Prince Mario Munibert Gulbrand

Die Annalen von Naschfuhd; aus den Chroniken von Biglund


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war das Gasthaus zum wackelnden Kuheuter, zumindest der hölzernen Inschrift nach, die sich über der Haustür befand und im Wind leicht hin und her tanzte. Es wirkte betagt und erinnerte ein wenig an einen alten Bauernhof, den man aus einer Notsituation heraus zu einer Gaststätte umfunktionierte. Albins Onkel, der im Gegensatz zu sämtlichen Quelldorfbewohnern für sein Leben gern reiste, hatte ihm einmal von dieser Gaststätte erzählt, da war Albin noch klein und der Pfad der Leiden noch eine blühende Handelsstraße. Seine Augen wurden dabei immer ganz feucht und verrieten einige schöne Erinnerungen, in denen er schwelgte. Albin fragte sich immer, welche Erinnerungen das waren, doch er war zu jung, um die ehrliche Antwort auf diese Frage verstehen zu können.

      Albin betrat das Gasthaus. Drinnen bot sich ihm ein Anblick von schier hoffnungsloser Leere, denn allem Anschein nach war er der einzige Gast in dieser Gaststätte. Etwas anderes hatte Albin auch kaum erwartet, denn normalerweise mieden die Menschen diese Gegend so gut sie konnten, seitdem die Straße verflucht wurde. Mitten im Raum war ein großer, rechteckig angeordneter Tresen, der ungefähr die Hälfte des gesamten Raumes in Anspruch nahm und um den herum einige Barhocker und daneben ein paar bestuhlte Tische standen. Einige Kerzen waren angezündet, um den Raum zu erleuchten. Es war insgesamt sehr urig eingerichtet und machte einen gemütlichen Eindruck.

      Hinter dem Tresen stand eine junge blonde Frau, die gerade dabei war, ein paar Gläser einzuräumen. „Hey“, sagte sie, nachdem sie Albin bemerkte. „Noch so spät in dieser Gegend?“

      „Hallo“, antwortete Albin und ging auf den Tresen zu. „Haben Sie noch ein Zimmer frei?“

      Die Frau ließ die Gläser sofort stehen und antwortete: „Jede Menge.“

      Von der Eingangstür konnte Albin kaum entdecken, wie unglaublich lang diese blonde Frau ihr Haar trug, denn es wurde zum größten Teil vom Tresen bedeckt. Doch nun, wo er näher kam, stellte er fest, dass es sogar beinahe bis zum Boden reichte. Sie hatte blaue Augen, eine spitze Nase und ein jugendliches Gesicht. Sie war hübsch. Albin hatte eine Ahnung, wer diese Frau sein musste, denn es handelte sich in Wahrheit um eine echte Berühmtheit Biglunds. Doch er wagte es noch nicht, sie nach ihrem Namen zu fragen.

      „Ich gib dir eins von den größeren, wenn du willst. Heute kommt sowieso niemand mehr“, sagte die Blondine und kramte hinter dem Tresen in einer Ecke herum, aus der sie dann einen großen Schlüsselbund herausholte. „Komm mit.“

      Sie verließ den Tresen und führte Albin zu einer breiten Holztreppe auf der gegenüberliegenden Seite des Raumes, welche hinauf in die Zimmer führte. Die blonde Frau kam Albin jede Sekunde schöner vor, dazu trug sie noch ein wirklich gutes Parfum. Und gefährlich würde es hier in diesem Gasthaus auch nicht werden. Hier gefiel es Albin. Im ersten Stockwerk angekommen öffnete sie mit einem der Schlüssel eine der Türen. „Da wären wir schon. Gefällt es dir?“ sagte sie vergnügt.

      Albin sah hinein in das Zimmer und war positiv überrascht. Es war ein sehr gepflegtes Zimmer mit einem gemütlich erscheinenden Bett, auf dem sich sogar ein kleines, rotes, herzförmiges Kissen befand. Darauf hätte Albin zwar verzichten können, aber es konnte auch nicht schaden. „Was soll es denn kosten?“ fragte er.

      Die Blondine kam ihm langsam sehr nahe, so nahe sogar dass sich beinahe ihre Nasenspitzen berührten und flüsterte ihm auf eine unmissverständlich laszive Weise zu: „Das kommt ganz darauf an, was du bereit bist zu geben. Nicht viele junge Männer kommen hierher, weißt du“, fuhr sie fort und berührte nun mit einem ihrer perfekt geformten, straffen Beine eines von Albins Beinen um es langsam zu massieren. Dann lächelte sie plötzlich. „Reingelegt!“

      Albin kam sich vor, als ob er gerade durch eine Ohrfeige und einen Eimer eiskalten Wassers von einem Traum aufgeweckt worden wäre. „Was? Wie?“ plapperte er. Es war ja auch zu schön, um wahr zu sein.

      „Ohne Frühstück zwei und mit Frühstück drei Bronzemeckel. Bezahlung nur im Voraus“, erklärte sie.

      „Hmm, na gut, dann nehme ich das Zimmer mit Frühstück“, sagte Albin noch leicht benebelt und zog seinen Rucksack gleich aus.

      „Alles klar. Wenn du fertig gepackt hast, kannst du ja noch mit runter kommen. Dort wartet eine kleine Überraschung auf dich“, sagte die Blondine wieder auf diese laszive, verdorbene Art und Weise zu ihm.

      „Verstehe...“, sagte Albin und versuchte dabei, auch etwas lasziv zu klingen, was ihm allerdings nicht gelang. Dafür kam er nun ihr ein wenig näher und versuchte, zumindest dabei in irgendeiner Weise lasziv zu wirken doch auch das wollte nicht so recht klappen.

      „Reingelegt!“ sagte die Blondine wieder. „Ich habe schon einen Freund und der ist übrigens ein Werwolf. Es ist ein ganz rauer Bursche.“

      „Jaja, das passt zu dir du durchtriebenes kleines ...“, dachte sich Albin, doch um sich nichts anmerken zu lassen, lächelte er einfach nur blöd.

      „Ich habe noch kaltes Malzbier, Marke Ranzenbräu, wenn du magst. Ich bin dann mal unten“, sagte sie und ging leichtfüßig die Treppe hinab.

      „Uff“, seufzte Albin und packte ein paar Sachen zum Umziehen aus seinem Rucksack. „War das ein Tag. Naja, wenigstens ist das Malzbier gut.“

      Und das stimmte auch, denn die Malzbiermarke „Ranzenbräu“ war über das Königreich Splinarsa hinaus in ganz Biglund und sogar bei den Braumeistern der Zwerge sehr beliebt und wurde nur mit den neuesten Großraumpferdefuhrwerken transportiert, was den hiesigen Pferdespeditionen viele Aufträge verschaffte und sprudelnde Steuereinnahmen sowie sozialversicherungspflichtige Langzeitarbeitsplätze sicherte. Die Gründe für die außerordentliche Beliebtheit dieser Malzbiermarke waren zum einen ihr im Vergleich zur Billigkonkurrenzmarke „Pennerglück“ deutlich ansprechenderer Name und zum anderen eine geheime Zutat, die erstens den Geschmack verbesserte und zweitens einen starken Suchtstoff enthielt. Nur ein Alchemist in ganz Biglund konnte diese geheime Zutat herstellen, denn er selbst erfand diese Zutat und weder den Alchemisten, noch die geheime Zutat kannte sonst jemand, außer dem Betreiber der "Ranzenbrauerei'". Alles wurde streng geheim gehalten. Die Brauerei wuchs zu einem regelrechten Wirtschaftsimperium heran und der Alchemist verdiente seitdem so viel Geld, dass er sich eine große Insel im ewigen Meer kaufen konnte und diese Inseln sind sehr teuer.

      Albin zog sich trockene Kleidung an und ging hinunter in den Schankbereich der Gaststätte, wo die Blondine bereits auf ihn wartete.

      „Na, hast du dich schon eingerichtet?“ fragte sie Albin und stellte ihm einen großen Humpen (biglundisches Ein-Liter-Gefäß) Malzbier auf den Tresen.

      „Ja, es war ja nicht viel“, antwortete Albin und setzte sich an den frisch eingeschenkten Malzbierhumpen. Er nahm gleich einen großen Schluck davon und dann gleich wieder einen, weil es so gut war.

      „Du bist aber durstig. War deine Reise lang?“

      „Ja, kann man wohl sagen. Und nicht ganz ungefährlich“, versicherte Albin. "Ich bin übrigens Albin aus dem Quelldorf hinter dem Nebelwald."

      Die Blondine trug etwas in ein kleines Buch ein, in dem die Reservierungen und Zimmerbelegungen aufgelistet wurden. Sehr wahrscheinlich war es wohl der Name Albin und die Zimmernummer, sowie das Datum. „Ich liebe Gefahren“, sagte sie ganz beiläufig.

      „Nicht mal die Männer bei uns im Dorf lieben Gefahren“, dachte Albin. „Was ist das nur für eine Frau?“ Er bestellte sich gleich ein zweites Malzbier, und zwar wieder einen großen Humpen und trank begierig weiter. Er hatte unglaublichen Durst. Eine Frage brannte ihm die ganze Zeit schon auf der Zunge und nun, da diese Blondine seit einiger Zeit schon leibhaftig vor ihm stand, konnte er sie nicht mehr zurückhalten. „Sag mal, bist du eigentlich Tiva, die Strohblonde?“ fragte er.

      Die Blondine wandte sich wieder ihm zu und schwieg einen Augenblick. Albin rechnete aus unerfindlichen Gründen damit, plötzlich geohrfeigt zu werden, doch es kam anders. Die Blondine antwortete: „Ja, die bin ich.“

      Albin wusste es. Sie war es tatsächlich: Tiva, die Frau mit den längsten und strohblondesten Haaren von ganz Biglund diesseits des Krötenteiches. Sie war weit bekannt in Stadt und Land, eben wegen ihrer Haarlänge, ihrer strohblonden Haarfarbe