Prince Mario Munibert Gulbrand

Die Annalen von Naschfuhd; aus den Chroniken von Biglund


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der Leiden, welcher sich am nördlichen Tor der Stadt befand. Er folgte der Straße zum Nordtor der Stadt. Auf dem Weg dorthin, durch die vielen verwinkelten Gassen und verschmutzten Straßen, sahen ihn wieder einige der dubiosen Gestalten der Stadt merkwürdig an, denn sie stellten in Windeseile fest, dass Albin nicht einer von ihnen war (und das war bereits für sich genommen ein Grund, zumindest argwöhnisch zu sein) und je weiter er in den Norden von Braksop kam, umso weniger davon waren überhaupt noch Menschen, sondern vielmehr Kobolde, Zwerge und allerlei Kreaturen, unter denen manche von irgendeinem verrückten Zauberer einmal mit einem Menschen oder einem anderen Etwas gekreuzt wurden, weil ihm langweilig war oder er seine Freunde beeindrucken wollte. Der ganze Stadtteil war eine einzige Freakshow, deren Haupt- und Nebenfiguren allesamt eine Anhäufung von vorsätzlich Obdachlosen, faulen Trinkern und Betrügern war. Es war der niederträchtigste Bodensatz der splinarsaischen Gesellschaft, der sich hier tummelte. Albin hätte kaum für möglich gehalten, dass es eine noch versifftere Gegend in dieser Stadt gab, nachdem er sie vom Nebelwald kommend, zum ersten Mal betrat, doch da hatte er sich schwer getäuscht. Albin befand sich eindeutig im Elendsviertel der Hauptstadt. Das wusste er erstens, weil es als solches sogar auf seiner Landkarte, die einen kleinen Stadtplan von Braksop am Rande enthielt, gekennzeichnet und mit dem Hinweis "gefährliches Elendsviertel" versehen war, und zweitens weil auf einem Schild, an dem er gerade vorbeiging, groß und deutlich die Worte „Elendsviertel der Stadt Braksop - Nehmen Sie keine Wertsachen mit und kaufen Sie nichts!“ standen. Hier war nichts sicher, was nicht eindeutig niet- und nagelfest war und selbst das war in dieser verlumpten Gegend nicht absolut sicher.

      Und gerade in dieser gottverlassensten aller Stadtviertel fiel Albin etwas nicht gerade Unwichtiges ein: „Verdammt, ich habe ja noch nicht einmal eine gute Waffe!“ Das alte und morsche Vierkantholz, das für den Nebelwald gerade noch gut genug war, würde ihm auf dem Pfad der Leiden nicht allzu viel nützen. Verzweifelt sah er sich nach einem Schmied oder etwas Ähnlichem um, aber hatte damit keinen Erfolg. Albin ging suchend weiter die Straße entlang nach Norden, auf der es anscheinend nicht viele Geschäfte gab und jene, die es gab, noch wesentlich finsterer wirkten als das Gasthaus zum betrunkenen Kobold.

      „Irgendwo muss es doch einen Waffenladen geben“, dachte er. Albin schritt weiter in Richtung Norden und nach einer Weile entdeckte er unweit entfernt auf der anderen Straßenseite sogar einen kleinen Laden, der ihm vielleicht besser weiterhelfen konnte, als die anderen Etablissements, die es sonst so gab. Es war ein Laden, der so elendig und schäbig wie die ganze Gegend war und auch das Wirtshaus zum betrunkenen Kobold dem Äußeren nach in seiner Elendigkeit und Schäbigkeit noch um Längen schlug. Über ihm war eine Tafel angebracht, auf der die Messingbuchstaben bereits abblätterten, doch auf der gerade noch zu erkennen war, dass dieser Laden „Ramschladen Narsch, begehrter Ramsch seit vielen Jahren“ heißen sollte. Das erschien angesichts der Maßstäbe dieser Gegend halbwegs seriös genug, um zumindest einen Blick in das Geschäft zu riskieren.

      Albin ging ans Schaufenster, um zu sehen, was dort verkauft wurde und entdeckte allerlei Ramsch und sinnloses Zeug, das jeden Flohmarkt in seinem Heimatdorf mühelos in den Schatten gestellt hätte. Doch in einer Ecke des hintersten Ladenregals konnte Albin etwas Brauchbares erkennen: eine kleine Holzfrisbee. Eigentlich war es nicht mehr als eine bloße, flache Holzscheibe, die den Namen Frisbee nicht verdient hatte. Doch immerhin schien sie dick zu sein. Damit konnte Albin von sicherer Distanz aus einen mittelmäßig starken Gegner Paroli bieten. Albin nahm all seinen Mut zusammen, packte sicherheitshalber wieder sein Vierkantholz aus dem Rucksack und betrat den schäbigen Laden.

      „Miau!“ begrüßte ihn der scheinbare Eigentümer dieses kleinen Geschäftes. „Mein Name ist Narsch. Was kann ich für dich tun, Fremder?“

      Albin konnte es nicht fassen. Es war ein mannsgroßer, sprechender Kater, dem dieser Laden scheinbar gehörte. Er stand hinter einem hohen Verkaufstresen, der mehr als zwei Drittel seines Körpers bedeckte. Albin hätte es nicht für möglich gehalten, dass es in der Nähe des Quelldorfs einen sprechenden Kater gab und er davon überhaupt nichts wusste. Der Kater wedelte leicht mit dem Schwanz hin und her und machte eine so glückliche Miene, dass man den Eindruck gewinnen musste, er hätte seit einer Ewigkeit mehr keinen Kunden gehabt.

      „Ich brauche diese Frisbee“, antwortete Albin etwas verunsichert und zeigte auf die Holzfrisbee in dem Regal.

      „Ja, miau“, meinte Narsch.

      „Was soll sie kosten?“

      „Hmm, ich gebe sie dir für eine halbe Silberunze. Laut Katalog handelt es sich um eine unverbindliche Preisempfehlung, miau“, schnurrte Narsch und strich mit seinen Pfoten sanft über den Tresen.

      Eine halbe Silberunze war im Königreich Splinarsa so viel Wert wie sieben Bronzemeckel. Fünf Silberunzen entsprachen einen Goldtaler. Es schien also fürs Erste ein fairer Preis zu sein.

      „Was kann denn diese Frisbee überhaupt?“ fragte Albin.

      „Fliegen. Probiere es aus.“

      „Du kriegst dafür höchstens fünf Bronzemeckel, nicht mehr und nicht weniger“, handelte Albin den Preis herunter.

      „Einverstanden, die Frisbee gehört dir“, schnurrte Narsch. „Nimm sie dir einfach vom Regal.“

      Albin nahm sich die Frisbee und legte wortlos das Geld auf den Tisch.

      Der Kater schnurrte lange und zufrieden. „Komm wieder wenn du was brauchst, Fremder. Einen schönen Tag noch“, miaute er.

      „Danke“, sagte Albin und verschwand schleunigst.

      Albin fühlte sich mit der Holzfrisbee schon ein ganzes Stück sicherer. Er ging weiter die Straße entlang in Richtung Nordtor und erreichte es in kurzer Zeit, jedoch leider erst nachdem er wieder von einer Hand voll Stadtbewohnern sehr argwöhnisch beobachtet wurde und diesmal sogar eine ältere - anscheinend geistig etwas labile - Frau ein paar lebendige Giftschlangen nach ihm schmiss. Albin konnte ihnen glücklicherweise knapp ausweichen und damit eine Giftwunde verhindern. Im Vergleich dazu war der Weg durch den Nebelwald ein Kindergeburtstag.

      Am Nordtor standen ebenso wie am Westtor, durch das Albin ging als er vom Nebelwald kam, zwei Wachen und machten Albin diesmal von innen das Tor auf, nachdem einer von ihnen fragte, warum um alles in Biglund er durch dieses Tor hinaus wollte und Albin ihm versicherte, dass es ihn nichts anginge. Die schweren Holztüren quietschten laut. Ihre Scharniere mussten wohl eine ganze Weile nicht mehr geölt oder benutzt worden sein. Auf der anderen Seite des Tores standen keine Wachen.

      Hinter dem Nordtor bot sich Albin kein einladender Anblick. Ein schmaler Pfad zog sich hinaus in einen tiefen, dunklen Wald, aus welchem er meinte, soeben ein gelbes Augenpaar hatte blinzeln sehen zu können. Westlich davon, hinter einer kleinen Wiese, befanden sich Felsklippen und dahinter die Gipfel der Schwarzberge, aus denen Albin von weiter Ferne einen dröhnenden Schrei vernahm, der von nichts anderem als von einem ausgewachsenen und wütenden Bergriesen stammen konnte. Der Himmel über Albin wurde düster. Ein Gewitter konnte jeden Moment aufziehen. Die Torwachen machten hinter ihm schnell das Tor wieder zu und verriegelten es schnell von innen. Noch einmal hörte Albin einen dröhnenden Schrei aus der Richtung, in der die Schwarzberge lagen. Nun gab es kein Zurück mehr.

      Albin betrat den dunklen dichten Wald. Auch durch ihn führte ein Weg, der mit einigen Markierungssteinen versehen war, die eine gewisse Orientierung boten. Zwar war es nicht neblig wie im Wald zwischen dem Quelldorf und Braksop. Dennoch kam Albin dieser Wald deutlich gefährlicher und düsterer vor. Während er den Weg entlangging, machten einige Tiere seltsame Geräusche, die sich in der Dunkelheit des Waldes noch viel bedrohlicher anhörten. Albin bekam eine Gänsehaut. Es war erst Nachmittag und trotzdem schaffte es das wenige Licht, das durch den wolkenverhangenen Himmel drang, kaum durch die hohen Baumwipfel. Weit konnte er nicht sehen in diesem verfluchten Wald. Albin hörte unweit von sich entfernt ein paar Balzgeräusche, die von Zentauren sein mussten. Das wusste er noch von seinem Lieblingsfach in der Schule, Magische Wesen. In Biglundkunde war er hingegen sehr schlecht und kannte sich deshalb und weil er nie gereist war, nirgendwo in Biglund aus.

      Albin hielt in der rechten Hand sein Vierkantholz und in der linken Hand seine neu erworbene Holzfrisbee und war jederzeit kampfbereit. Er war sehr auf der Hut,