Sebastian Liebowitz

Bubenträume


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Mir sind in der Schule fast die Augen zugefallen...“

      „Jaja, hat er so laut gebellt, der Schuschu, was?“, fragte Papa und tätschelte Schuschu das Köpfchen. „Was bist du doch für ein böser Schuschu, hihihi. Hier hast du noch ein Wursträdchen. Hmmm, guttigutti-feinifeini Wursti, hihihi.“

      Die Blicke von Mama und mir trafen sich. Langsam verstand ich, was sie mit „alter Kindskopf“ gemeint hatte. Und mir dämmerte auch, dass ich Schuschu unterschätzt hatte.

      Der Kläffer hatte es faustdick hinter den Ohren.

      Und dieser sollte in den kommenden Tagen alles daransetzen, dass sein süsses Leben weiterging. Den Tag über spielte er das liebe Hundchen, wurde gelobt und gestreichelt und schlug sich mit feinsten Würsten den Bauch voll. Dann machte man ein Verdauungsschläfchen und wenn morgens um vier die „feine Grobkörnige“ am Darmausgang anklopfte, bellte er den gutmütigen Tölpel aus dem Bett.

      Aber natürlich wäre Schuschu nicht Schuschu, wenn er nicht auch dazugelernt hätte.

      So lief er nicht mehr bellend den Gang entlang, sondern postierte sich direkt vor meiner Tür und kläffte unter dem Türspalt hindurch. Und wenn ich dann schlaftrunken zur Garderobe stolperte, hatte er bereits die Hundeleine in der Schnauze. Weiss der Teufel, wie das Viech da drangekommen war. Dann stürmte man, kaum, dass die Haustür auf war, kläffend und schwanzwedelnd die Treppe hinunter, kackte erst mal in Ruhe im Garten ab und zog mich dann auf eine ausgiebige Erkundungs- und Markiertour um die nachbarschaftlichen Häuser. Sein Frühstart verschaffte ihm nämlich einen erheblichen Vorsprung vor den anderen Hunden, deren Besitzer meist erst ein paar Stunden später schlaftrunken aus den Häusern torkelten. Bis dann waren die am Vorabend sorgsam aufgefrischten Markierungspunkte bereits wieder von dem Immigrantenköter kontaminiert, der sich da in der letzten Zeit wie ein Geist in der Nachbarschaft breitgemacht hatte. Nie bekam man ihn zu sehen, nur sein Geruch schwebte den einheimischen Hunden immer herausfordernd vor den gerümpften Nasen. Selbst gestandene Kampfhunde klemmten sich den Schwanz zwischen die Beine, wenn sie eine Nase von der Duftmarke des unheimlichen Phantomhundes erschnupperten und wenn ich mit meiner Jacke des Weges kam, die neuerdings nebst kaltem Rauch auch nach nassem Pudelfell roch, knurrten sie bedrohlich. Die Geruchsanhaftung war eine Folge davon, dass Schuschu nach seinen Touren um die Nachbarschaft stets einen Schwächeanfall vortäuschte und den schwersterschöpften Pudel mimte, der sich nur noch mit Mühe auf seinen Beinchen halten konnte. Dann liess er sich jeweils die Treppe hinauftragen (wobei er mir nach gärender Leberwurst riechenden Atem ins Gesicht japste und weit üblere Gerüche in die Armbeuge furzte), und kaum hatte man den letzten Treppenabsatz erreicht und die Haustür einen Spalt geöffnet, folgte die wundersame Genesung. Der vormals dem Erschöpfungstod nahe Pudel wurde auf einmal quicklebendig, zappelte, bis ich ihn nicht mehr halten konnte, sprang aus meinen Armen und rannte, frenetisch nach Wursträdchen schnuppernd und wild kläffend, wie ein Derwisch durch die Wohnung.

      Der durch die morgendlichen Touren verursachte Schlafmangel machte sich bald auch im Unterricht bemerkbar. Oft stolperte ich von einer Schulstunde in die andere, ohne genau zu wissen, um was es genau ging und einmal soll ich sogar im Religionsunterricht eingenickt sein und dabei „Wuff wuff wuff- Oh, nein-Rrrrzibüüü-Guuuttigutti-feiiinifeini Wursti“ vor mich hingemurmelt haben, was zu einem peinlichen Interview mit Pfarrer Brändle führte, der wissen wollte, ob ich zuhause auch genug zu essen bekäme.

      So war ich heilfroh, als Tante Gerti ein paar Tage später aus der Kur zurückkam und Schuschu wieder zu sich nach Hause nahm. Aber schon am nächsten Mittag stand sie mit ihrem Vierbeiner wieder vor der Tür. Kaum hatte ich ihr die Haustür geöffnet, drängte sie sich an mir vorbei, stürmte in die Küche und baute sich vor Papa auf.

      „Der Hund frisst mir nichts mehr“, fauchte sie. „Du sagst mir jetzt sofort, Hermann, was du mit Schuschu angestellt hast, dass er nichts mehr frisst, und zwar auf der Stelle.“

      Papa sprang von seinem Stuhl auf.

      „Ja, mein...äh, der Schuschu“, rief er und umarmte den Pudel stürmisch, der ihm dabei das Gesicht abzulecken versuchte. „Ist er wieder da, der Schuschu? Hat er mich vermisst, der Schuschu? Ja, so ein feines Hundi, so ein lieber Schuschu.“

      Schuschu hing Papa ergeben an den Lippen und als er von Papa hinter den Ohren gekrault wurde, gab er fast wollüstige Töne von sich.

      „Mein Gott, Hermann, der Hund ist ja förmlich auf dich fixiert“, stellte Tante Gerti fest. „Also so etwas habe ich ja noch nie erlebt. Und das in so einer kurzen Zeit.“

      „Ja, ist er auf mich fixiert, der Schuschu, was?“, strahlte Papa stolz und tätschelte dem Hund zärtlich das Köpfchen. „Dafür kriegt er jetzt aber etwas von der feinen Wurst, der Schuschu.“ Er nahm ein Wursträdchen vom Teller, biss sich ein Stück ab, schmatzte geniesserisch und hielt Schuschu den Rest vor die Schnauze. „Hmmm, guttigutti-feinifeini, guuuttigutti-feiiinifeini Wursti.“

      „Aha“, sagte Tante Gerti, die das Geschehen aufmerksam beobachtet hatte. „Jetzt wird mir so manches klar.“

      „Igitt, die Dinger sind wirklich übel“, sagte Papa und verzog sein Gesicht. „Bist du sicher, dass das die beste Marke ist?

      „Das hast du dir nur selbst zuzuschreiben“, schimpfte Tante Gerti. „Hättest du Schuschu nicht mir Würsten vollgestopft, müssten wir ihn jetzt nicht umgewöhnen.“

      „Darf ich wenigstens mit Wein spülen?“

      „Nichts da, sonst wird das nie was.“

      Mama sah dem Treiben interessiert zu.

      „Und du meinst, das funktioniert?“

      „Mh, naja.“ Tante Gerti warf Papa einen kritischen Blick zu. „So, wie der sein Gesicht verzieht, merkt Schuschu doch sofort, dass etwas faul ist. Wir hätten vielleicht doch die Hundebiskuits mit dem höheren Fleischanteil nehmen sollen.“

      „Der wievielte ist das denn jetzt schon?“, wollte Mama wissen.

      Tante Gerti schüttelte die Schachtel. „Das dürfte der fünfte gewesen sein. Sieben sind noch drin.“ Sie wedelte ungeduldig mit der Hand. „Na los, mach weiter, oder worauf wartest du?“

      Papa nahm noch einen Bissen vom Hundebiskuit. Er verzog angewidert das Gesicht

      „Und Kauen nicht vergessen“, erinnerte ihn Tante Gerti, „los jetzt.“

      Papa kaute ein paar Mal zaghaft.

      „Du kaust ja gar nicht richtig.“

      „Üää, aber dasch isch auch zu ecklich...“

      Der bitterböse Blick von Tante Gerti liess Papa verstummen. Gehorsam beugte er sich vor und hielt Schuschu den angebissenen Hundebiskuit unter die Nase.

      „Hmmm, guttigutti-feinifeini, guuuttigutti-feiiinifein Hun..

      ..üääää, isch dasch ecklich…“

      Urlaubsgrüsse aus der Türkei

      Bürgi schnippte sich lässig die Glut von seinem Glimmstängel.

      „Die Dinger hat mir Kemal aus seinem Sommerurlaub in der Türkei mitgebracht. Die sind bei uns nämlich schwer verboten.“

      Während wir die Zigarettenschachtel herumgehen liessen, beobachtete er selbstgefällig das ehrfürchtige Staunen, welches die astronomischen Nikotin- und Teerwerte hervorriefen.

      „Hähä, da staunt ihr, was? Jaja, mit dem Teer könnte man glatt ein Strassenbaugewerbe anmelden. Die zieht richtig rein, sag ich euch.“ Er wedelte ungeduldig mit den Fingern. „Los, mach hin, ich brauch noch eine.“

      Wir beobachteten staunend, wie Bürgi sich eine neue Zigarette aus der Schachtel klopfte. Sowas wollte gekonnt sein. Schnell zeigte sich, dass von „Können“ keine Rede sein konnte. Statt in Bürgis Hand landeten die gräulichen Dinger nämlich auf dem Rasen und beim zweiten Anlauf gesellten sich sogar noch ein paar weitere dazu. Im letzten Moment bekam er dann