten, als es schon wieder an der Tür klopfte.

      Mit einem Seufzer stand Diego auf und öffnete. Diesmal war es wirklich der Kurier mit den Büchern. Hinter ihm stand ein Mann von der Security. Der Kurier rollte die Kiste mit einem kleinen Transportwägelchen in das Zimmer und stellte sie mit einem deutlichen Schnaufer der Erleichterung auf den Boden.

      „Steht sie auch weit genug auf der rechten Seite?“, ließ Hercule sich von seinem Bett aus hören.

      Diego drückte dem Mann eine Fünfdollarnote in die Hand, bedankte sich und begann, die Kiste zu öffnen.

      „Was haste da? Was ist das?“ Sofort nachdem der Fremde zusammen mit dem Sicherheitsmann gegangen war, sprang Hercule auf und stellte sich neben Diego, der betont langsam den Deckel öffnete.

      „Och, Bücher!“ Hercule war enttäuscht.

      „Ja, Bücher!“, bestätigte Diego. „Wo sind deine eigentlich?“

      „Hab keine. Erst mal abwarten. Die sagen mir schon was ich brauche, dann hol ich’s mir. Außerdem hast du ja jede Menge von dem Zeug dabei. Kann ich mir ja leihen.“

      „Äh, du machst Philosophie und ich Medizin.“

      „Na und?“, meinte Hercule. „Wird schon irgendwas dabei sein. Buch ist Buch!“

      „Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?“ Diego war sich nicht ganz sicher.

      „Spaß muss sein, sonst kommt keiner zur Hinrichtung!“, grinste Hercule. „Verstehste?“

      Diego verstand nicht und wandte sich mit einem leichten Kopfschütteln wieder seiner Bücherkiste zu.

      „Bäh, immer noch der alte Stockfisch!“, beschwerte Hercule sich. „Das war ´n Spaß, Mann. Jetzt lach doch mal. Mach dich locker, Mann!“

      Als Diego nicht reagierte und weiter in der Kiste herumkramte, hob Hercule kurz die Schultern und wechselte das Thema: „Übermorgen hole ich mir übrigens meine Desert Eagle ab“, trompetete er los. „Hab ich mir heute bestellt. Sofort mitnehmen ging nicht. Zweiundsiebzig Stunden Wartezeit.“

      „Desert Eagle, was ist das? Ein Geländemotorrad?“ Diego stellte den ersten Packen Bücher in sein Regal.

      „Quatsch!“, lachte Hercule. „Das ist ne .45er. Soo ne Wumme!“ Mit den Händen zeigte er eine Länge von knapp einem halben Meter an. „Damit kannst du durch Ziegelwände schießen.“

      Diego drehte sich zu ihm hin, und die noch nicht abgestützte Bücherreihe fiel mit einem leisen Klatschen um. „Du hast dir eine Pistole gekauft?“

      „Sofort nach dem Abschiedsküsschen von meiner Mutter. Das ist schließlich ein freies Land hier – nicht so langweilig wie Frankreich – und immerhin bin ich seit Neuestem Amerikaner. Da habe ich das Recht ...“

      „Das glaub ich jetzt nicht. Was willst du mit dem Ding?“

      „Nur so.“ Hercule hob die Schultern. „Man weiß ja nie. Besser man hat eine und braucht sie nicht, als man braucht eine und hat sie nicht.“

      „Ah, ja.“ Diego wandte sich wieder seinen Bücherstapeln zu.

      „Da gibt es so einen Schießclub draußen vor der Stadt. Der Verkäufer im Waffenladen hat gesagt ich wär willkommen“, redete Hercule weiter. „Da kannst du rumballern, solange du willst. Klasse, was?“

      „Ah, ja.“ Schießplatz hörte sich gut an, aber vor seinem inneren Auge sah Diego trotzdem seinen Zimmergenossen mitten in der Nacht im Bett mit der geladenen Pistole herumspielen, während der erleuchtete Totenschädel dazu sang.

      07 DER ALTE AUFZUG

      Madame Ulliette lässt sich erweichen und so müssen wir nicht weiter zu Fuß laufen. Wir nehmen die Metro vom Louvre zum Gare de Saint Lazare. So wie sie sich allerdings seufzend auf einen Platz sinken lässt, scheint mir diese Entscheidung purer Eigennutz zu sein.

      „Was haben Sie eigentlich so die ganze Zeit im Louvre gemacht, Madame?“, fragt Coco sie neugierig und grinst dabei verschmitzt. Sie vermutet wahrscheinlich, dass Madame Ulliette sich die ganze Zeit im Museumsrestaurant ausgeruht hat.

      Mit einem lauten Hupen schließen sich die automatischen Türen der Metro und so verstehen wir nur: „... endlich mal in Ruhe angeschaut.“

      „Was angeschaut?“ fragt Coco nach.

      „Die Ägyptische Sammlung“, wiederholt Madame Ulliette geduldig. „Weißt du mein Kind, es gab einmal ein Land namens Ägypten“, sagt sie betont langsam, „und diese Ägypter ...“

      „Das weiß ich doch“, erwidert Coco mit hochrotem Gesicht, „ich hatte das nur akustisch nicht verstanden.“ Ärgerlich schüttelt sie den Kopf und dreht sich weg.

      Madame Ulliette grinst und schließt, sich zurücklehnend, die Augen. Niemand stört sie mehr mit neugierigen Fragen.

      Am Gare de Saint Lazare schwingt sich Bea stöhnend hinter mich auf die Blaue Elise und wir knattern durch die Rue d’Amsterdam in Richtung Montmartre davon. In einer Seitenstraße der Avenue de Clichy lasse ich sie vor ihrem Haus absteigen. „Was machst du jetzt noch?“

      „Mathe-Hausaufgaben“ seufzt Bea.

      „Die muss ich auch noch machen“, nicke ich. „Gut dass es nächste Woche Herbstferien gibt.“

      „Da sagst du was Wahres, also salut Chérie!“ Bea beugt sich vor und drückt mir rechts und links ein Küsschen auf die Wange. Am Eingang des alten Mietshauses winkt sie mir nochmal zu, schließt auf und schlüpft durch die knarrende Holztür. In diesem Haus wohnt sie mit ihrer Mutter und einer Katze in einer kleinen Dachwohnung.

      Ich winke zurück und setze meinen Weg fort. Elises knatterndes Motorgeräusch hallt laut zwischen den hohen Häuserwänden wider.

      Wir wohnen in der dritten Etage eines alten Jugendstilhauses. Jetzt erst merke ich, wie fertig ich bin. Schnaufend schleppe ich mich die Treppen hoch. Es gibt da zwar so einen altertümlichen Aufzug mitten im Treppenhaus, aber der macht immer so klappernde Geräusche. Wenn die Gitter hinter mir zugehen, fühle ich mich eingesperrt. Auf seinem Weg nach oben schnauft er wie ein Ungeheuer, das macht die Sache auch nicht besser. Wenn er hinunter fährt, ist es noch schlimmer. Dann zischt er so seltsam, dass ich jedes Mal Zweifel habe, ob er mich auch wirklich im Erdgeschoss rauslassen wird oder geradewegs mit mir in die Unterwelt hinabfährt. Nein danke, da steige ich lieber Treppen.

      „Es gibt heute Hähnchen mit Ratatouille“, ruft Didier mir freudestrahlend entgegen, als er die Tür öffnet. Schon flitzt er wieder in die Küche. Von dort duftet es sehr vielversprechend und mein Magen stimmt mir mit lautem Gebrummel zu.

      „Bist du das Lana?“, ruft Maman aus der Küche.

      Ich stelle den Rucksack neben die Flurgarderobe und gehe zur Küchentür. „Ja“, sage ich, nichts Gutes ahnend.

      „Hallo Schatz, könntest du wohl noch mal rasch zu Madame Ledoux fahren und frisches Baguette holen? Ich hab’s vergessen und Papa kommt gleich.“

      Ich hab’s geahnt! Wenn Papa mich Schatz nennt, ist er sauer auf mich, wenn Maman mich Schatz nennt, hat sie lästige Arbeitsaufträge. „Warum kann Didier eigentlich nicht gehen?“ starte ich einen aussichtslosen Versuch. Ich kenne die Antwort, sie ist immer die gleiche.

      „Weil ich ihn um diese Zeit nicht mehr auf die Straße schicken will und du bist mit Elise dreimal so schnell wieder da!“ Der Tonfall meiner Mutter lässt keinen Zweifel aufkommen, dass mit ihr darüber nicht zu diskutieren ist.

      „Okay“, murmele ich ergeben aufseufzend, stoße mich vom Türrahmen ab und nehme das Geld vom Küchentisch, das dort schon bereit liegt. Ächzend drehe ich mich um und schlurfe laut stöhnend den Flur entlang wie ein Gefangener in Ketten.

      „Du solltest dir doch überlegen, ob du nicht