Heidi Dahlsen

Ein Hauch Zufriedenheit


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      Juttas Mutter räuspert sich und fragt: „Wo ist eigentlich Jenny?“

      „Sie ist noch auf dem Reiterhof“, antwortet Jutta. „Die Kinder haben heute Generalprobe für das Weihnachtsmärchen. Jenny ist schon sehr aufgeregt. Wir würden uns freuen, wenn du auch zuschauen kommst. Christine und Olli haben doch …“

      Ihre Mutter winkt ab und unterbricht sie: „Es interessiert mich nicht, was andere Leute machen.“

      „Markus´ Eltern feiern mit uns Weihnachten und Silvester“, sagt Jutta. „Sie sind so froh, dass sie wieder Kontakt zu Janek haben dürfen und lassen keine Gelegenheit aus, um mit ihm zusammen sein zu können. Sie genießen die Zeit mit ihrem Enkel sehr.“

      „Janek ist auch ein gut erzogener Junge. Über den muss man sich nicht ständig aufregen.“

      „Jenny wäre sicher freundlicher zu dir, wenn du ihr eine Chance geben würdest.“

      „Pah! Bei ihr ist alles vergebene Mühe.“

      „Schau dir doch das Weihnachtsmärchen am Heiligabend an. Dann kannst du selbst feststellen, dass sie sich verändert hat.“

      „Das stelle ich mir lieber gar nicht erst vor.“

      Markus zwinkert Jutta aufmunternd zu. „Ich gehe mal in die Küche und bereite weiter alles vor. Der Rest der Familie müsste ja bald ausgehungert hier eintreffen.“

      „Pah! Familie“, sagt Juttas Mutter und schaut weiterhin grimmig vor sich hin.

      Jutta will gleich die Gelegenheit ergreifen, ihrer Mutter beizubringen, dass sie schwanger ist. Sie weiß, dass diese nicht begeistert sein wird, und hat Angst, dass sie sich dann später vor Markus und seinen Eltern unangebracht äußert. Eine schlechte Stimmung beim ersten Kennenlernen will sie niemandem zumuten.

      Sie atmet tief durch und stammelt: „Unsere … unsere Familie wird im Sommer größer.“

      „Was?“, fragt ihre Mutter entsetzt. „Was soll das heißen?“

      „Ich bin schwanger, äh, WIR bekommen ein Baby.“

      „Was bist du?“, fragt ihre Mutter hysterisch. „Das darf doch nicht wahr sein. Da ist doch gleich die nächste Katastrophe vorprogrammiert. Reicht dir der Ärger mit dem einen Kind noch nicht? Jenny ist Beweis genug, dass du überhaupt nicht fähig bist, Mutter zu sein. Wie willst du noch zusätzlich mit einem Baby klarkommen?“

      Jutta sieht ihre Mutter traurig an.

      „Ich habe nichts anderes von dir erwartet. Du wirst es nicht glauben, ich bereue es nicht, Jenny zu haben, und ich freue mich jetzt sogar auf mein zweites Kind. Das kannst du natürlich nicht verstehen, denn du hast mich immer nur als Belastung angesehen.“

      „Du hast es uns ja auch nicht leicht gemacht. Ständig mussten wir dir sagen, was du tun sollst. Zu sinnvollem Handeln warst du einfach nicht fähig. Nie hatten wir unsere Ruhe.“ Ihre Mutter beugt sich zu ihr und flüstert eindringlich: „Du musst dieses Kind nicht bekommen. Jutta! Nimm Vernunft an. Du ruinierst dich.“

      Jutta ist entsetzt.

      Als sie ihre Sprache wiedergefunden hat, sagt sie: „Du meinst also, dass ich mein Baby entsorgen soll. Einfach so, ohne wichtigen Grund.“

      „Ich war damals auch froh, dass ich die Wahl hatte und musste nicht lange überlegen“, sagt ihre Mutter und ist im selben Moment über ihre Worte erschrocken.

      Sie senkt den Blick.

      „Was willst du damit sagen?“, fragt Jutta schockiert.

      „Nichts, ich meinte … Das geht dich nichts an.“

      Jutta stiert ihre Mutter mit großen Augen an. „Du … du hast … abgetrieben?“

      „Was sollte ich denn tun? Mir blieb ja nichts anderes übrig, so schwierig und unbelehrbar wie du warst.“

      Jutta schüttelt den Kopf.

      „Das kann ich nicht glauben. Ich habe mir immer Geschwister gewünscht.“

      „Darüber diskutiere ich mit dir nicht. Das war allein Sache von Vati und mir, und unsere Entscheidung war richtig!“

      „Ich diskutiere mit dir auch nicht über die Entscheidung, die ich treffe, besser gesagt, die ich gemeinsam mit Markus treffen werde.“

      „Du wirst schon sehen, wo du mit diesem Schönling hinkommst. Bald stehst du mit zwei missratenen Kindern alleine da. Komm mir dann nicht wieder angeheult.“

      Jutta hat gehört, dass die Wohnungstür aufgeschlossen wurde. Panik ergreift sie, denn sie möchte unter keinen Umständen, dass Markus´ Eltern sie und ihre Mutter in dieser Stimmung erleben.

      Jenny kommt umgehend ins Wohnzimmer gestürmt. Sie muss die letzten Worte ihrer Oma verstanden haben, denn sie sieht ihre Mutter mit wutverzerrtem Gesicht fragend an.

      In Jutta steigen Tränen auf.

      „Jenny, wir reden gleich“, sagt sie schnell. „Geh bitte in dein Zimmer und warte auf mich.“

      Jenny schüttelt den Kopf.

      „Nein! Ich will wissen, was Oma damit meint.“

      „Deine Mutter ist schwanger!!!“, schleudert die Oma ihr entgegen. „War doch klar, dass sie dir das verheimlicht.“

      „Was? Das darf doch nicht wahr sein“, sagt Jenny entsetzt. „Und das in deinem Alter! Das ist voll peinlich.“

      „Mutter! Ich glaube nicht, dass du ein Recht dazu hast, dich einzumischen“, sagt Jutta mit zusammengekniffenen Augen. „Wir wollten es den Kindern selbst sagen. Aber du verstehst es ja gut, böse Worte zu verteilen. Wie sich andere dabei fühlen, ist dir egal. Ich glaube, es wäre besser, wenn du wieder gehst, bevor ich meine Beherrschung noch ganz verliere.“

      „Ich lasse mich von dir ganz bestimmt nicht rausschmeißen. Nur zu gern verlasse ich dieses Irrenhaus und zwar ganz freiwillig. Ich werde mir von euch das Weihnachtsfest nicht vermiesen lassen. Zum Glück kenne ich auch freundliche Menschen, mit denen ich in aller Ruhe das Fest genießen werde.“

      Sie geht ohne Gruß und schlägt die Wohnungstür lautstark hinter sich zu.

      Jenny steht immer noch wie angewurzelt mitten im Raum. „Oma hat Recht! Das hier ist wirklich ein Irrenhaus, und ich bin gezwungen, darin zu leben.“

      „Seit wann bist du mit Oma einer Meinung?“, fragt Jutta leise.

      Jenny ignoriert diese Frage. Ihre Augen sprühen Funken vor Wut. „Was denkst du dir eigentlich dabei, ohne Vorwarnung einfach schwanger zu werden?“, zischt sie. „Das kannst du mir nicht antun. Ich war froh, dass Papa sein Kuckuckskind so schnell losgeworden ist. Da sorgst du gleich für Ersatz.“

      „Jenny, wie sprichst du nur?“, fragt Jutta kopfschüttelnd und fügt leise hinzu: „Ich weiß es doch selbst erst seit zwei Tagen und bin total überrascht.“

      „Dir ist hoffentlich klar, dass du sofort Abhilfe schaffen musst“, sagt Jenny eindringlich zu ihrer Mutter. „Ansonsten garantiere ich für nichts.“

      Jutta ist über die Worte ihrer Tochter so entsetzt, dass ihr der Mund offen stehen bleibt. Markus hat den Wortwechsel verfolgt. Er macht sich Sorgen, dass Jutta sich wieder zu sehr aufregt. Deshalb kommt er ins Wohnzimmer und sagt zu Jenny: „Sei froh, dass deine Mama nicht so gedacht hat, als sie mit dir schwanger war.“

      Sie sieht ihn erst erschrocken an, verzieht aber sogleich ihr Gesicht gehässig und schleudert ihm entgegen: „Leider. Denn ich muss es ausbaden und mich jetzt durch dieses Scheißleben quälen. Warum tut ihr mir das an? Warum setzt ihr einfach noch ein Kind in die Welt? Habt ihr noch nie etwas von Verhütung gehört?“

      Jutta hebt eine Hand und holt aus. Markus fängt sie ab und erspart Jenny somit ihre erste Ohrfeige.

      Sie läuft wütend in ihr Zimmer und schmeißt die Tür zu.

      Markus