Dietrich Novak

Götzenbild


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      Statt einer Antwort, lief Hinnerk hinaus und warf die Tür ins Schloss.

      »Die Tür hat eine Klinke, Herr Lange, also benutzen Sie sie bitte auch!«, hörte er hinter sich herrufen, doch da war er schon in seiner Abteilung.

      »Das ist ja ein charmanter Fetzen, unsere neue Staatsanwältin«, sagte er wutentbrannt. »Wenn ich mich nicht sehr täusche, mag die keine Männer. Hält die mir doch eine Standpauke, weil mich das Arschloch wegen Nötigung angezeigt hat.«

      »Ich hab dir doch gesagt, das gibt Ärger«, meinte Lars.

      »Tu mir einen Gefallen und erspar mir deine klugen Sprüche. Jedenfalls stelle ich mir unter einer guten Zusammenarbeit etwas anderes vor.« Hinnerk ließ offen, ob er damit Frau Lindblom oder Lars meinte, und Lars hütete sich, noch etwas hinzuzufügen.

      Valerie traf vor der Wohnung von Jörn Ritter ein. Sie befand sich im Hinterhaus eines Kreuzberger Altbaus im dritten Stock. Nach einer kurzen Wartezeit wurde tatsächlich geöffnet. Ritter war ein vom Alter her schwer einzuschätzender Mann. Seine wenigen Haare glänzten fettig, und seine Kleidung war sehr leger, um nicht zu sagen schlampig.

      »Das ist ja mal eine Überraschung«, sagte er, als er Valeries Ausweis sah. »Sind alle Kommissarinnen beim LKA so schön?«

      »Mir ist bekannt, dass Sie im Komplimente machen sehr geübt sind, Herr Ritter, nur sollten Sie sich vorher genau überlegen, wem Sie sie machen.«

      »Ist es schon eine Straftat, einer Kommissarin zu sagen, wie schön sie ist?«

      »Nein, ich meinte weniger mich als eine Mitarbeiterin eines Callcenters, die Sie derart bedrängt haben, dass es schon an Stalking grenzt. Aber wollen wir das hier im Flur besprechen?«

      »Nein, kommen Sie rein! Gehen wir doch in die Küche, da ist es im Verhältnis zum Wohnzimmer noch relativ ordentlich.«

      Ritter bot Valerie einen Platz auf einem schäbigen Küchenstuhl an, und sie war froh, eine Jeans, und keine helle Hose, anzuhaben.

      »So, hat sich die Kleine also über mich beschwert? Aber das deswegen gleich die Kripo kommt …«

      »Ich bin nicht hier, weil Sie Frau Feist mit Anrufen belästigt haben, sondern weil sie inzwischen tot aufgefunden wurde.«

      »Sagen Sie bloß. Feist hieß sie also. Ein sehr unpassender Name für eine Frau mit so erotischer Stimme. Auf welche Weise ist sie denn ums Leben gekommen?«

      »Ich hoffte, Sie würden mir das beantworten.«

      »Wie könnte ich? Ich habe die Dame niemals getroffen. Sie wollte ja nicht. Ich weiß nicht einmal, ob sie hübsch oder hässlich war.«

      »Ich kann Ihnen versichern, dass Frau Feist sehr hübsch war, und besonders schöne Beine hatte.« Valerie beobachtete Ritters Reaktion, aber der feixte nur.

      »Hat mich mein Gefühl also nicht getrogen. Bei Frauen mit verführerischen Stimmen kann man böse Überraschungen erleben.«

      »Sie scheinen einen Großteil Ihrer Zeit mit Telefonieren zu verbringen. Können Sie sich das leisten?«

      »Ach, wissen Sie, im Zeitalter der Telefonflatrates ist das kein Problem mehr. Außerdem irren Sie sich, falls Sie glauben ich mache das gewohnheitsmäßig. Diese Frau hatte etwas Besonderes, ich hätte sie gerne getroffen.«

      »Angenommen, Frau Feist wäre auf ihre Einladung eingegangen – verzeihen Sie, wenn ich das sage, aber wenn ich mich hier so umsehe … was hätten Sie ihr bieten können? Oder unterhalten Sie noch eine besser ausgestattete Zweitwohnung oder eine großzügig bemessene Werkstatt?«

      »Es soll Frauen geben, die auf materielle Dinge nicht so viel Wert legen. Ich bin ein ganz lieber Kerl und im Bett einsame Spitze.«

      »So genau wollte ich es eigentlich nicht wissen.«

      Ritter grinste. »Und zu Ihrer zweiten Frage: Nein, das ist meine einzige Wohnung, und eine Werkstatt besitze ich auch nicht. Sehe ich wie ein Künstler oder Handwerker aus?«

      »Man sieht einem Menschen seinen Beruf oder seine Hobbys nicht auf Anhieb an. Und in Kreuzberg findet man bekanntermaßen viele Fabriketagen oder alte Werkstätten. Ich habe selbst einmal in diesem Bezirk gelebt.«

      »Wie schade, dass wir uns nicht schon damals begegnet sind. Aber ich muss Sie enttäuschen, eine Fabriketage kann ich mir nicht leisten. Andernfalls würde ich dort sicher auch wohnen.«

      »Manche Räume sind zum Arbeiten noch immer geeignet, zum Wohnen aber weniger«, gab Valerie nicht auf.

      »Ich hatte einen stinknormalen Bürojob, bis mein Rücken nicht mehr mitspielte. Künstlerische oder handwerkliche Ambitionen gehen mir gänzlich ab.«

      »Wo haben Sie sich am Abend des dreiundzwanzigsten Mai aufgehalten? Das war ein Freitag, der nicht so heiß wie die übrigen Tage war, und es regnete nicht. Also so recht geeignet für einen Spaziergang.«

      »Ich war zu Hause. Der große Läufer bin ich nicht und sitze lieber. Wahrscheinlich habe ich telefoniert, das müsste sich ja nachprüfen lassen.«

      »Das werden wir. Bei welchem Provider haben Sie Ihre Flatrate?«

      »Bei der Telecom. Zusammen mit Internet und Fernsehen.«

      »Und Sie waren nicht doch zufällig in der Rollbergstraße? Gar so weit ist es ja nicht von hier.«

      »Mit Sicherheit nicht. Was hätte ich da sollen? Und zu Fuß ist es schon eine ordentliche Strecke. Ich bin nämlich nicht motorisiert.«

      »Das wäre meine nächste Frage gewesen. Und Sie haben auch keinen Freund, der Ihnen hin und wieder sein Fahrzeug leiht?«

      »Ich gehöre zu der seltenen Spezies, die keinen Führerschein hat.«

      »Na ja, es gibt öffentliche Verkehrsmittel …«

      »Trotzdem, ich bin meistens hier. So auch an dem bewussten Abend.«

      »Gut, dann hätte ich im Moment keine weiteren Fragen. Vielleicht sehen wir uns aber noch einmal wieder.«

      »Das würde mich außerordentlich freuen …«

      »Ich werde es meinem Mann ausrichten, Herr Ritter …«

      Der sechste Juli war besonders heiß in Berlin. Die Freibäder waren mehr als gut besucht. Überall sah man halbnackte Menschen, die in der Sonne brieten, im Schatten dösten oder Erfrischung in den Wasserbecken suchten.

      Er hatte seine Decke auf dem Rasen ausgebreitet und lag auf dem Bauch, um seine Erregung zu verbergen. Seine große, dunkle Sonnenbrille verbarg seine gierigen Blicke. Es gab viel zu sehen, denn das Freibad im Humboldthain wimmelte nur so von hübschen jungen Frauen, die mit ihren Freundinnen, Liebhabern oder Kindern etwas Abkühlung suchten. Ihn interessierten nur die scheinbar alleinstehenden. Und darunter nur jene, die sich durch eine tadellose Figur auszeichneten. Er mochte keine pummeligen oder zu kleine Frauen, und solche mit sogenannten Reiterhosen waren ihm ein Graus. Seine Traumfrau musste groß sein, mit festen Schenkeln, schlanker Taille und wohlgeformten Brüsten. Sie musste kein Model sein, die oft nur einen kleinen Busen hatten und ihm deutlich zu mager waren.

      Eine fiel ihm sofort ins Auge. Eine Blonde mit nicht besonders schönem Gesicht, aber dafür umso perfekterem Körper, den ihr knapper Bikini nur unzureichend verhüllte. Wenn sie ging, wiegte sie sich in den Hüften, ohne dass es aufgesetzt oder einstudiert wirkte. Als sie sich hinlegte und das Oberteil ihres Bikinis öffnete, sah er, dass ihre Brüste genau die richtige Größe hatten, nicht zu viel und nicht zu wenig. Und er wäre jede Wette eingegangen, dass die Schöne nicht mit Silikon nachgeholfen hatte.

      Ja, das war genau die Richtige, dachte er und legte sich einen Schlachtplan zurecht, wie er an sie herankommen könnte. Es war keine von denen, die vordergründig Kontakt zu Männern suchte, denn die bewundernden Blicke, die ihr galten, quittierte sie mit Gleichgültigkeit oder Missachtung. Entweder hatte man ihr schon zu oft gesagt, wie tadellos sie aussah, oder es war eine von den Treuen, die sich für ihren Freund