Heidi Dahlsen

Ein Hauch Zufriedenheit


Скачать книгу

Texte heute immer noch mitsprechen.“

      Sie setzen sich auf die Couch und genießen die Musik.

      Als Lydia bei ihnen ankommt, hat die Dämmerung bereits eingesetzt. Die Lichter der Außenbeleuchtungen lassen die tief verschneite Waldsiedlung in einem festlichen Glanz erstrahlen.

      „Leider ist von den weihnachtlichen Dekorationen der anderen Anwohner nicht mehr viel zu sehen“, denkt sie.

      Vor der Haustür klopft sie sich den Schnee von den Stiefeln und betritt den Flur.

      „Das ist das Schöne an Christines Zuhause – man kann einfach eintreten und ist immer willkommen.“

      Lydia lächelt ihre Freundin an, die ihr entgegenkommt und übergibt ihr eine Flasche Rotwein sowie einen wunderschönen Adventsstrauß.

      Ihre Augen beginnen zu glänzen, als sie im Wohnzimmer die vielen Kerzen sieht, deren Licht den Raum erhellen. Am Adventskranz brennen vier dicke rote Stumpenkerzen, und eine Pyramide dreht unermüdlich ihre Runden.

      Lydia genießt den Duft von frischem Tannengrün, Kaffee, Zimt und Lebkuchen und ist von der ganzen Atmosphäre, die von einem Weihnachtslied ergänzt wird, ganz bezaubert. Auf dem Tisch steht ein Teller mit Christines selbstgebackenen Plätzchen. In Gedanken lässt sie sich diese schon auf der Zunge zergehen.

      „So stelle ich mir Weihnachten vor“, sagt sie fast feierlich und begrüßt nun auch Olli.

      Da die Schallplatte gerade zu Ende ist, geht er zum Plattenspieler und legt eine andere auf.

      Lydia hört, dass die Jungs in der oberen Etage toben und fragt lächelnd: „Wie haltet ihr das nur aus?“

      Christine und Olli sehen sich an und grinsen.

      „Das ist alles nur Gewohnheitssache“, sagt er. „Für uns ist das eigentlich eher Musik in den Ohren. Wir genießen das Zusammensein einfach und sind alle froh, dass Sybille nach wie vor kaum Interesse an den Jungs hat. Wenn sie sie mal sehen will, spricht sie das mit Christines Mutti ab. Ich werde Sybille hoffentlich zur Scheidung nur kurz ertragen müssen. Ansonsten ist mein Bedarf an ihr mehr als gedeckt.“

      „Richard erstarrt immer noch zur Salzsäule, sobald Sybille in seine Nähe kommt“, sagt Christine. „Meine Mutti musste ihm versprechen, bei ihm zu bleiben und aufzupassen, damit sie ihn nicht mitnehmen kann. Das ist Mutti in der Zwischenzeit schon peinlich, weil sie das Gefühl hat, Sybille zu beaufsichtigen.“

      „Das Misstrauen von Richard hat sie sich verdient“, sagt Lydia. „Darüber sollte sie sich eigentlich nicht beklagen.“

      „Karl-Otto ist stinksauer, weil er die Jungs seit dem Sommer nicht mehr sehen durfte und hat gedroht, gerichtlich gegen uns alle vorzugehen“, sagt Olli. „Mein Anwalt meint aber, dass er keine Chancen hat. Das Wohl der Kinder steht im Vordergrund, und dagegen hat er bisher massiv verstoßen.“

      „Es ist schon schlimm, dass deine Ehe so enden muss und die Kinder darunter leiden“, sagt Lydia zu ihm. „Aber bei euch haben die Jungs wenigstens die Möglichkeit, kindgerecht groß zu werden.“

      „Ich wundere mich, dass Sybille keinen Einspruch einlegt, weil die Kleinen in den Waldkindergarten gehen und dort fast den ganzen Tag an der frischen Luft sind. Wenn sie sehen würde, wie die manchmal nach Hause kommen …“, sagt Olli und strahlt dabei über das ganze Gesicht.

      „Nur gut, dass ich durch Daniels Ideenreichtum schon etwas abgehärtet bin“, sagt Christine. „Du kannst dir nicht vorstellen, was Bertram so alles für Lebewesen anschleppt. Letztens hat es im Flur unangenehm gerochen. Ich konnte nichts Verdächtiges finden, bis ich seinen Anorak waschen wollte und in einer Tasche einen Frosch fand. Bertram hat mir erzählt, dass er ihn eigentlich in einem Glas unterbringen wollte, damit ich immer weiß, wie das Wetter wird. Tja, so etwas lernen Kinder im Waldkindergarten. Aber an der Umsetzung des Gelernten müssen wir noch etwas arbeiten.“

      „Dabei hatten wir noch Glück“, ergänzt Olli, „weil der Frosch, bevor Bertram ihn fand, Bekanntschaft mit einem Autoreifen gemacht hat. Nicht auszudenken, wenn er einen lebendigen mitgebracht hätte. Dann hätten unsere Nasen sicher mehr zu schnüffeln bekommen.“

      „Seitdem er mal mehrere Regenwürmer in seiner Hosentasche gesammelt hatte, kontrolliere ich täglich sämtliche Taschen“, sagt Christine. „Tierliebe ist ja ganz schön, aber wie Bertram damit umgeht, ist etwas gewöhnungsbedürftig. Stellt euch nur Sybilles entsetztes Gesicht vor, wenn sie ständig mit dem mehr oder weniger lebendigen Getier konfrontiert werden würde.“

      „Dazu wäre es nie gekommen“, sagt Olli kopfschüttelnd. „Die Jungs durften ja kaum raus, damit sie sich an der frischen Luft nicht erkälten, und mussten oft ihre Hände waschen. Eigentlich wurden sie eher steril gehalten. Es hat aber auch Vorteile, dass Bertram keine Berührungsängste hat. Weißt du noch, als eine große Spinne neben Tillys Bett hochgekrabbelt ist? Da hat er beherzt zugegriffen und sie zu dir gebracht.“

      Christine verzieht das Gesicht und lacht. „Er hielt sie mir hin und sagte: `Mama Dristine, ich bringe dir was für die Suppe. Hex … hex … Fleisch für deine Hexenküche´. Das fette Vieh erinnerte mich sofort an das Geburtstagsgeschenk, das du von Sybille bekommen hast.“

      „Meine liebe Christine, ich hatte es beinahe vergessen“, sagt Olli gespielt vorwurfsvoll. „Auf so eine dämliche Idee, mir eine Vogelspinne zu schenken, kommst du hoffentlich niemals.“

      „Versprochen“, sagt Christine und strahlt Olli an. „Ich grüble aber immer noch darüber nach, was Sybille dir damit sagen wollte.“

      Olli holt tief Luft und bläst die Wangen auf. Da ihm jedoch keine Antwort einfällt, atmet er nur geräuschvoll wieder aus.

      Lydia hat beide beobachtet und ist immer stiller geworden. Ihre derzeitige Situation erscheint ihr als Desaster, wenn sie diese mit Christines neuer Familie vergleicht. Sie konzentriert sich wieder auf ihre Freunde, um die trüben Gedanken zu verdrängen, und versucht, das Zusammensein wenigstens etwas zu genießen. Sie kann sich gut vorstellen, dass Olli glücklich darüber ist, dass seine kleinen Söhne bei ihm sind und endlich ein Stück Freiheit erleben dürfen und vor allem sehr geliebt werden.

      „Ich habe trotz allem ein schlechtes Gewissen“, sagt Olli, „weil Richard so viel bei Christines Mutti ist. Ich weiß, dass es ihm dort gut geht, aber ich habe das Gefühl, dass ich als Vater nicht das Beste für ihn tue. Erst dachte ich, es sei ganz gut für ihn, damit er zur Ruhe kommt. Mit der Zeit ist das aber irgendwie selbstverständlich geworden.“

      „Du siehst ihn doch jeden Tag, oder?“, fragt Lydia.

      „Ja, aber manchmal nur auf der Fahrt zum und vom Kindergarten. Das ist mir etwas wenig. Er wird im Januar erst fünf Jahre alt, und die meiste Zeit mit ihm verpasse ich eigentlich.“

      „Vielleicht ist er auch nur so oft auf dem Reiterhof“, wirft Christine ein, „weil dort das alte Klavier steht. Meine Mutti hat mir erzählt, dass er sehr viel Zeit daran verbringt. Vielleicht sollten wir es hier aufstellen. Dann löst sich das Problem vielleicht von selbst.“ Sie schaut Lydia erwartungsvoll an und sagt zu ihr: „Nun erzähle uns aber erst mal von deinem neuen Buch. Das sollte doch eine Familienchronik werden.“

      Lydias Augen leuchten wieder etwas auf.

      „Elke, meine Urlaubsbekannte, hatte mir eine ganze Menge aus ihrem Leben erzählt“, sagt sie. „Hätte ich da bereits gewusst, welche umfangreiche Geschichte dahinter steckt, hätte ich nicht erst gezögert, ein Buch darüber schreiben zu wollen. Es ist bereits beim Verlag, deshalb kann ich euch verraten, dass der Titel `Lebt wohl, Familienmonster´ lautet. Das sagt doch schon fast alles.“

      Sie übergibt Christine eine dicke Mappe.

      „Ich habe die Endfassung mitgebracht, damit du mir noch schnell ein paar eventuell übersehene Fehler rausfischen kannst, bevor es gedruckt wird.“

      Christine verzieht ihr Gesicht.

      „Puh, Rechtschreibung. Du weißt, dass ich da für nichts garantiere.“

      „Du