Prince Mario Munibert Gulbrand

Die Annalen von Naschfuhd; aus den Chroniken von Biglund


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Zentauren wären dabei kein Problem gewesen, wenn er sie nicht gerade auf ungeschickte Art und Weise in ihrem Gebiet gestört hätte. Albin drang immer tiefer in den Wald ein, sodass er bald nicht mehr auf dem Weg weit genug zurücksehen konnte, um die Stelle zu erkennen, an der dieser Wald für ihn anfing. Er konnte gerade noch den Boden unter seinen Füßen und vielleicht zehn bis zwölf Meter weit den Weg vor sich erkennen, so düster war es. Und die Wolken schienen zu allem Überdruss ebenfalls immer dichter zu werden. Unweit entfernt vor sich konnte Albin schon ein leichtes Gewitter hören.

      Plötzlich raschelte etwas direkt neben ihm! Albin stockte der Atem. Er blieb wie angewurzelt stehen und drehte seinen Kopf ganz langsam in die Richtung, aus dem das Geräusch kommen musste, nämlich nach rechts. Es raschelte wieder an derselben Stelle, diesmal lauter. Albin hielt sein Vierkantholz fester und machte sich kampfbereit. Genau aus dieser Richtung, von der das verräterische Rascheln kam, sprang plötzlich und ohne jedes weitere Zeichen der Vorwarnung ein überdimensionales Etwas mit seinem kolossalen Hinterteil direkt in Albins total verdattertes Gesicht.

      Albin wurde anderthalb Meter weit zurückgeworfen. Schnell und schwer geschockt rappelte er sich wieder auf und erkannte, was ihn soeben angesprungen hatte. Es war nicht mehr und nicht weniger als ein riesiger Pilz! Ein überdimensionaler bunter Pilz mit zwei knubbeligen Beinen und einem äußerst grimmigen Gesicht unter seinem lamellenbesetzten Pilzkopf. Arme hatte er, bzw. es keine. Was war das nur für eine Teufelei? Davon hatte er nicht einmal in einem Märchenbuch etwas gehört.

      Doch für mehr analytische Überlegungen blieb Albin keine Zeit, denn der Pilz rannte schon mit Vollgas direkt auf ihn zu. Albin wich aus und versetzte ihm dabei mit seinem Vierkantholz einen gehörigen Schlag auf seinen Hinterkopf, bevor der Riesenpilz mit viel Schwung gegen den nächsten Baumstamm donnerte. Doch das war anscheinend noch lange nicht genug. Der Riesenpilz schüttelte sich nur ein wenig und stöhnte. Dann sah er sich nach Albin um, verzog eine verärgerte Grimasse und rannte wieder auf ihn zu. Albin wich erneut erfolgreich aus und ließ den Riesenpilz wieder mit seinem Schwung weiterlaufen. Dann nahm er schnell seine Holzfrisbee in die rechte Hand und warf sie mit voller Wucht nach dem bunten Riesenpilz. Es war ein satter Volltreffer. Als die Holzfrisbee den Pilz an einer empfindlichen, lamellierten Stelle traf, versprühte sie ein paar tausend kleine Funken und verwirrte damit den Pilz so sehr, dass dieser scheinbar viel zu paralysiert war, um Albin vorerst wieder angreifen zu können. Anscheinend musste es sich um eine magische Holzfrisbee handeln. Wusste das der sprechende Kater etwa nicht oder hatte er es versehentlich oder absichtlich verschwiegen? Jedenfalls war es die Gelegenheit für Albin, um den Pilz mit einem mächtigen Tritt wieder zurück in den Wald zu befördern, aus dem er kam und anschließend so schnell er konnte wegzurennen. Der Riesenpilz stand nun an einem kleinen Abhang und taumelte verwirrt umher. Albin stürmte mit lautem Kampfgeschrei auf den Riesenpilz zu und versetzte ihm einen gewaltigen Tritt, der ihn auf seinem runden Pilzkopf in den tiefen Wald hinein kullern ließ. Albin wollte doch nicht mehr so schnell er konnte wegrennen, denn der Kampf verursachte einen Adrenalinstoß, der selbst bei einem friedfertigen Dorfbewohner wie ihm einen kleinen Blutrausch verursachte. Er warf dem Riesenpilz noch einmal seine Holzfrisbee entgegen und traute danach seinen Sinnen nicht. Nachdem der Pilz ein weiteres Mal getroffen wurde, stieß er einen wütenden Laut von sich und explodierte anschließend in viele winzig kleine Sternchen. Dann war nichts mehr von ihm übrig, nicht einmal ein kleiner Haufen Staub.

      „Wow!“ dachte Albin. Er war beeindruckt von sich selbst und vor allem von seiner Holzfrisbee. Das musste wohl ein magisches Wesen sein, denn ansonsten wäre es nicht nach einem Treffer der Frisbee auf so spektakuläre Art und Weise explodiert und hätte nichts als Luft und kleine Sternchen hinterlassen. Und ganz abgesehen davon gab es in ganz Biglund keine riesigen lebendigen Pilze. Vielleicht hatte Prosta bereits eine Ahnung, dass Albin seine Pläne durchkreuzen wollte und schickte ihm jetzt schon ein paar Hindernisse, um seine Mission zu vereiteln. Der Pilz war sicher nur ein fader Vorgeschmack auf die Zauberkünste, die ihn noch erwarten würden.

      Albin war bestärkt durch den siegreichen Kampf. Eigentlich mochte er keine Kämpfe und war deshalb umso erstaunter und bestärkter darüber, wie gut er sich doch geschlagen hatte. Schließlich läuft man nicht jeden Tag einem kampfeslustigen bunten Riesenpilz entgegen. Noch eine Minute vorher hatte er Schwierigkeiten damit, sich vor lauter Aufregungen nicht in die Hose zu machen. Doch jetzt fühlte sich Albin zum ersten Mal in seinem Leben wie ein richtig starker Mann. Am liebsten hätte er deswegen an Ort und Stelle angefangen, laut herum zu grölen, doch bevor er damit ansetzte, stellte er fest, wie bescheuert es gewesen wäre, an Ort und Stelle laut herum zu grölen; vor allem weil er damit möglicherweise eine andere äußerst seltsame und vielleicht noch deutlich gefährlichere Kreatur hätte anlocken können. Also holte er sich ohne jede Form übertriebenen Theaters die magische Holzfrisbee zurück und setzte seine Reise durch den finsteren Wald fort, der seiner Landkarte und den Markierungssteinen nach erst am späten Abend durchschritten werden könnte. Es war ein - für hiesige Verhältnisse - großer Wald, welcher passend zum Namen des Weges den Namen „Wald der Leiden“ trug. Manche - vor allem die Einwohner von Braksop - nannten ihn umgangssprachlich einfach Dunkelwald, was auch recht gut passte. Dieser Wald hatte eine düstere Geschichte. Er wurde vor Jahren einmal von einem finsteren Hexenmeister verzaubert, weil der von König Theobald dem Siebten um eine größere Summe Goldtaler betrogen wurde. Überhaupt war König Theobald der Siebte für den stetigen Verfall seines Königreiches innenpolitisch betrachtet zu achtzig Prozent und außenpolitisch zu fast hundert Prozent verantwortlich. Als Strafe für diesen überaus unverschämten Betrug machte der Hexenmeister den Weg durch diesen Wald, der davor eine wichtige Handelsstraße für das Königreich Splinarsa darstellte, für Reisende und Händler schlecht passierbar, indem er sie verfluchte. Seitdem tummelten sich dort allerlei Seltsamkeiten und trieben ihr Unwesen. Und seit dieser Zeit nannte man den Weg offiziell den Pfad der Leiden. Nur unter Historikern wurde er gelegentlich als die Alte Handelsstraße bezeichnet, da es früher einmal eine für Braksop wichtige Handelsstraße war.

      Allerdings war die Zauberkraft dieses Hexenmeisters nicht allzu mächtig und deshalb waren es meistens nur ein paar verfluchte Zwergkaninchen oder kleine Vogelarten, welche den Reisenden durch blitzschnelle Massenangriffe mächtig zusetzten und deren Hab und Gut stahlen, jedoch ihr Leben meist verschonten, wenn sie sich schnell genug ergaben. Riesenpilze oder dergleichen hatte man dort bisher noch nicht gesichtet.

      Albin beschleunigte sein Tempo, denn das Gewitter erreichte auch ihn allmählich und seine Kleidung wurde innerhalb weniger Minuten durchnässt. Es stellte sich ihm zwar kein weiterer gigantischer Pilz in den Weg, doch trotz des starken Regenfalls und des sommerlichen Klimas kamen einige überaus garstige Stechmücken und mehrere Dutzend wütender Piepmatze, denen der Regen nichts ausmachte, auf ihn zugeflogen, die sich nur durch ein paar gezielte Hiebe mit dem Vierkantholz verscheuchen ließen. Wahrscheinlich tauchten die vielen kleineren wilden Tiere deshalb erst zu diesem Zeitpunkt auf, weil sie von dem bunten Riesenpilz zuvor vertrieben wurden. Albin hielt allen Gegnern mutig und entschlossen stand. Auch die marodierende Waldhamsterhorde, die sich ihm anschließend in den Weg stellte und eine Unmenge Knabberzeug als Wegzoll verlangte, bereitete ihm außer ein paar kleinen Kratz- und Bisswunden keine größeren Schwierigkeiten. Heldenhaft setzte sich Albin allen tierischen Widrigkeiten zur Wehr. Ein größerer Waldvogel hätte ihn nach minutenlangen aggressiven Drohgebärden beinahe am Ohr gepickt, wenn er ihr nicht mit einem Holzfrisbee-Distanzangriff zuvorgekommen wäre. Einem Angriffsmanöver fliegender Baumwipfelratten konnte er nur knapp ausweichen und schlimmere Verletzungen damit verhindern. Diese Gegend war eindeutig verfluch. So Stunde um Stunde, bis er endlich die ersten, durch den Regen ganz verschwommenen Anzeichen des Waldrandes in der Ferne erblicken konnte.

      „Ja, endlich geschafft!“, schnaufte Albin erleichtert. Die Hürde war fast gemeistert und er war allmählich müde von den Strapazen. Auf der anderen Seite des Waldes befand sich zu seinem großen Glück eine Gaststätte, in der er diese Nacht verbringen konnte. Und das musste er schließlich, denn es würde schon bald dunkel werden und wer wusste schon, welche Bestien der Nacht sich in dieser verfluchten Gegend herumtrieben und ihn vielleicht nachts unter der leichten Decke überraschen würden. Sein Zelt, das ihn zumindest vor kleineren Wesen hätte schützen können, hatte Albin dummerweise daheim vergessen.

      Vom Regen durchnässt ließ er den Wald hinter sich und kam auf die Gaststätte zu, die