Johannes Schell

Die Philosophie des Denkens


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mag. Über die „causa sui“ können wir nicht hinaus, weil sie das Denken auf sich selbst zurückwirft, wie wir früher nachgewiesen haben. Diese Grenze ist unübersteigbar, oder wir konstruieren metaphysische Dinge, die in der Luft hängen. Es könnte aber etwas geben, das uns herunterführt - und zwar in den tatsächlichen Gang der evolutiven Gestaltprozesse, wo jede Form der inneren und äußeren Anschauung beheimatet ist. Aber auch hier stoßen wir auf Widerstand: es kann in Begründungszusammenhängen weder Metaphysik noch Anschaulichkeit geben, weil beide Vorstellungselemente enthalten, die mit logischer Begründung unverträglich sind. Auch die Introspektion ist keine beweisende Tätigkeit und fehl am Platze. Größer kann das Dilemma nicht sein. Genau in dieser Situation befindet sich die moderne Philosophie, von Popper bis zu den Sprachphilosophen. Alle anderen Weltbilder scheinen Rückfälle in vergangene Konglomerate von essentialistischen Begriffen und anschaulichen Phantasiegebilden zu sein, zuweilen groß und gewaltig, aber immer ohne sich selbst tragenden Begründungshorizont, der aus Urteilen und nicht aus Realien besteht. Allerdings steckt in diesen Betrachtungen auch eine unbewusste Vorinterpretation, die der Überprüfung bedarf. Die Erkenntnisverhältnisse sind nicht so einfach, wie man uns heute glauben machen will. Wir haben schon in der Struktur des primären Erkenntnisaktes gesehen: die Selbsttragekraft des Denkens ist eine überlogische Erfahrung, zwar nicht sinnlich-anschaulich, aber als psychomentales Erlebnis wahrnehmbar - und dennoch das bedeutsamste Urelement aller Logik überhaupt. Es gibt also einen dritten Bereich neben der geistlosen Anschauung und der urteilenden Logik, einen Bereich, der über beiden liegt, weil er beide umschließt. Genau um diese Wahrnehmungsform hat sich die Philosophie betrogen, als sie mehr und mehr im materiologischen und logischen Positivismus versank, wie das heute in extremer Weise der Fall ist. Die so gepriesene „kritische Periode“ (seit Kant) ist nicht selbstkritisch genug gewesen, um diese übersinnlichen Phänomene als Erkenntnisfaktoren ausfindig zu machen. Sie blieb den Zeitevidenzen verhaftet, ohne es zu merken. Darüber hinaus degoutiert sie aus purer Animosität den Begriff des „Übersinnlichen“, weil sie dahinter etwas philosophisch Unreelles vermutet, ohne auch nur zu ahnen, dass jeder Mensch von morgens bis abends aus Erfahrungen lebt, die über das hinausgehen, was die inneren und äußeren Sinne angeblich als Tatsachen vermitteln. Wir werden uns mit diesem Problemkreis noch eingehend beschäftigen. Es könnte sich ein Weg finden, der neue Perspektiven eröffnet.

      In diesem Zusammenhang sei auch noch einmal der religiöse Aspekt der „causa sui“ erwähnt, die ja als eine logifizierte Form des Gottesbegriffs aufzufassen ist. Spinoza machte gar nicht erst den Versuch, diese Grenze zu übersteigen, weil er sie wohl als das Ende aller logischen Denkwege angesehen hat. Ganz anders verhalten sich die Gläubigen. Ihnen bleiben theoretische Tüfteleien fremd und gleichgültig. Aber auch sie erliegen einem schwerwiegenden Irrtum: mit ihrer religiösen Formel „höher denn alle Vernunft“ weisen sie genau das zurück - und oft mit erschreckender Feindseligkeit -, was den Menschen zum Menschen macht, nämlich des Erkennen. Es gibt keinen Glauben, der nicht aus der Erkenntnis geboren wäre. Und nichts ist schlimmer, auch in religiöser Hinsicht, als diesen beweisbaren Tatbestand zu leugnen. Niemand darf, im Namen Gottes oder der Wahrheit, das eigene beschränkte Subjekt mit allen seinen Vorurteilen, Barrieren, Grenzen und Schwächen zum Maßstab des Denkens und Glaubens erheben, oder er macht sich der Dummheit schuldig. Jedes Dogma ist tödlich. Dazu hat uns das 20. Jahrhundert die blutigsten Beweise geliefert. Aber trotz aller Einwände muss es doch etwas geben, was den ehrlichen und ernsten Gläubigen trägt und befriedigt. Woher mag das kommen? Erinnern wir noch einmal an die vorhin gestellte problematische Frage, ob es auf dem konkreten Weg der evolutiven Gestaltenfolge, also im Bereich des Erfahrbaren, ein Faktum gibt, das in der Form seines Auftretens irgend etwas mit den Begriffen „causa sui“ und „Substanz“, also auch mit „Gott“ und „Wahrheit“, zu tun hat. Wenn ja, dann hätten wir eine kugelrunde contradictio in adjecto provoziert, nämlich einen sichtbaren Begründungszusammenhang, den es nicht geben kann, auch nicht in irgendwelchen Vorstufen. Und doch scheinen die Gläubigen diesen Widerspruch nicht anerkennen zu wollen, wenigstens nicht in ihren unbewussten Denkprozessen. Die Gläubigen gehen nicht von abstrakten Begriffen aus, sie leben mit „Gestalten“, mit Vorstellungen, mit Bildern, die aussagekräftig sein müssen, sonst könnten sie nicht eine so nachweisbare große Wirkung ausüben. Dasselbe gilt ja auch für die Kunst. Alle Einsichtigen wissen das. Gehört das alles nur in die „empirische Psychologie“? Ist hier nirgends das Erkennen beteiligt? Oder nur jenes Erkennen nicht, das wir heute „Erkennen“ nennen? Lassen Sie mich ein religiöses Bild herausgreifen, das in seiner unklaren Feierlichkeit einen tiefen Eindruck machen kann: ich meine das paulinische Wort, dass wir einmal Gott „von Angesicht zu Angesicht“ sehen werden. Welche Befriedigung kann eine solche Metapher dem Gläubigen geben? Heute sind wir natürlich sofort bereit, „soziologisch“ zu denken und patriarchalische Reminiszenzen hineinzudeuten, den Feudalherrn als gesellschaftlichen „Gott“, der langsam zum „Alten Herrn mit Rauschebart“ degenerierte. Und das ist unter sinnvollen Gesichtspunkten nicht einmal ganz falsch. Aber man sollte in Betracht ziehen, dass Paulus einen hohen Bildungsgrad und ein von unserem verschiedenes Denkbewusstsein hatte. Er hat gewiss keine Gesellschaftsstrukturen „verinnerlicht“. Er war auch nicht das naive Opfer von unbewussten „anthropomorphistischen“ Vorstellungen, wie wohl heute eine andere Interpretation lauten könnte. Vor diesen vordergründigen Auslegungen sollte uns auch sein personalistisches Damaskuserlebnis bewahren. Wo liegt nun der Erlebniskern? Im menschlichen „Angesicht“ erfahren wir auf anschauliche Weise genau das, nach dem wir immer auf der Suche sind: das seelische und geistige Zuhause. Keine andere erfahrbare Erscheinung vermittelt etwas Vergleichbares. Unsere persönliche, in sich selber sinnlose Robinsonade endet unmittelbar im Anblick eines menschlichen Antlitzes: wir kommen in ihm vorübergehend zur Ruhe, als hätten wir das gefunden, was sich selbst erklärt. Das tut es zwar nicht, aber es ist der Anfang eines Evidenzerlebnisses, das wir deshalb ganz instinktiv zu geistigeren Formen weiterimaginieren können, bis das hervortritt, was wir, in subjektiver Färbung, das „Angesicht Gottes“ nennen. Der rote Faden dieser ideellen Steigerung ist die Entfaltung des ursprünglichen Evidenzerlebnisses. Daher die immer damit verbundene intelligente Idealstruktur dieses „überirdischen“ Angesichts, das sich als universelles Kommunikationswesen offenbart. Hier liegen auch die Ursprünge des alten Schönheitsbegriffs, der das idealtypische Urbild des Menschen inkarnieren wollte, ohne auf die konkrete Individualität Rücksicht zu nehmen, wie wir das heute tun müssen. Dahinter steht allemal jene Erfahrung, die wir das „psychomentale Erlebnis“ genannt haben, das darin besteht, ideell-reelle Dinge und Vorgänge zu erleben und stufenweise zu verwandeln, bis ihr Wesen sich in sich selbst konzentriert und immer deutlicher in die „Sichtbarkeit“ tritt. Auch das sind Urteile, aber mit einer anderen Methode gewonnen, die uns noch beschäftigen soll.

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