Kristian Winter

Die Lohensteinhexe, Teil VII


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links in seinen Seitengang geführt wurde, brachte man sie noch weiter nach hinten in einen kleinen mit einer Öllampe beleuchteten, fensterlosen Raum. Die Tür bestand aus massivem Eichenholz und besaß in Kopfhöhe eine von außen zu öffnende Luke. Dennoch wirkte dieses Zimmer nicht unbedingt wie eine Arrestzelle, sondern eher wie eine Zufluchtsstätte.

      In der Mitte stand ein Tisch mit zwei Hockern, daneben eine kleine Kommode mit einem runden Spiegel darüber. Ihr gegenüber auf der anderen Seite befand sich eine Liege mit einer hölzernen Truhe am Kopfende. Am Verwunderlichsten aber war eine kleine Blumenschale auf dem Tisch, die geradezu liebevoll hergerichtet schien.

      Nachdem die Laterne an der Wand entzündet wurde, ließ man sie allein mit dem Bemerken, sie brauche keine Furcht zu haben, sie sei in Sicherheit - was immer das auch heißen mochte.

      Lydia fühlte sich seltsam betäubt. Ob es die Folge der Geschehnisse oder nur eine allgemeine körperliche Schwäche war, hätte sie nicht sagen können. In jedem Fall aber verspürte sie noch immer nicht die geringste Furcht. Im Gegenteil, fast wollte es scheinen, als sei sie tatsächlich in Sicherheit, wovor auch immer.

      Lange stand sie inmitten dieser Kammer, ohne etwas zu denken oder zu fühlen, allein damit beschäftigt, in sich zu horchen. Es verging eine geraume Zeit, bis sie endlich von draußen her Schritte vernahm. Dann endlich öffnete sich die Tür und eine Frau trat in Begleitung zweier Höflinge herein.

      Lydia ahnte sofort, dass sie keine gewöhnliche Dame war. Ihrem Gebaren und vor allem ihrer ungewöhnlichen Kleidung nach, schien sie die Herrin des Hauses zu sein oder eine sonstige höhergestellte Person.

      Sie war von mittlerer Größe, schlank und trug ein langes Kleid aus dunklem Brokat. Von ihrer Schulter fiel eine türkisblaue Schärpe herab, die beim Laufen über den Boden glitt. Ihren Kopf bedeckte eine dunkle Haube und ein dunkler, halbdurchsichtiger Schleier verhüllte ihr Gesicht. Ihre Stimme klang warm und freundlich, als sie sie begrüßte und zum Platz nehmen aufforderte. Zugleich wies sie ihre Begleiter an, sie allein zu lassen.

      Kaum war das geschehen, entschuldigte sie sich für diese Art der Begegnung, aber gewisse Umstände ließen ihr keine Wahl. Dann schlich diese Frau um sie herum und betrachtete sie von allen Seiten, indes Lydia wie angewachsen stehenblieb und sich nicht zu rühren wagte.

      „Du bist also Lydia, die der Hexerei angeklagte Aufwärterin des Assessors Daniel Titius“, sagte sie und blieb vor der Befragten stehen. „Ich habe schon einiges von dir gehört und weiß, wie übel man dir mitgespielt hat ... Aber was ist das? Was hast du dort auf der Wange?“ Sie wies auf ihr Mal.

      „Das weiß ich nicht. Das habe ich schon seit meiner Geburt.“

      „Seit deiner Geburt? In der heutigen Zeit kann so etwas gefährlich sein. Die Leute sind dumm und voreingenommen und sehen oft nur Dinge, die sie sehen wollen. Sage mir, Lydia, stimmt es, was man sagt? Hast du wirklich dein Kind getötet?“

      „Ja.“

      „Dann sind die Vorwürfe also wahr. Was denkst du? Warum hat dich der Magister Titius zu sich genommen?“

      „Das weiß ich nicht. Vielleicht glaubt er an meine Unschuld?“

      „Bist du unschuldig?“

      Lydia schwieg jetzt lange, aber die Art, wie diese Frau mit ihr redete, beunruhigten sie. „Nein, Herrin.“

      „Nenn‘ mich Beatrice und betrachte mich als deine Freundin“, erwiderte die Frau, kam aber sogleich wieder zu ihrer Frage zurück. „Du gibst deine Schuld also zu?“

      „Ja.“

      „Das ist ungewöhnlich. Hast du keine Angst vor den Folgen? Man wird dich erneut der Hexerei anklagen.“

      „Ich weiß.“

      „Also bist du eine Hexe?“

      „Vielleicht.“

      „Was heißt vielleicht? Wenn du eine Hexe bist, musst du mit dem Teufel gebuhlt haben.“

      „Weiß ich denn, wer der Teufel ist?“, erwiderte Lydia daraufhin, erschrak jedoch über die Respektlosigkeit ihrer Antwort, die sie so gar nicht hatte geben wollen.

      „Da hast du Recht. Der Teufel kann viele Gestalten annehmen. Was glaubst du, ist es Jofree oder der Assessor?“

      „Nicht der Assessor“, erwiderte sie spontan.

      „Warum nicht?“ Die Frau schien sichtlich überrascht.

      „Er ist ein guter Mensch.“

      „Aber er hat dich geschlagen.“

      „Dazu hatte er das Recht.“

      „Du kannst mir vertrauen. Ich will dir nichts Böses“, sagte die Frau und strich ihr übers Haar. Doch Lydia zog den Kopf zurück. Ihr behagte das nicht. Sie fühlte, dass von der anderen eine Gefahr ausging.

      „Ich hatte es verdient. Er hat richtig gehandelt“, erwiderte sie.

      „Du traust mir nicht. Ich kann es spüren, aber wie solltest du auch, wenn man dich hier gefangen hält ... Sag mir nur eines - möchtest du noch einmal auf die Bank?“

      Lydia sah sie erschrocken an. „Das ist nicht nötig!. Ich werde alles sagen, was Ihr hören wollt!“

      „Ja, natürlich wirst du das, weil du Angst vor der Marter hast! Aber du sollst mir nicht zum Munde reden, sondern die Wahrheit sagen! Ist der Assessor Titius der Teufel, ja oder nein?“

      „Nein, aber ich bin ihm schon begegnet“, fuhr sie fort. „Als ich noch ganz klein war, kam er jeden Abend zu mir ins Bett. Er streichelte und küsste mich, roch nach Bier, war unrasiert und schmutzig, und er tat mir weh. Manchmal schlug er mich auch, selbst wenn es gar keinen Grund dafür gab. Er schlug mich, weil es ihm Spaß machte, und da ich mich nicht wehren konnte, krümmte ich mich jedes Mal zusammen, in der Hoffnung, so die Schmerzen besser zu ertragen. Daher bin ich Schläge gewohnt und kann sie ertragen.“

      „Ich will dir nichts zuleide tun, Lydia! Ich möchte nur, dass du verstehst, warum du hier bist. Wenn ich dir nun sage, dass du nur leben kannst, wenn Jofree stirbt - wirst du mir dabei helfen?“

      Lydia erschrak. Schlagartig zog sich ihr Herz zusammen, aber diese Vorstellung war ihr unerträglich. „Ihr wollt, dass ich …“

      „Ja“, fiel sie ihr sogleich ins Wort. „Du sollst mir helfen, ihn zu überführen.“

      „Was hat er Euch getan, dass Ihr ihn anklagen wollt?“

      „Die Frage ist wohl eher, was hat er dir getan?“

      „Oh Herrin, verlangt so etwas nicht vor mir. So etwas kann ich nicht.“

      „Du bist töricht und begreifst nicht, worum es geht!“ Die Frau wirkte jetzt sichtlich gereizt. „Jofree ist ein verdorbener und schlechter Mensch. Um ihn ist es nicht schade. Darum muss er sterben, allerdings öffentlich. Es gibt hier einige Dinge, die du nicht verstehst, Lydia. Aber hin und wieder verlangt die Gerechtigkeit auch Opfer.“

      „Was soll das für eine Gerechtigkeit sein, die so etwas fordert?“

      „Er hat versucht, dich umzubringen. Ist das nicht genug?“

      „Aber er hat es nicht getan!“

      „Weil du ihn verhext hast!“ Jetzt straffte sich ihre Haltung und sie trat näher an sie heran. „Versteh doch, mein Kind. Es liegt allein an dir, wer von Euch brennen wird. Wenn du ihn jetzt schützt, erwarte nicht das Gleiche von ihm. Er wird dich gnadenlos verraten, wenn er damit seine Haut retten kann! Wirst du es also tun?“

      Lydia brachte jedoch kein Wort mehr heraus. Zu sehr lähmte sie der Schrecken.

      „Warum seid Ihr so grausam?“

      „Weil du mich dazu zwingst! Ich gebe dir Zeit bis morgen früh. Dann möchte ich eine Antwort! Und überlege sie dir gut.“

      Mit diesen Worten klopfte sie an die Tür.

      *****