Kristian Winter

Die Lohensteinhexe, Teil VII


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nichts. Es ist alles ganz anders, als du denkst. Ich muss anderen Pflichten nachkommen, die nicht unbedingt ehrenvoll sind.“

      „Ich weiß - Jofree“, sagte sie nach einem Moment des Schweigens, dabei diesen Namen betonend.

      Er sah sie erschrocken an, lächelte dann aber und schüttelte den Kopf. „Er hat es dir also erzählt?“

      „Ja.“

      „Ein Grund mehr, mich zu verachten.“

      „Ich verachte dich nicht.“

      Erneut schmiegte sie sich an ihn und ließ ihren Finger um seinen Nabel kreisen. „Bist du glücklich so? Ich meine, wenn du mich jetzt liebst und morgen vielleicht schon wieder anders sein musst?“

      Ihre Frage behagte ihm nicht. Barsch schob er sie fort, streifte sich entschlossen das Wams über und zog seine Hose wieder an.

      „Was soll das jetzt werden, he? Willst du mir ins Gewissen reden?“, fuhr er sie an. „Das kannst du dir sparen! Ich brauche kein Mitleid, von niemandem! Dieses Leben habe ich mir gewählt! Niemand zwingt mich dazu! Und soll ich dir noch etwas sagen - ich bin glücklich dabei!“

      Doch im selben Moment bedauerte er seine Worte. Für einen Moment wagte er sie gar nicht mehr anzusehen, so sehr schämte er sich jetzt seiner Unbeherrschtheit. Aber ihr plötzliches Mitgefühl kränkte ihn. Es setzte ihn herab und erinnerte ihn an all das, was er niemals sein wollte.

      „Wir können unmöglich noch einmal zusammenkommen und das weißt du“, setzte er hinzu.

      „Wovor hast du Angst?“

      „Angst?“ Jofree wollte schon auflachen, unterdrückte es aber. Ihre Neugier begann ihn zu quälen und er erwiderte nur kurz, dass sie das nichts anginge. Es wäre ohnehin Zeit, zu gehen.

      Als er aufstand, fasste sie noch einmal kurz nach seinem Arm. Doch er riß sich mit einem heftigen Ruck los und ging zur Treppe hin. Dort drehte er sich noch einmal um und sah sie mit völlig veränderten Augen an, Augen voller Hass und Verachtung, was ihr nach allem unerklärlich blieb.

      „Lauf mir nicht noch mal über den Weg, hörst du? Beim nächsten Mal werde ich dich nicht mehr schonen!“

      Dann ging er nach unten und ließ sie völlig verwirrt zurück. Das hatte sie tief getroffen. Im Nu spürte sie die Kälte an sich heraufkriechen und mit ihr auch die Wut und Ernüchterung. Da erwachte ein absurder Trotz in ihr, der sie augenblicklich allen Schmerz vergessen ließ. Zweifellos hielt er sie für eine Hexe und seine Angst resultierte nur aus seinem Unvermögen, ihr zu vertrauen.

      Oh nein, das war keine Liebe und alles, was sie in ihm zu sehen glaubte, entsprang nur ihrer Einbildung. Er blieb der berechnende Egoist, dessen emotionale Schwäche allein seinem männlichen Lustverlangen entsprang, niemals aber wirklichen Gefühlen. Und wer weiß, womöglich empfand er noch eine befremdliche Freude dabei. Solche Menschen sind die schlimmsten Tyrannen. Sie lieben nur sich selbst und meinen, allein durch ihr Lustgebaren Liebe zu bezeigen.

      Alles in ihrem Kopf geriet durcheinander und sie hätte nicht sagen können, warum sie sich jetzt ausgerechnet jener Frau erinnerte, die seinerzeit auf dem Schindkarren zu schlafen schien, als man sie zum Scheiterhaufen fuhr. Ihr ganzer Körper war von allerlei Farbtönungen gezeichnet, die man ihr infolge der Tortur beigebracht hatte.

      Sie war so gequält worden, dass sie weder sitzen noch stehen konnte. Mit leicht geneigtem Kopf lag sie auf der Seite, lächelte ein wenig und drückte auf herausfordernde Weise die Brust heraus. Man hätte sie für eine Dirne halten könne, wäre nicht am Hals ein dunkler Streifen erkennbar gewesen, was wie ein Schattenhalsband wirkte, in Wahrheit aber die Würgemale der Garotte verriet.

      Das kam in besonders hartnäckigen Fällen zur Anwendung, wenn man der Delinquentin so lange die Luft nahm, bis sie kurz vor dem Ersticken war, dann aber die Schlinge im letzten Moment wieder löste.

      Das hatte sie wohl in den Irrsinn getrieben und ihr jämmerlicher Anblick ließ selbst die hartgesottensten Eiferer verstummten. Aber hier taten sich Abgründe auf, die teuflischer waren als jeder erhobene Vorwurf. Sie entlarven ihre Ankläger selbst als Teufel, wenn sie im Namen Gottes solche Qualen zuließen.

      Die gleiche Verlogenheit meinte sie jetzt bei Jofree zu erkennen und sie verfluchte sich für ihre Schwäche, ihm nicht widerstanden zu haben. So verwundert es auch nicht, dass sie in ihrer Raserei eine große dunkle Spinne zerquetschte, die unter dem Fenster in einer Ecke saß, und ihre Reste auf dem Kalk der Wand zerrieb. Danach spuckte sie dreimal darauf, rief einen Fluch aus und wünschte ihn zur Hölle.

      Es mutete wie ein eigenartiger Zufall an, dass gerade im selben Moment von unter her Lärm ertönte. Es war ein dunkles Klopfen und Poltern, gefolgt von einem Schrei, wie wenn man miteinander in Streit gerät.

      Sofort lief sie die Treppe hinunter, um nachzusehen. Kaum unten, erblickte sie im Dämmerlicht zwei Gestalten in dunklen Umhängen und breiten Schlapphüten, die eine dritte wegführten - zweifellos Jofree. Sie konnte ihn eindeutig an Kleidung und Gestalt erkennen. Dabei war die Art, wie er ihnen folgte, eindeutig. Es geschah nicht freiwillig. Hin und wurde wieder er angestoßen, wie jemand, der sich gegen etwas sträubt und doch längst ahnt, was ihn erwartet.

      Derart seines Willens beraubt und diesen Männern hilflos ausgeliefert, erwachte plötzlich eine unbestimmte Angst in ihr, die schlagartig all die vormaligen bösen Gedanken vertrieb. Was, wenn sich alles ganz anders verhielt und er sie am Ende doch nur schützen wollte, wenn ihr Zorn nichts weiter als Folge eines verletzten Ehrgefühls war?

      Sie bereute ihren Fluch auf ihn und gab sich alle Schuld. Ohne darüber nachzudenken, begann sie, ihnen zu folgen. Ihr Weg führte sie die Straße entlang, hinauf in Richtung Südturm und hier zu einem kleinen Platz, auf dem ein dunkler Kutschwagen wartete. Sie konnte jetzt genau sehen, wie man ihm plötzlich die Hände über dem Rücken band, dann die Tür aufriss und ihn ziemlich unsanft hineinstieß.

      Lydia war außer sich. Auch wenn sie die näheren Zusammenhänge nicht verstand, ahnte sie Schlimmes. Jofree wusste es, die ganze Zeit schon, und wenn er geschwiegen hatte, dann nur, um sie zu schonen, schoss es ihr durch den Kopf.

      Doch ihr blieb keine Zeit, weiter darüber nachzudenken, denn plötzlich packte sie jemand im Nacken, drückte sie nach unten und riß ihr die Arme auf den Rücken. Zu Tode erschrocken fuhr sie um und blickte in die Fratze eines einäugigen Burschen, dem man die Backen ‚gebrannt‘ hatte. Das war die geläufige Strafe für Falschmünzer, denen man eine glühende Münze in die Wangen drückte und sie so dauerhaft stigmatisierte. Sie hatten einen besonders niederen Stand in der Rangordnung der Verbrecher und waren nicht selten für ein Handgeld sogar zu einem Mord bereit.

      Ohne ein Wort zu verlieren, band er ihre Hände mit einem Lederriemen schmerzhaft zusammen. Dann führte er sie ebenfalls in Richtung dieser Kutsche, wo man sie offenbar bereits erwartete.

      Doch seltsam – obgleich das alles gewaltsam geschah und nichts Gutes ahnen ließ, verspürte sie keine Angst. Vielmehr blieb sie von einer tiefen, inneren Teilnahmslosigkeit befangen, als wäre sie ein Außenstehender, der die Situation völlig teilnahmslos betrachtet. Dort wurde sie von den anderen beiden in Empfang genommen, die dem Falschmünzer sogleich etwas zusteckten und ihm die Schulter klopften. Dann schoben sie sie ebenfalls mit in den Wagen.

      Jofree, der dort zwischen zwei Bewachern saß - zwei Höflingen ihrer Kleidung nach - erstarrte vor Schreck, als er sie erblickte. Als er etwas sagen wollte, schlug ihm einer der Wächter sogleich mit seinen Handschuh über den Mund und forderte ihn zur Schweigsamkeit auf. Er würde schon früh genug Gelegenheit zum Sprechen bekommen.

      Dann ratterte die Kutsche los und es dauerte fast eine Stunde, bis sie ihr Ziel erreicht hatte. Wo genau das war, konnte niemand sagen, denn als sie endlich anhielten, war es längst finstere Nacht und während der ganzen Fahrt waren die kleinen Türfenster mit dunklen Jalousien verschlossen.

      Eilig führte man sie in ein dunkles Gebäude und verbrachte sie hier sogleich in den Keller. Das war ein düsteres Gewölbe mit flacher Decke und mächtigen Stützpfeilern, an dessen Wänden in regelmäßigen