Matthias M. Rauh

Die vom Tod verschmähte Katze


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Pappke.

      "Ja-aaah...", piepste sein wieseliger Diener artig.

      Valentin rannte, so schnell er konnte und schlug dabei Haken wie ein Kaninchen. Am Ende des Parks konnte er Pappkes Atem schon in seinem Nacken spüren.

      "Bleib stehen, du verdammter Loser!", rief sein Verfolger. "Ich krieg dich sowieso! Und dann mach ich dich platt!"

      Seine Flucht verschlug ihn in eine ihm völlig unbekannte Gegend. Er war in die Altstadt geraten - dunkle Gebäudefassaden, enge Gassen und Kopfsteinpflaster. Ein hässlicher Ort, der aber einen entscheidenden Vorteil hatte: Die Straßen waren verwinkelt. Und glücklicherweise war Pappke kein guter Läufer. Ein paar Gassen weiter hatte ihn Valentin abgehängt. Von Engels fehlte auch jede Spur. Völlig außer Atem, suchte er Deckung hinter einem Treppenabgang.

      Was für hirnverbrannter Idiot, dachte er und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Und da sich eine ganze Weile nichts rührte, wagte er einen vorsichtigen Blick aus seinem Versteck. Aber mehr als eine bucklige Frau war nicht zu sehen. Seine Verfolger hatten das Spiel verloren, diese Trottel.

      Doch damit war Valentin noch längst nicht aus dem Schneider. Er hatte unterwegs nämlich völlig die Orientierung verloren und nicht die leiseste Ahnung, wo er sich befand. Eines stand jedenfalls fest: Wenn er wieder zurück zum Park gelangen wollte, konnte er ganz gewiss nicht mehr jene Richtung einschlagen, aus welcher er gekommen war. Er war sich sicher, dass das Pickelgesicht dort lauern würde.

      Da kannst du warten, bis du schwarz wirst, schwor er sich, während seine Füße von einer vom Wind getriebenen Schar Laubblätter umzingelt wurden. Dann verließ er sein Versteck und beschloss, über eine etwas schräg einmündende Straße zum Park zurückzugelangen. Das würde zwar einen riesigen Umweg bedeuten, aber was sollte es schon? Den Linienbus konnte er ohnehin bereits vergessen.

      Er war kaum zehn Schritte weit gegangen, als plötzlich ein seltsames Rauschen und Plätschern in seine Ohren drang. Wasser. Er lief über die Straße und blickte in eine Seitengasse. Es war kaum zu glauben: Es regnete dort - nicht nur ein wenig, es regnete in Strömen.

      Und das hatte einen wahrhaft furchteinflößenden Grund: Ein riesiger Wolkenturm hatte den Himmel verdunkelt und schien seinen ganzen überflüssigen Ballast abzuladen. Es war ein Anblick, der Valentin höchst vertraut war - abgesehen von der Tatsache, dass sich der Wolkenturm nun nicht mehr über dem entarteten Bootshaus, sondern hier in der Altstadt befand.

      Man konnte nicht sehen, wohin die Gasse führte, da sie sich unterwegs in einer Biegung verlor. Krächzlaute mischten sich nun unter das Rauschen des Regens. Das waren die Krähen. Die ganze Schar flatterte gerade über seinen Kopf hinweg und ließ sich auf einer mannshohen Steinmauer nieder. Und als sie alle gelandet waren, ließ der Regen plötzlich etwas nach.

      Diese Gasse war schmaler als die vorangegangenen und schien, abgesehen von den Krähen, völlig verlassen zu sein. Valentin lief hinein und sah sich um. Gegenüber der Steinmauer befand sich ein dunkles Schaufenster, das die besten Zeiten auch schon lange hinter sich hatte. Die zerkratzten Buchstaben waren kaum noch zu entziffern und gehörten in ein anderes Jahrhundert. Was dahinter verborgen lag, konnte man nicht erkennen. Und da war auch schon wieder ein ganzes Meer getriebenen Laubes, welches ihm um die Füße tanzte.

      Ein Brombeereis, das wäre was, dachte er sich, nur um sich im selben Moment die Frage zu stellen, warum er jetzt schon wieder an Brombeeren denken musste.

      Da klirrte plötzlich Glas. Irgendetwas hatte ein kleines Element des unterteilten Fensters zerschmettert. Pappke...

      "Na, erschrocken, du Null?", höhnte er, während sich seine schweißnasse Hand in Valentins Jackenkragen grub. "Wolltest wohl abhauen, du Loser. Das mag ich aber gar nicht, wenn du so unartig bist."

      "Hör auf, du Trottel!", versuchte sich Valentin zu verteidigen. Aber gegen das Pickelgesicht konnte er nichts ausrichten.

      "Wieso aufhören?", spottete Pappke weiter. "Ich hab doch noch gar nicht angefangen."

      Er packte seinen Jackenkragen und zog ihn mit Gewalt zu. Dann riss er ihn vom Schaufenster weg, stellte ihm ein Bein und drückte ihn mit seinem ganzen Gewicht auf das klatschnasse Kopfsteinpflaster. Valentin hatte nicht den Hauch einer Chance.

      Erst jetzt kam auch Engels um die Ecke gewetzt. Er war völlig außer Atem, stellte seine Aktentasche auf den Boden und stützte sich mit den Händen auf seinen Knien ab.

      "Ach, daaaaah seid iiiihr! Jetzt hab ich´s...hhh...grad noch geschafft", japste er erleichtert, als hätte er in letzter Sekunde noch den Bus erwischt. Seine Nickelbrille beschlug bei jedem Atemzug.

      "Los", befahl ihm sein Gebieter. "Durchsuch seine Sachen!"

      "H-hmm."

      Er warf ihm Valentins Tasche vor die Füße, worauf Engels gleich die Reißverschlüsse öffnete und wie ein gieriges Wiesel darin herumgrapschte.

      "Wird´s bald!", brüllte sein Kommandant ungeduldig.

      "Was willst du denn haaaben?", fragte Engels mit kugelrunden Augen durch die trüben Gläser.

      "Ja, was wohl?", keifte das Pickelgesicht und zog Valentins Jackenkragen noch ein ganzes Stück fester zu. "Sieh nach, ob er Geld dabei hat."

      "Da ist nichts!", rief Engels, während er nervös in der Tasche herumkramte. "Alles wertlooos."

      "Dann sieh nach, ob er ´n Handy dabei hat!"

      Wieder fegten Engels´ dünne Ärmchen durch Valentins Sachen. Reißverschlüsse wurden geöffnet und geschlossen, während die Schreibutensilien über das tropfnasse Kopfsteinpflaster kullerten.

      "Da ist kein Handy!", brüllte er entsetzt. "Es ist Kraus, der hat doch sowiesooo nix."

      "Dann sieh nach, ob er Brombeermarmelade dabei hat."

      "Brombeermarmelaaade?", schrie Engels und sah Pappke völlig entgeistert an.

      "Ja!", brüllte er noch lauter. "Sieh nach, ob du welche finden kannst! Er muss sie hier irgendwo versteckt haben!"

      "Spinnst duuu?", krähte Engels und ließ die Tasche fallen.

      "Jetzt mach schon. Ich habe Hunger!"

      Da löste sich plötzlich der Würgegriff um Valentins Hals. Pappke hatte ihn losgelassen und fiel nun selbst wie ein gieriges Tier über die Tasche her. Die Schulsachen flogen im hohen Bogen durch die Gegend. Valentin konnte einfach nicht fassen, was sich da gerade vor seinen Augen abspielte.

      "Was ist denn looos mit diiir?", kreischte Engels in Panik und rüttelte an Pappkes Jacke, der offenbar von allen guten Geistern verlassen war.

      "Lass mich los! Ich hab es doch gerochen. Wir sind ganz nah! Ohne die Marmelade kann ich nicht existieren..."

      Irgendetwas in der Gasse stieß ein erbärmliches Quietschen aus. Und dann geschah es: Plötzlich wurden die Augen in der beschlagenen Nickelbrille ganz kugelrund. Engels stolperte einen Schritt zurück und begann zu stottern.

      "Da, da, da...schau! Schau mal, du, duuu...schau mal, da...daaaaah!" Er tippte Pappke mit dem Finger an, der nun ebenfalls aufsah und plötzlich Valentins Tasche fallen ließ.

      Und dann begannen beide wie aus heiterem Himmel zu schreien. Sie schrien, als hätten sie den Teufel höchstpersönlich gesehen. Augenblicklich sprangen sie auf und rannten davon.

      Mit diesem unerwarteten Ausgang der Auseinandersetzung hatte Valentin nicht gerechnet. Er rappelte sich vom Boden auf und begann wegen Pappkes unglaublicher Blödheit zu lachen. Was für eine dämliche Slapstick-Nummer...

      Aber es sollte ein höchst kurzer Moment des Glücks bleiben, denn plötzlich vernahm er in seinem Rücken das Geräusch einer zufallenden Tür.

       Rumms!

      Und schon hatte ihn eine riesige Pranke von hinten am Kragen gepackt und zerrte ihn in die Höhe.

      "Waah! Hilfe!"

      "Los, komm mit", befahl ihm eine knurrende Stimme.