Peter Schmidt

Eine Studentin


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ist mit der vierten Frau? Sieht aus, als wenn ihr … ein Auge fehlt?“

      Carolin hob die Zeitung ins Licht, um bes­ser se­hen zu kön­nen. Oder lag es nur am schlech­ten Druck? Nein, es war kein Feh­ler. Es war ein­deu­tig eine leere Au­gen­höhle.

      „Robert …?“

      Keine Antwort.

      „Gibt es etwas, über das du nicht mit mir re­den willst?“

      „Ihr fehlt ein Auge, ja …“

      „Was bedeutet das?“

      „Ich glaube nicht, dass jetzt der rich­tige Zeit­punkt ist, darüber zu reden – so kurz nach dei­ner Rück­kehr.“

      „Heißt das, du willst mich scho­nen? Schon mal was von Resi­lienz ge­hört?“

      „Mentale Abhärtung … oder so ähn­lich.“

      „Resilienz ist in unserem Fach be­son­ders wich­tig, weil stän­dig ziem­lich üble Dinge auf uns zu­kom­men. Einige bre­chen des­we­gen so­gar ihr Stu­dium ab. Und ein ge­öff­ne­tes Ge­hirn, wenn wir im Lim­bi­schen Sys­tem mit dem Skal­pell Teile des Ce­re­brums oder des For­nix cere­bri freile­gen, ist auch nicht ge­ra­de ap­pe­tit­lich.“

      Robert nickte nur unmerklich und schwieg.

      „Irgendwas nicht in Ord­nung?“

      „Ihr rechtes Auge hängt an einer An­gel­schnur – Mi­nia­tur­ha­ken Größe 24, so die Be­zeich­nung im Ka­talog für Zu­be­hör – über einem Kirchenal­tar.“

      „Ihr Auge hängt … wo?“, fragte sie.

      Ihr Bruder gab keine Antwort.

      „Robert …?

      „Spielt es denn eine Rolle, wo?“

      „Ja, wieso nicht …“

      „Es hängt über dem Kru­zi­fix am Altar St. Ma­ria Mag­da­lena, das ist eine Kirche hier in der Nähe. Das Auge darf erst nach der Spu­ren­si­che­rung ab­genom­men wer­den. Die Siche­rung von ge­neti­schem Ma­teri­al erfordert im­mer be­son­dere Vor­keh­run­gen, des­halb ist der Zutritt bis auf Weite­res ge­sperrt.“

      „Aber wer hängt denn ein Auge über einen Kir­chen­al­tar – und wozu?“

      „Keine Ahnung.“

      „Hört sich das nicht nach durch­ge­knall­tem Psy­cho­pa­then an?“

      „Wir haben noch nicht den ge­rings­ten Hin­weis, was da­hin­ter­steckt.“

      Als sie das Café verließen, wink­te Ro­bert ei­nem vor­über­fah­ren­den Wa­gen zu …

      Carolin konnte nicht erken­nen, wer am Steuer saß – viel­leicht eine sei­ner zahllo­sen Freun­din­nen. Ihr Bru­der war trotz seines schwächli­chen Aus­se­hens eine Art Frau­en­held. Was denn auch sonst bei ei­nem Kerl, der jede Nacht mit einer groß­kalibri­gen Waffe ins Bett ging?

      Auf dem Park­platz öff­nete er das Hand­schuh­fach und nahm ein Farb­foto her­aus.

      „Sind deine Nerven stark ge­nug, dir das hier anzu­se­hen?“

      „Was?“, fragte sie argwöh­nisch.

      „Na, das Auge …“

      Sie musste sich übergeben, als sie das Foto sah. Es kam so plötz­lich und war ein so star­ker Re­flex, dass sie nur noch die Wa­gen­tür auf­sto­ßen konn­te und sich auf den Park­plat­z er­brach. Robert reich­te ihr ein Ta­schen­tuch …

      Aber da stol­perte sie auch schon mit wei­chen Kni­en auf ein Ge­sträuch nahe der Lan­de­bahn zu. Sie streckte tas­tend ihre Arme aus, als sei sie plötz­lich er­blin­det …

      Der Sturm hatte nach­gelassen, doch die röh­ren­för­mi­gen Wind­an­zei­ger aus rot-wei­ßen Stoff­hül­len flat­ter­ten im­mer noch waa­ge­recht in der Luft. Hin­ter dem Draht­zaun weit drau­ßen lan­dete mit wie­gen­den Trag­flä­chen ein Lang­strecken­flie­ger.

       Großer Gott! – das Bild mit dem am Per­lon­fa­den hän­gen­den Auge war so­fort wie­der da, als sie die Augen schloss …

      Aus der Pupille bog sich die win­zige Spitze eines An­gel­ha­kens bis in den wei­ßen Aug­apfel hin­ein, ohne ir­gend­eine Blut­spur zu hin­terlas­sen, chi­rur­gisch sau­ber durch­trennt. Und da­hinter – un­scharf we­gen der Ein­stel­lung des Ob­jek­tivs und wie male­risch ar­ran­giert – war sche­men­haft das Bild­nis des Ge­kreu­zig­ten zu er­ken­nen.

      Sie kannte die Kir­che von frü­her, weil dort ein his­tori­scher Pil­ger­weg ver­lief und sie oft mit ih­ren El­tern hier ge­we­sen war. Das Kreuz im Chor­raum von St. Ma­ria Mag­da­lena war um 1300 in den Pyre­näen ent­stan­den.

      Robert stieg aus und legte den Arm um ihre Schul­tern.

      „Geht’s wieder …?“, fragte er.

      „Professor Hollando gründet einen Ar­beits­kreis aus­ge­wähl­ter Stu­den­ten“, sagte Caro­lin wäh­rend der Rück­fahrt. Sie war froh, das Thema wech­seln zu können. „In den muss ich un­be­dingt auf­ge­nom­men wer­den.“

      „Deshalb bist du zur Preis­verlei­hung nach Stock­holm ge­flo­gen?“, fragte Ro­bert. „Um ihn darauf anzu­spre­chen?“

      Sie hatte kaum Zeit, zu antwor­ten …

      Er be­schleunigte so stark, dass sie den Rah­men der Rü­cken­leh­ne im Schaum­stoff spürte. Ihr Bru­der liebte schnel­les Fah­ren. Der An­trieb sei­nes Zwei­sit­zers war mit 12-Zylin­dern und 800 PS kein nor­ma­ler Mo­tor, son­dern eher ein Ra­ke­ten­trieb­werk.

      Dann kam eine enge Kurve und sie holte tief Luft …

      „Nein, man hat mir schon vor Ab­flug ei­nen Vor­stel­lungs­termin ge­ge­ben. Ich wollte ein­fach da­bei sein und se­hen, wie Hol­lan­do auf mich wirkt.“

      „Und – wie wirkt er auf dich?“

      Sie gab keine Antwort.

      „Carolin …?“

      „Geht dich das was an?“

      „Na, ich will doch, dass meine klei­ne Schwes­ter glück­lich wird.“

      „Beeindruckend, mehr oder weni­ger.“

      „Du willst einen No­bel­preis­trä­ger, hab ich recht?“

      „Und du wirst bald Polizei­präsi­dent.“

      „Ausgezeichnete Idee …“ Ro­bert lachte. „Glaubst du denn, dass dein Charme aus­reicht, ihn um den Fin­ger zu wi­ckeln?“

      „Hollando ist ziemlich schwie­rig, ein har­ter Bro­cken. Intel­lek­tuell und in je­der Hin­sicht. Kei­ne Ah­nung, ob er mich ak­zep­tiert.“

      „Akzeptiert als Studentin? Oder als Frau?“

      „Kommt drauf an.“

      „Du bist gerade dabei, das he­rauszu­fin­den?“

      „Ich habe noch keinen Men­schen ken­nen­ge­lernt, der ihm in­tel­lek­tu­ell das Was­ser rei­chen könnte, Robert. Mit so einem Mann ins Bett zu ge­hen, ist noch mal eine völ­lig an­dere Sa­che. Darü­ber den­ke ich erst gar nicht nach. Ich muss höl­lisch auf­pas­sen, dass ich bei mei­nem Vor­stel­lungs­ge­spräch kein dum­mes Zeug rede.“

      „War der Kerl nicht ur­sprüng­lich Domi­ni­ka­ner? Und ist erst neu­er­dings zu den Zis­ter­zien­sern über­ge­lau­fen?“

      „Er