Matthias M. Rauh

Die vom Tod verschmähte Katze


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Fersen hefte und mit ihnen kämpfe. Wozu sollte das gut sein? Hexenjäger sind ein Relikt der Vergangenheit. Und man kann von Glück reden, dass es sie nicht mehr gibt, dieses verkommene Gesocks. Ich verwalte nur das, was sie hinterlassen haben und sehe zu, dass diese Hinterlassenschaften keinen Schaden anrichten können."

      "Hinterlassenschaften?"

      "Die Kiste ist die Hinterlassenschaft eines Hexenjägers. Er hat die Hexe nach ihrer Hinrichtung gefangen und dort eingesperrt. Doch leider ist er wohl aus irgendeinem Grund nicht mehr dazu gekommen, sie fachgerecht zu beerdigen. Und du Tollpatsch hast sie wieder freigelassen. Den Schaden, den sie dabei angerichtet hat, kannst du jetzt am Ufer des Waldsees beobachten."

      "Geht das wieder weg?", wollte Valentin wissen.

      "Ich hoffe es", mutmaßte der Alte. "Allerdings kann es eine ganze Weile dauern, bis sich ihre Spuren durch den Wind verflüchtigt haben. Ich bin mir aber ziemlich sicher, dass die Hütte selbst dann noch ihre Eigenheiten behalten wird. Sie hat immerhin Hexenstaub abgekriegt. Brennender Zorn, verstehst du? Das Ding hätte dich im Handumdrehen pulverisieren können. Du hast wirklich Glück gehabt. Mehr Glück, als man erwarten kann."

      "Was machen Sie denn jetzt mit ihr?", fragte er bestürzt. "Werden Sie sie töten?"

      Der Alte schüttelte den Kopf. "Nein, das ist völlig unmöglich. Man kann nichts töten, was bereits tot ist."

      "Ach so. Und verbrennen?"

      "Sie ist bereits Asche. Hast du schon einmal versucht, Wasser zu verbrennen? Das ist ganz und gar unmöglich. Und vernichten kannst du es ebenfalls nicht."

      "Doch, es verdunstet", antwortete Valentin.

      "Richtig", stimmte ihm Augustinus zu. "Es verdunstet und sammelt sich anschließend zu dem, was du Wolken nennst, bevor es als Regen zu dir zurückkehrt. Du kannst es verdampfen, gefrieren oder sogar vergiften, was allerdings nicht sonderlich ratsam wäre. Du kannst Wasser sogar ins Weltall befördern. Dann verwandelt es sich eben in eine Schar schwereloser Eiskristalle. Es ändert dabei jedoch nur seinen Zustand, mehr nicht. Aber es wird niemals vernichtet werden, egal, was du damit anstellst. Es ist unzerstörbare Materie. Und genau das geschieht mit Hexenstaub, wenn du versuchst, ihn zu verbrennen."

      "Sie sind also völlig machtlos gegen die Hexe?"

      "Richtig. Völlig machtlos", erklärte er. "Die Unberechenbarkeit der Materie. Man könnte es natürlich auch die Unbesiegbarkeit der Materie nennen. Egal, was du auch tust - sie gewinnt immer. Denn alles ist zwar vergänglich, aber nichts vergeht. Und mit dem Hexenstaub ist das ähnlich. Er bleibt für immer und ewig. Das ganze Universum besteht schließlich aus Staub."

      "Soll das etwa heißen, dass ich das Ding nie wieder loswerde?", fuhr Valentin entsetzt in die Höhe.

      "Das nicht", beruhigte ihn der Alte. "Wir müssen die verbrannte Hexe nur an einen Ort bringen, an dem sie keinen Schaden mehr anrichten kann. Aber bis dahin müssen wir noch eine Weile warten. Man riskiert nämlich Kopf und Kragen, wenn man sie in diesem Zustand zu transportieren versucht. Sie hat Blut geleckt und sicher längst gemerkt, dass ein Teil von ihr wieder eingeschlossen ist. Und wahrscheinlich schmiedet sie bereits einen Plan, wie sie wieder herauskommen kann. Wir warten erst einmal ab, bis sie sich beruhigt hat, dann sehen wir weiter."

      "Dann darf ich wieder nach Hause gehen? Sie bringen mich nicht um?"

      "Wieso sollte ich dich umbringen?", überlegte Herr Augustinus und kratzte sich dabei nachdenklich am Kinn. "Aber da wir schon beim Thema sind: Ich habe in dem alten Bootshaus einen verrosteten Spaten und einen zerrupften Reisigbesen benützt. Denen ist der Staub auch nicht ganz so gut bekommen. Falls dir die beiden irgendwo begegnen, rate ich dir, den Kopf einzuziehen."

      "Waaas?"

      "Immer schön einziehen", wiederholte er. "Denk daran. Ein Besen und ein Spaten, kaum zu übersehen. Aha, wir bekommen Besuch..."

      Er blickte durch das kleine Fenster vor dem Tisch und öffnete es. Draußen kamen die Krähen gerade herbeigeflogen und vollführten einige wilde Kunststücke am Himmel. "Die haben richtigen Spaß heute", freute sich Augustinus.

      "Ich glaube eher, dass die hinter mir her sind", stöhnte Valentin. "Sind das Ihre Krähen?"

      Noch bevor der Alte antworten konnte, flatterte eine von ihnen herab, sauste durchs Fenster und setzte sich auf seine Schulter. Es war der Krähenspäher.

      "Das sind Rabenkrähen, die gehören niemandem. Aber sie hausen hier. Und wenn du nach dem Grund fragst, warum sie dir auf Schritt und Tritt gefolgt sind..."

      Er machte eine unmissverständliche Geste in die Richtung des Turmzimmers.

      "Habe es fast vermutet. Heißt das, dass die mich jetzt in Ruhe lassen?"

      "Woher soll ich das wissen? Es sind Rabenkrähen. Die treffen ihre Entscheidungen grundsätzlich selbst. Denen kannst du nichts vormachen. Die meisten Menschen mögen keine Raben. Viele sind sogar so dumm, Angst vor ihnen zu haben. Aber das ist ganz gut, denn so werden sie wenigstens in Ruhe gelassen. Die Menschheit ist einfach zu doof für derartige Wesen. Du kannst froh sein, dass sie mich alarmiert haben. Ohne die Krähen hätte ich nie im Leben gemerkt, dass etwas im Busch ist."

      "Woher wussten Sie dann, dass ich in diese Gasse laufen würde?", wollte Valentin wissen.

      Herr Augustinus blickte sehr geheimnisvoll in den Gewitterhimmel. "Du hast doch selbst gesagt, dass du gejagt wurdest. Wie ich schon sagte, das Unglück sucht sich seinen Raben, nicht umgekehrt. Und der Rest..." Er schob mit der Hand einen kleinen Kupferkessel zur Seite.

      "...ist nichts als Marmelade."

      Wahrscheinlich war es kein Zufall, dass er sich gerade in diesem Augenblick umdrehte und das riesige Buch wieder zurück ins Regal beförderte. Doch eine Frage konnte Valentin sich dennoch nicht verkneifen. Er wollte wissen, warum sich ein so gefährliches Wesen wie die Staubhexe von einer einfachen Kiste aus Holz und Eisen im Zaum halten ließ.

      "So niederträchtig das Hexenjägergesindel auch war. In diesem Fall haben sie zumindest gewusst, was sie taten", meinte Herr Augustinus. "Es ist das Holz der Kiste, das ihr die Grenzen aufzeigt. Birkenholz oder auch Hexenwurzelholz. Das vertragen sie nicht. Sein Geruch schläfert sie ein. Die Eisenbeschläge und das Schloss sind nur dazu da, um die Kiste zusammenzuhalten und den Inhalt vor ahnungslosen Langfingern wie dir zu schützen."

      Valentin senkte abermals den Kopf. "Und warum haben Sie die Kiste in Ketten gelegt?"

      "Nun, du hast sie ja ordentlich ramponiert. Ihr Schloss ist hinüber, Birkenholz hin oder her. Aber das neue Schloss ist auch nicht schlecht."

      "Und warum verriegeln Sie dann noch die Tür?"

      "Reine Vorsichtsmaßnahme. Staubhexen sind tückisch. Wenn du glaubst, sie würden etwas nicht können, könnte das schon der erste Fehler sein - und...wenn´s richtig schiefläuft, auch der letzte."

      "Und was mache ich nun mit dem Bootshaus?"

      "Gar nichts", sagte der Alte, jetzt in einem sehr bestimmenden Tonfall. "Du wirst dich der Hütte nicht mehr nähern. Sie hat Hexenstaub abbekommen. Könnte sein, dass sie so etwas wie ein Bewusstsein entwickelt hat. Heimtückische Sache..."

      "Und was ist mit anderen Menschen, die sich dem See nähern?", gab Valentin zu bedenken.

      "Nun, wenn sie Pech haben...", überlegte Herr Augustinus laut, schüttelte dann aber sogleich den Kopf. "Warum sollte ein Mensch eine verlassene Hütte im Wald aufsuchen?"

      "Vielleicht, weil es komisch ist, dass sie Gewitter anlockt?"

      "Hmm...nein", antwortete er. "Ich glaube kaum, dass gewöhnliche Menschen diese Art von Gewitter sehen können. Nein, die sehen nichts. Die haben eigentlich noch nie irgendetwas gemerkt. Vergiss sie einfach. Mach´s wie die Krähen. Die lachen sich kaputt darüber."

      "Dann bin ich kein normaler Mensch?"

      "Offensichtlich nicht. Aber mehr ist ja nicht passiert."

      "Gibt es mehrere, nicht normale Menschen?"

      "Das