jetzt ganz sicher bald losgeht. Aus Sicherheitsgründen starte ich mein Auto und entferne mich ein Stück von der Aufwölbung. Auch die anderen Menschen vor Ort bringen sich in Sicherheit. Das Aufwölben der oberflächennahen Erdschichten erfolgt ohne weitere Erdbeben. Kein Mensch kann wissen, wie intensiv der Vulkanausbruch wird, und vor allen Dingen, wie lange er dann aktiv ist.
Auf der Aufwölbung bildet sich zwei Stunden später um 14 Uhr eine offene Kluft mit einer Länge von circa 1.000 Metern. Aus der Kluft schießt im nächsten Moment eine gigantische Lavafontäne in den Himmel. Anfänglich ist sie nur circa 300 Meter hoch, aber wenig später steigt sie in Höhen von mehreren Kilometern in die Atmosphäre. Das bei der Eruption entstehende brodelnde Geräusch ist absolut unheimlich. Überall prasseln in der Umgebung die ersten Lavabrocken auf die Erde nieder. Alle Menschen flüchten mit den Autos in sichere entfernte Gebiete. Ich entferne mich auch immer weiter von meinem Vulkan. Es ist Südwestwind, sodass die ersten Aschewolken nach Nordosten ziehen – Richtung Offenburg und Baden-Baden.
Der Mensch kann den Ablauf des Vulkanausbruchs nicht beeinflussen. Er kann sich nur in Sicherheit begeben. Die Menschheit hat bis zum Jahr 2050 viele nützliche Erfahrungen in allen Forschungsbereichen gesammelt, aber die Klimaerwärmung und die Drift der Kontinentalplatten, verbunden mit Vulkanismus und Erdbeben, hat sie bis heute nicht in den Griff bekommen.
Alpha drückt sich ängstlich in die letzte Ecke vom Auto. Die Eruptionsgeräusche sind für ihn unverständlich und viel zu laut. Ich brause mit meinem Fahrzeug gegen den derzeitigen Südwestwind, das Rheintal hoch über Nonnenweier bis nach Wittenweier. Der Ort ist circa 8 Kilometer von Kürzell entfernt. Hier, südwestlich vom Vulkan, werden bei den jetzigen Windverhältnissen zunächst erst mal keine vulkanischen Bomben vom Himmel fallen. Das kann sich aber noch ändern. Eventuell muss ich mich noch weiter vom Vulkan entfernen, aber ein Acht-Kilometer-Abstand ist für den Moment ausreichend.
In Wittenweier stehen die Leute auf den Straßen und schauen sich das Naturereignis an. Viele haben große Angst, weil sie die Auswirkungen nicht einschätzen können. Im Radio kam bereits vor ein paar Stunden der Aufruf an alle Gemeinden, sofort die betroffene Region im Fünfzig-Kilometer-Umkreis von Kürzell zu verlassen und in sichere Gebiete zu fahren. Scheinbar wollen die Bewohner hier in Wittenweier nur ungern ihre Behausungen verlassen.
Ich klettere auf mein Autodach, um einen besseren Blick auf den Vulkan zu haben. Er stößt mit einer unglaublichen Wucht glühendes Magma in den Himmel. Die Eruptionen haben sich seit dem Ausbruch massiv verstärkt. Die zurückfallenden Gesteine haben bereits einen Vulkankegel gebildet. Die Eruptionen aus Asche und Lava erreichen mittlerweile eine Höhe von circa 8.000 bis 10.000 Meter. Damit ist fast die Flughöhe der Jets erreicht. Das Eruptiv-Material prasselt in der Umgebung nieder und eine riesige Aschewolke zieht langsam mit dem Wind Richtung Nordwesten. Ein gigantischer Anblick. Das ist kein kleiner Vulkan, sondern einer aus der großen Kategorie „Kaiserstuhl“ mit einem explosiven Charakter.
Der Kaiserstuhl ist entstanden, als sich der Rheingraben im Tertiär gebildet hat. Er ist der größte ehemalige Vulkan im Rheingraben. Die Aktivität des Rheingrabens mit einer auseinanderdriftenden Bewegung von Vogesen und Schwarzwald ist allerdings im Tertiär zum Erliegen gekommen, weil der Antrieb durch die Konvektionsströme im Erdinneren weggefallen ist. Wäre der Konvektionsstrom weiter aktiv gewesen, wäre im Rheingraben ein neuer Ozean wie zum Beispiel das Rote Meer zwischen Afrika und der arabischen Halbinsel entstanden.
In Wittenweier prasseln die ersten vulkanischen Bomben vom Himmel. Das ist unglaublich, trotz der Entfernung von 8 Kilometern vom Vulkan. Wenn das Auto von einer vulkanischen Bombe getroffen werden sollte, bleibt von mir und Alpha nichts mehr übrig. Ich rutsche vom Autodach und fahre mit Alpha weiter nach Sasbach. Oberhalb von Sasbach befinden sich die Reste der mittelalterlichen „Limburg“ und ein altes Kloster. Zwischen diesen beiden Kulturgütern sind Weinberge, von denen man aus erhöhter Position mit circa 150 Metern über der Talsohle sehr gut Richtung Norden ins Rheintal schauen kann. Die Weinberge bei Sasbach sind ein nördlicher vulkanischer Ausläufer des Kaiserstuhls. Die Limburg ist Luftlinie circa 30 Kilometer von Kürzell entfernt.
Auf der Fahrt zur Limburg stoppe ich jedoch kurz, weil Prof. Dr. Stiller mich antelefoniert.
„Herr Anderson, wo sind Sie?“, fragt er.
„Ich fahre gerade zur Limburg, um mich in Sicherheit zu bringen!“
„Das ist ein guter Beobachtungsposten, etwas erhöht am Rande des Kaiserstuhls bei Sasbach! Kenne ich gut wegen der geologischen Exkursionen“, sagt er.
„Ja, genau! Ich denke, dass die vulkanischen Bomben nicht bis dorthin geschleudert werden. Kommen Sie auch dorthin?“
„Nein, ich fahre jetzt erst mal nach Freiburg ins geologische Institut. Wir werden dort heute Abend das neue Krisenzentrum einrichten“, erklärt er.
„Ich werde erst morgen früh nach Freiburg kommen, weil ich mir den Vulkan von der Limburg aus noch weiter anschauen möchte.“
„Okay! Einverstanden! Bis morgen!“, verabschiedet sich der Professor.
„Bis morgen!“
Ich fahre mit dem Auto auf den kleinen Versorgungsstraßen von Weinbauern den Berg hoch und parke etwas nördlich der Limburg. Von hier aus hat man einen fantastischen Blick ins nördliche Rheintal. Der Vulkan ist trotz der Entfernung von 30 Kilometern sehr gut zu erkennen. Er hat eine Eruptionshöhe von geschätzt weit über 10.000 Metern erreicht. Es sieht absolut beeindruckend aus. Mittlerweile hat sich ein riesiger Aschenkegel gebildet.
Wieder klingelt mein Autotelefon. Es ist Luise.
„Hallo, Luise! Wie findest du meinen Vulkan?“, frage ich.
„Sehr überzeugend!“
„Bist du in Karlsruhe oder in Basel?“, erkundige ich mich bei ihr.
„Ich bin noch in Karlsruhe!“
„Du wirst gar nicht mehr nach Basel fahren können, weil die Autobahn A5 gesperrt ist. Mittlerweile wird auch der Zugverkehr eingestellt worden sein“, berichte ich Luise
„Bist du heute Abend bei dir zu Hause in Colmar?“
„Ja, so ab einundzwanzig Uhr“, sage ich.
„Dann komme ich dich heute Abend besuchen. Morgen früh fahre ich dann weiter übers Wochenende nach Basel zu meinem Mann und den Kindern. Ich werde heute Abend den Vulkan großräumig umfahren und über die Vogesen nach Colmar kommen.“
„Das ist bestimmt noch ohne Probleme möglich. Meine Adresse hast du ja auf der Visitenkarte“, antworte ich.
„Na dann, bis nachher so um einundzwanzig Uhr.“
„Bis nachher“, freue ich mich.
Auf jeden Fall geht von Luise die Aktivität aus. Scheinbar will sie mich gerne sehen, bevor sie zu ihrem Mann nach Basel fährt. Ich schaue mir noch sehr lange den Vulkan an. Was für ein Anblick! Mir läuft es kalt den Rücken herunter, dagegen sind alle Frauengeschichten nur kalter Kaffee.
Um Luise nicht zu verpassen, fahre ich rechtzeitig nach Colmar in mein Haus. Im Autoradio höre ich, dass die Evakuierung der Menschen im Fünfzig-Kilometer-Umkreis von Kürzell voll im Gange ist. Viele Menschen haben bereits von sich aus das Gebiet verlassen. Schwierig gestaltet sich die schnelle Evakuierung von Altersheimen und Krankenhäusern. In der weiteren Umgebung werden durch die Hilfskräfte Notaufnahmelager mit Zelten eingerichtet.
Kurz vor 21 Uhr erreiche ich mein Haus in Colmar. Fast gleichzeitig trifft auch Luise mit ihrem Auto ein. Sie hat eine Weinflasche mitgebracht.
„So schnell sieht man sich wieder“, sagt sie zur Begrüßung.
„Super, dass du es geschafft hast, hierherzukommen!“
„Ich bin über Haguenau, Saverne, Urmatt und weiter auf der N420 bis St. DIÉ gefahren. Danach auf der N415 über den Col du Bonhomme in den Hochvogesen nach Colmar. Und jetzt bin ich da“, berichtet sie strahlend.
„Na,