Till Angersbrecht

Ego - oder das Unglück, ein Mann auf dem Mars zu sein


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eine Frau ihn über sich thronen, so als wäre er ein höheres oder auch nur ein gleichwertiges Wesen. Er fühlte sich hin und her gerissen zwischen Gefühlen der höchsten Lust, die ihn – ganz unprofessionell – überfielen und einer ihn anspringenden Schuld, denn er kam sich gleichzeitig vor wie ein schmutziger Macho, einer von denen, die in früherer Zeit den Frauen das Leben auf Gaia zur Hölle machten.

      Du Phallokrat, höhnte ihn die Stimme, du heilloser Macho, du Vergewaltiger! Selbst auf dem Höhepunkt und nachdem er sich schließlich ganz auf Ella hinabgleiten ließ und dann regungslos auf ihr verharrte, ließ ihn die Stimme nicht los, und das schreckliche Bild drängte sich herrisch in sein Bewusstsein, das Bild, das sich der Zeichner für die Patriarchenstellung „K37b“ ausgedacht hatte. Ein Mann mit stieren Augen ist dort zu sehen, eine affige Gestalt mit wulstigen Armen, einem hässlichen Bart und einem dichten Pelz auf der Brust – kurz eine Gestalt wie ein Gorilla, der einen zarten, weißhäutigen Engel nahezu ganz unter seinem bulligen Leib begräbt.

      So in jeder Hinsicht erregt und in Aufruhr, befand sich Ego in einem gewaltigen Konflikt mit sich selbst. Er begriff nicht - denn die Männer sind ja überall auf der Welt recht schwer vor Begriff -, er begriff nicht, dass Ella keineswegs bloßem Mutwillen gehorchte, sondern einem viel tieferen Gefühl: Sie hatte Mitleid mit diesem Männchen, diesem traurigen, armen Wesen, das auf Marsopolis eine so geringe, von vielen verachtete Stellung einnahm. Dass aus ihrem Mitleid schon Liebe geworden war, hätte sie selbst sich in diesem Moment freilich noch gar nicht eingestanden, die Sache war ja von vornherein viel zu unwahrscheinlich. Echte Liebe zwischen Mann und Frau gilt auf dem Mars als undenkbar und scheint deswegen auch unmöglich zu sein.

      Nun, der Verfasser des vorliegenden Berichts kennt natürlich den weiteren Verlauf der Geschichte. Er weiß daher mehr als die beiden Protagonisten. Er dar sich dieses Worts daher schon jetzt ohne Vorbehalte bedienen.

      Als beide den uralten Ritus in seiner per Gesetz streng verbotenen Form beendet hatten und glücklich über die eben begangene Sünde waren, kam es schließlich dazu, dass Ego doch endlich zu begreifen begann. Und er tat, was Männer eben so tun, wenn sie gerührt und ergriffen sind: Er wurde geschwätzig, erzählte aus seinem Leben.

      Major Trippschitz, ging es ihm durch den Kopf. Er erzählte Ella, wie er einmal aus lauter Verzweiflung darüber, auf dieser Welt nur ein nichtswürdiges Männchen zu sein, beinahe Hand an sich selbst gelegt hätte.

      Die Selbstkastration des Major Trippschitz

      Im Zustand der Ermattung, die sich wie in jedem kräftezehrenden Beruf in dem eines Qotenmannes gleich nach der Erfüllung der Pflicht einstellt, also geradezu vorhersehbar ist, lässt der Mensch sich gerne gehen. Das Gewissen ist, wie wir sahen, ohnehin ausgeschaltet, aber auch das kritische Über-Ich ist in diesem Fall mattgesetzt, weil zwischen Ego und Ella ein Gefühl aufgekeimt ist, dass die Ermattung zu einer seligen macht. Ego ließ sich also sehr gerne gehen - und diesem Umstand verdanken wir es, dass wir jetzt von der schrecklichen Geschichte Major Trippschitzs erfahren, die auf Geheiß der Holden in den Annalen der Stadt bis heute verschwiegen wird.

      Major Trippschitz, ein Gebürtiger aus Gaia, der mit der letzten Rakete und einer Mannschaft von zwanzig anderen Männern im Jahr 13 p. M. ( = 2058 n. Chr.) auf unserem Planeten gelandet war, Major Trippschitz hatte es gewagt. Er wollte einfach so sein wie die anderen, wie all die Frauen, die ihn nach seiner Ankunft auf Marsopolis zwar höflich empfingen, ihn aber gleich zu Beginn wissen ließen, dass er hier nichts zu sagen und eigentlich auch nichts zu suchen habe, weil er nur ein erbärmlicher Macho sei, einer von den vorzeitlichen Patriarchen, die das Menschengeschlecht mit allen Übeln heimgesucht und verdorben hätten.

      Der Major, trotz seines militärischen Rangs ein durchaus sensibler Mensch, verfiel daraufhin in eine Schwermut, die mit der Zeit in rasende Verzweiflung überging. In diesem Zustand begann er, sich mit den verschiedensten Instrumenten wie Scheren, Zangen, Nadeln etc. zu ritzen und zu kneifen, bis er in einem Moment dunkler Entschlossenheit, einen Zwirnsfaden um die Hoden legte, wobei er mit einem entschiedenen Ruck die Blutzufuhr schließlich ganz drosselte und sich auf der Stelle in einen Eunuchen verwandelte. Offenbar neigte er schon zuvor zur Gewalttätigkeit, denn ein roter Schmiss, der ihm über die rechte Wange lief, verunstaltete sein Gesicht. Wiederum führte er sich, wenn auch das letzte Mal und glücklicherweise nur gegen sich selbst, als brutaler Macho auf.

      Das sollte allerdings der letzte Akt männlicher Gewalttätigkeit sein. Als die Tat ruchbar wurde, war ein allgemeiner Aufruhr die Folge. Die Frauen zerfielen in zwei verfeindete Lager, die einander nicht nur mit allen Argumenten scharfsinniger Logik bekämpften, sondern sehr bald handgreiflich wurden: Sie waren nämlich drauf und dran, mit fanatischer Wut übereinander herzufallen. Das Lager derer, die sich selbst als Heldenverehrer sahen, erhob den Major zu einem Vorbild für alle Männer. Hatte er nicht aus eigener geistiger Kraft seine naturgegebene Minderwertigkeit erfasst und den Versuch unternommen, mit seiner Tat die Erbsünde abzutragen, indem er seiner Männlichkeit aus freien Stücken entsagte? Im Lager der Heldenverehrer waren die Frauen geneigt, Major Trippschitz einen besonderen Rang zu verleihen, nämlich den einer Ehrenfrau.

      Was mich betrifft, unterbrach Ego seinen Bericht, so war ich im ersten Augenblick von Major Trippschitzs kühner Tat so begeistert, dass ich mir ebenfalls einen Zwirnsfaden verschaffte und diesen auf mein Nachtkästchen legte. Andererseits ließen mir die Zweifel von Anfang an keine Ruhe. War es denn mit den Eiern wirklich getan? Viel beschämender für den Mann ist doch das Ding, ich meine dieser Schlauch zwischen den Beinen. Die Eier lassen immerhin eine gewisse Symmetrie erkennen, wie sie in der Kunst durchaus beliebt ist, außerdem ist ihnen ein gewisser ausladender Schwung nicht abzusprechen. Das eigentliche Übel ist doch diese Raupe, dieser klägliche Regenwurm in all seiner Missgestalt! Ob ein überlegter Gebrauch des Zwirnfadens, fragte ich mich, nicht auch in diesem Fall Abhilfe schaffen könne?

      Nun, um ehrlich zu sein, währten meine Überlegungen nicht sonderlich lange; ich sah mich schon bald genötigt, derartige Hoffnungen für alle Zeit aufzugeben. Die “Holden” vom Fünften und Höchsten Reif, also die gnädige Regierung unserer Holden, hatte sich den Fall Trippschitz nämlich in geheimer Beratung vorgenommen. Kein Wunder, der Aufruhr unter den Frauen hatte die Selbstkastration des Majors über Nacht zu einer Staatsaffäre gemacht. Den Heldenverehrern stand ein durch und durch unnachsichtiges Lager gegenüber: alle jene Frauen – sie nannten sich selbst die “Unerbittlichen” – die absolut nicht mit sich reden ließen. Der Mann, so schrien sie es den Heldenverehrerinnen entgegen, sei grundsätzlich verdorben, ein missratenes Schöpfungsprodukt. Wie soll ein Zwirnsfaden da Abhilfe schaffen?

      Wir wissen, dass auch die Holden des Fünften Reifs sich furchtbar gestritten haben; auch sie waren in die beiden Lager zerfallen. Die zweite und dritte Holde wollten dem Trippschitz eine Statue errichten. Der Major wäre dann in Gestalt einer Frau - oder sagen wir besser: fast in der Gestalt einer Frau - verewigt worden. Doch die Erste Holde schüttelte missbilligend ihren Kopf, hob ihre Hand und verkündete das abschließende Urteil. Das sorgte sogleich für allgemeine Überraschung, ja rief anfänglich sogar Bestürzung hervor. Selbst die Unerbittlichen hatten nicht mit solcher Härte gerechnet. Die Erste Holde sprach eine sofortige Verbannung des Majors zu den Köchen in die Unterwelt aus.

      Auf die anfängliche Bestürzung folgte nach und nach die Erleichterung. Am Ende fand die Begründung der Ersten Holden sogar die Billigung beider Lager. Die Kastration, so die Erste, sei an sich zu begrüßen. Zweifellos würde sie einen Mann im Hinblick auf seine äußere Gestalt – wenn auch nicht im Hinblick auf seine mindere Intelligenz und Mängel – dem Vorbild der Frauen annähern. Doch dass ein Mann sich selbst zu dieser Tat ermächtigt, ohne zuvor die Holden um eine Vollmacht ersucht zu haben, sei ein unverzeihlicher Akt der Selbst-Herr-lichkeit und stehe somit ganz in der Tradition jenes unseligen Machotums, dem die Frauen mit der Gründung einer jungfräulichen Zivilisation auf dem Mars ein für alle Mal ein Ende bereitet hätten.

      Dieser von der Ersten Holden ergangene Urteilsspruch war natürlich auch als Warnung an die wenigen übrigen noch in der Oberwelt geduldeten Quotenmänner gedacht: Zweifellos erklärt sich so seine absichtliche Härte. Mitsamt der ganzen von Gaia mitgebrachten Mannschaft aus zwanzig Leuten wurde Trippschitz für immer in die Schächte der Unterwelt