Jean-Pierre Kermanchec

Das Grab in der Ville-Close


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auf Lager haben.“

      Yann Goarec griff zu seinem Mobiltelefon und rief den Lagermeister in Trégunc an. Er orderte den Transport des Materials für die Ausbesserungen an der Mauer der Porte aux Vins.

      Kapitel 5

      Anaïk Bruel und Monique Dupont standen vor der leeren Pinnwand und begannen damit, die ersten Informationen anzubringen.

      „Wir haben ein Skelett. Der oder die Unbekannte liegt seit höchstens zwei Jahren dort vergraben. Das heißt, wir suchen nach einem Menschen, der in den letzten zwei Jahren verschwunden ist. Alle vorher verschwundenen Personen können wir ausschließen. Ich werde mich sofort mit der Vermisstenabteilung in Verbindung setzten und nachfragen.“

      „Der zwischen 17 und maximal 20 Monaten verschwunden ist“, korrigierte Monique.

      „Du hast natürlich recht, Monique, unsere Leiche liegt ja erst seit höchstens eineinhalb Jahren an dieser Stelle. Sobald Yannick uns sagen kann, ob es sich um einen Mann oder eine Frau handelt können wir die Suche weiter einengen. Ich überlege schon die ganze Zeit, wie jemand auf die Idee kommen kann, in der Ville Close eine Leiche zu vergraben?“

      „Die Frage habe ich mir auch gestellt. Ein Grab in der Ville Close kann doch schneller gefunden werden als ein Grab in einem Wald in der Umgebung. Abgesehen davon, dass es doch auffällt, wenn man hier anfängt zu graben. Ich kann mir nur vorstellen, dass unser Mörder den Mord hier begangen hat und den Leichnam sofort verscharren wollte. Damit könnten wir die Tat auf die Stunden nach Mitternacht eingrenzen. Vorher sind ja immer Menschen in der Ville Close unterwegs. Außer in den Wintermonaten, da dürfte es viel früher menschenleer sein.“

      „Ja, Anaïk, das sehe ich auch so, aber hatte der Mann sofort eine Schaufel zur Hand? Das kann bedeuten, dass der Täter hier in der Ville Close wohnt und sich eine Schaufel schnell besorgen konnte, oder hat er eine Schaufel mitgebracht?“

      „Lass uns alles zusammentragen, was wissen wir bisher oder nehmen es an? Vielleicht ergibt sich daraus ja schon ein Muster. Also, da ist das Skelett, gefunden an der Mauer, ca. 180 Meter von der Anlegestelle der Fähre entfernt, die nach Le Passage Lanriec fährt.“

      Anaïk malte einen Kreis und schrieb Opfer in die Mitte. Danach zeichnete sie eine kleine Skizze von der Ville Close und markierte darin den Fundort. Auf der linken Seite notierten sie ihre Fragen. Warum in der Ville Close? Warum das Grab an der Mauer? Woher hatte der Täter das Werkzeug? Wie konnte er das Grab in der Kürze der Zeit ausheben?

      „Wir haben bis jetzt noch nicht sehr viele Anhaltspunkte“, sagte Monique und sah sich die Notizen an.

      „Ich habe mir die Fundstelle genau angesehen“, meinte Anaïk, „der Leichnam lag in einer Tiefe von fast 80 Zentmetern. Mit einem Bagger hat man eine solche Tiefe schnell erreicht. Aber mit einer Schaufel dauert das bestimmt ein oder zwei Stunden.“

      „Und auch dann nur, wenn der Boden nicht allzu hart ist und möglichst wenig Steine aus dem Weg zu räumen sind. Ansonsten gräbt man viel länger“, meinte Monique.

      „Ich glaube, wir können eine Frau als Täterin ausschließen. Eine Frau schafft es nicht ein solches Grab auszuheben, wenigstens nicht in einer halben Nacht. Schließlich musste die Arbeit beendet gewesen sein, bevor die ersten Bewohner erwachen. Aus verschiedenen Häusern hat man durchaus einen Blick auf den Mauerabschnitt“, sagte Anaïk.

      „Wir suchen also nach einem Mann, der die Tat vor über einem Jahr begangen hat. Die Suche wird sich nicht ganz einfach gestalten. Fingerabdrücke werden wir nach so langer Zeit nicht mehr finden.“

      „Du meinst auf einer Schaufel oder einem Spaten, falls wir den bei einer verdächtigen Person finden sollten?“

      „Ja, zum Beispiel, wir müssen dem Verdächtigen schließlich nachweisen, dass er das Grab ausgehoben hat.“

      „Nun, das Holz am Stiel einer Schaufel ist poliert. Darauf sind Fingerabdrücke lange nachweisbar. Wenn der Mann auch noch Schweiß an den Fingern gehabt hat hält sich der Abruck noch länger. Beim Ausheben einer solchen Grube kommt man doch ins Schwitzen, ob sich die Abdrücke aber über ein Jahr lang halten? Es ist müßig darüber nachzudenken, wir haben noch nicht einmal einen Verdächtigen, geschweige denn die Schaufel. Wenn es soweit ist überlassen wir Dustin den Rest.“

      „War ja auch nur eine Überlegung. Natürlich müssen wir zuerst einmal einen Verdächtigen finden.“

      „Ich wäre froh, wenn wir wenigstens einen Anhaltspunkt hätten, in welche Richtung wir suchen müssen. Ich hoffe, dass Yannick uns weiterhelfen kann. Wenn er eine brauchbare DNA findet bekommen wir vielleicht raus wer der Tote ist.“

      „Wenn ich mit meiner Vermutung richtig liege, dass der Mörder in der Ville Close wohnt, engt das den Kreis der möglichen Verdächtigen schon erheblich ein.“

      „Aber nicht so, dass wir unseren Mörder nur noch herauspicken müssen. In der Ville Close leben bestimmt zwei- oder dreihundert Menschen. Außerdem, Monique, es ist nur eine Vermutung. Der Mörder kann auch außerhalb der Ville Close wohnen.“

      „Ja Anaïk, wir dürfen unsere Suche nicht einengen. Warten wir ab was Yannick findet.“

      Kapitel 6

      Dustin lag auf dem Bauch in dem ausgehobenen Graben und bemühte sich die Erde unter dem Skelett, das vor wenigen Minuten sorgfältig herausgenommen worden war, zu untersuchen. Vorsichtig trug er Zentimeter für Zentimeter des Bodens mit einer kleinen Blumenschaufel ab, sah den Inhalt auf der Schaufel an, um nur nichts zu übersehen und warf das Erdreich danach weg. Seine Ausbeute war gering. Immerhin hatte er ein kleines Schnapsfläschchen und zahlreiche Knöpfe, die vermutlich von den Kleidern des Toten stammten, gefunden. Reste der Kleidung waren von einem Kollegen sichergestellt worden. Seine weitere Suche förderte noch einige Münzen und ein Portemonnaie zu Tage. Jetzt galt es kleinere oder kleinste Spuren zu sichern. Langsam arbeitete er sich vor. Dustin stach mit seiner kleinen Schaufel erneut ins Erdreich und hob einen weiteren Zentimeter Erde aus als er auf der Schaufel eine kleine dunkle dünne Scheibe entdeckte, deutlich vom langen Liegen angegriffen. Er nahm sie in die Hand und betrachtete sie sorgfältig. Vorsichtig rieb er die Erde ab. Er war überrascht, eine alte Münze in der Hand zu halten. Er tippte auf eine Kupfermünze, die aber bestimmt schon sehr lange hier lag. Auch wenn die Münze wahrscheinlich nichts mit dem Mord zu tun hatte, legte er den Fund in eine Plastiktüte. Nach zwei weiteren Stunden des Grabens hatte er einen Zigarettenstummel, ein kleines Stück Eisen, ein Stück Ölpapier und Reste einer Plastiktüte gefunden.

      Dustin stieg zufrieden aus dem Graben. Erst jetzt merkte er, dass ihn sein Brustraum schmerzte. Das lange Liegen auf dem Bauch war nicht spurlos an ihm vorbeigegangen. Nach einigen Minuten beruhigte sich der Druckschmerz wieder und Dustin widmete sich seiner Ausbeute. Die Reste der Kleidung des Toten würde er sich genauer ansehen müssen. Vielleicht wären sie zur Identifizierung des Mannes hilfreich. Vorsichtig öffnete er das Portemonnaie, dessen Leder zwar angegriffen aber nicht zerstört war. In der Münztasche lagen drei Euro in kleinen Einheiten von 50, 20 und 10 Cent Münzen. Die Scheinfächer waren leer. Dustin legte das Portemonnaie wieder in die Plastiktüte und betrachtete die anderen Fundstücke. Sein Interesse galt vor allem dem kleinen Stück Ölpapier. Was war in diesem Papier eingewickelt gewesen? Er betrachtete das Stück genauer. Es war etwas Herausgerissenes, wie ein Fetzen eines aufgerissenen Pakets. Er legte es wieder zurück in die Tüte. Dann machte er sich mit seinen Kollegen an die Arbeit, den Grasboden rund um den Graben abzusuchen. Die Arbeit erschien ihm eigentlich sinnlos, denn im Laufe der letzten Monate hatten sich bestimmt hunderte von Menschen hier aufgehalten.

      Der kleine Bagger, mit dem der Graben ausgehoben worden war, hatte tiefe Spuren in dem Grasboden hinterlassen, so dass es nicht viel Sinn machte hier weiter zu suchen. Dustin ordnete an, die weitere Suche einzustellen. Die Männer packten ihre Utensilien zusammen und machten sich zurück auf den Weg ins Kommissariat. Die Ausbeute ihrer akribischen Arbeit war zufriedenstellend. Seine wichtigste Arbeit begann, sobald er