Sebastian Liebowitz

Bubenträume


Скачать книгу

die auf dem Boden lagen, zu einem länglichen Haufen zusammen, den er gekonnt unter seinen Schuhen versteckte. Die daraus resultierende Beinstellung im Charlie Chaplin Stil mochte zwar nicht so recht zu einem Draufgänger wie ihm passen, dafür lugten aber auch nur noch drei Zigaretten unter seinen Sohlen hervor. Die Art, wie wir auf dieselben glotzten, war ihm dann aber doch unangenehm und so hielt er uns schnell seine glimmende Kippe unter die Nasen.

      „Hier, äh, falls einer von euch probieren will. Aber sagt nachher bloss nicht, dass ich euch nicht gewarnt hätte.“

      Pflichtbewusstes Lachen erklang, während wir mit angewiderten Mienen das zerkaute Mundstück vor unseren Nasen musterten. Bürgi war wohl der Meinung, dass man eine Zigarette wie ein Lolli lutschen musste. Das Ding ging höchstens noch als Kautabak durch. Mehr Speicheltransfer ging nur durch Zungenkuss. Wir schüttelten uns und lehnten dankend ab.

      „Ist das denn nicht ungesund?“, wollte Hansi wissen.

      „Ungesund, ungesund“, höhnte Bürgi und schnippte die glimmende Kippe lässig über unsere Köpfe. Kurz darauf war irgendwo im Hintergrund ein Aufschrei zu hören. „Was kümmert mich, was gesund ist und was nicht? Vielleicht werd ich morgen vom Flugzeug überfahren, und hab ich dann etwa gelebt?“

      Wir warfen uns scheele Blicke zu.

      „Äh, du meinst wohl…“, begann Hansi.

      „Aber ich muss zugeben, die Dinger verträgt nicht jeder“, fiel ihm Bürgi ins Wort. „Ein falscher Zug und mit deiner Lunge ist es aus. Sowas kriegt man nur auf dem Schwarzmarkt, und dann auch nur, wenn man entsprechende Kontakte hat. Ich sag euch, ich kenn da unter anderem einen Exilrussen…“, er zückte sein Feuerzeug und zündete sich in bester „Humphrey Bogart“ Manier seine Zigarette an, „der kann dir alles beschaffen, was Gott verboten hat, hähä.“ Sein Lachen sollte ihm jedoch buchstäblich im Hals stecken bleiben, denn die Tabakstückchen, die er sich durch den fehlenden Filter in die Lunge sog, setzten seinen Bronchien übel zu. Was für ein Glück, dass sein röchelnder Husten fast vom schadenfrohen Kichern übertönt wurde, welches ringsum zu hören war.

      „Das Leben in vollen Zügen geniessen, das ist mein Motto“, keuchte er heiser, während er verlegen zu der hübschen Gabi schielte. Die stand gerade ein paar Meter abseits mit dem Rücken zu uns und tat so, als würde sie sich gerade mit ihrer Freundin unterhalten. Dabei spitzte sie aber sichtlich ihre Ohren. Es war kein Geheimnis, dass die hübsche Gabi eine Schwäche für grosse Jungs wie Bürgi hatte. Und dieser ging, nachdem er sich noch einmal den Schleim von den Bronchien gehustet hatte, sogleich zum Angriff über.

      Schliesslich konnte er morgen ja von einem Flugzeug überfahren werden, da hiess es, die Zeit gut nutzen.

      „Na, Gabi“, rief er laut und wedelte mit seiner Kippe. „Wie steht’s mit dir, mal ziehen?“

      So schnell, wie Gabys Kopf herumflog, schien sie förmlich darauf gewartet zu haben, dass Bürgi sie ansprach. Ringsherum wurde es seltsam still, während eifersüchtige Blicke den Wortwechsel mitverfolgten. Gabi konnte nur mit Mühe ein selbstgefälliges Lächeln unterdrücken. Keck schaute sie Bürgi in die Augen und bemerkte schliesslich den Glimmstängel in seiner Hand.

      „Igitt, ich spinn doch nicht“, rief sie und warf einen angeekelten Blick auf das qualmende Teil. „Ausserdem darf man auf dem Pausenplatz nicht rauchen, das solltest du doch wissen. Wart nur, wenn dich der Krähenbühl erwischt.“

      „Ha, der alte Sack kann mich mal, vor dem hab ich bestimmt keine Angst“, tönte Bürgi, warf dann aber doch einen nervösen Blick zum Geräteschuppen des Schulabwarts. „Ausserdem rauch ich, wo es mir passt“, verkündete er. Schwups, steckte er sich noch einmal mit grosser Geste seinen Glimmstängel in den Mund und nahm demonstrativ einen tiefen Zug. Leider hatte er in seinem Eifer ganz vergessen, dass diesem, oh Wunder, in der Zwischenzeit immer noch kein Filter gewachsen war. Ich muss zugeben, dass es auch irgendwie interessant war, Bürgi dabei zuzusehen, wie er sich krampfhaft das Husten unterdrückte. Die Art, wie seine hochrote Birne zuckte. Oder wie er verhalten würgte, während sich seine Augen mit Tränen füllten. Leider blieb dabei seine Attraktivität etwas auf der Strecke. Das passiert schon mal, wenn einem der Rauch aus den Nasenlöchern quillt.

      Das fand wohl auch die hübsche Gabi, die sich mit einem Schaudern abwandte. Es war ausgerechnet die sonst so verhasste Schulglocke, die den armen Bürgi aus seinem Elend erlöste. Der erste Ton (nun auf einmal süss wie türkischer Honig, wenn dieser Vergleich gestattet ist), war kaum über den Pausenplatz gehallt, da hatte er seine Kippe schon ins Massengrab zu den anderen Zigaretten befördert. Die fast leere Schachtel landete obendrauf, wo sie von gemeinen Fusstritten traktiert wurde, bis das Erdreich sie verschluckt hatte. Die Beinarbeit schien mir, im Vergleich zu sonst, etwas unpräzise. Meine Gedanken waren jedoch schon bei der bevorstehenden Prüfung, sodass ich diesem Umstand keine weitere Beachtung schenkte. Gemeinsam schlossen wir uns der Schlange an, die auf dem Weg zum Schulhauseingang war.

      „Ich sag dir, ich habe ein schlechtes Gefühl bei der Prüfung heute“, sagte ich.

      „Pst“, machte Bürgi.

      „Genau, der blöde Patens lässt uns doch wieder auflaufen, wie letztes Mal.“

      „Pst“, machte Bürgi noch einmal.

      „Was ‚Pst‘? ‚Pst‘ er lässt uns auflaufen, oder...“

      „Verdammt, jetzt bleib doch mal stehen“, tuschelte Bürgi. Er sah sich verstohlen um.

      „Ich glaub, mir ist irgendwie schlecht.“

      „Was soll denn das heissen, ‚Ich glaub‘ mir ist ‚irgendwie‘ schlecht? Ist dir nun schlecht oder nicht?“

      Auf dem letzten Meter vor dem Eingang zum Schulhaus packte mich Bürgi an der Schulter und zog mich beiseite.

      „Also gut, mir ist speiübel“, zischte er. „So, zufrieden?“

      „Aha. Aber was musst du auch diese dämlichen Zigaretten rauchen. Und dann gleich fünf Stück nacheinander, wo du doch sonst nicht mal rauchst.“

      „Jaja, Herr Oberlehrer, deine dummen Sprüche..“ Er lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. „Oje..“

      „Was ‚oje‘?“

      „Ich glaub, ich muss kotzen.“

      „Dass du hier bloss nicht vor den Eingang kotzt. Was meinst du, was das für Ärger gibt? Es hat dich ja jeder rauchen sehen.“

      „Halt doch die Kla…., uaah, mir dreht sich alles.“

      „Schluck ein paar Mal trocken, das hilft. Meinst du, dass du es zum Klo schaffst, ohne zu Kotzen? Oder wenigstens zum Mülleimer da drüben?“

      „Wohl kaum. Mir kommt schon was hoch.“ Er schloss die Augen und hielt sich die Hand vor den Mund. „Oh, ist mir schlecht“, stöhnte er, „der verdammte Kemal hat mir sicher ein paar Fingernägel unter den Tabak gemischt.“

      „Blödsinn, die Dinger stinken von Natur aus so. Aber der Herr muss ja gleich in die Vollen gehen.“

      „Deine Moralpredigten kannst du dir… oje.“

      Was ‚ojehst‘ du denn jetzt schon wieder?

      „Da kommt die Gabi. Dass sie mich bloss nicht so sieht, hörst du?“

      „Das wird sich nicht vermeiden lassen, du stehst ja hier direkt neben dem Eingang.“

      „Das weiss ich doch auch. Dann steh gefälligst so vor mich hin, dass du mich verdeckst.“

      „Ha, wie denn? Dazu müsstest du schon auf die Knie gehen, sonst wird das nichts.“

      „Was musst du auch so klein sein, zum Teufel.“

      „Oh, vielen Dank auch. Also, ich geh dann schon mal vor. Falls du mich brauchen solltest..“

      „Bist du verrückt, du bleibst schön hier.“ Er wischte sich mit dem Ärmel übers Gesicht. „Komm, schau mich mal an. Sieht man mir was an? Wie seh ich denn aus?