Michael Stuhr

STURM ÜBER THEDRA


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natürlich darin auf und der Feuermann, der auf den Rahen tanzte. Auch Fische, die so groß waren, dass kein Schiff sie an Bord nehmen konnte, so dass man sie im Wasser zerteilen mußte. Riesenhafte Tiere sollte es im Lande Ceon geben, deren Nase so lang war, dass sie damit die Früchte von den Bäumen pflücken konnten. Auch sei in Ceon ewiger Sommer - man stelle sich vor!

      Teri glaubte natürlich kein Wort von diesem Gefasel. Sie wußte sehr gut, dass die Matrosen sich nur einen Spaß mit ihr machen wollten. - Aber die Männer erzählten gut und spannend, so dass die Zeit schneller herumging.

      Seit mehr als zwei Monaten war das Löwenboot nun schon unterwegs. Die `Sesiol' hielt sich immer in der Nähe der Küste und lief nahezu jeden Hafen an. Als Stückgutfrachter war sie in mehrere Laderäume unterteilt, von denen abwechselnd mal dieser und mal jener be- oder entladen wurde. Da nach jeder Änderung in der Beladung die Trimmung durch Umverteilen großer Frachtmengen in andere Laderäume korrigiert werden mußte, lag der kleine Frachter oftmals zehn Tage und mehr an den Kais der Häfen.

      Teri durchstreifte tagelang die Gassen von Osange, wo die Leute aus Furcht vor Erdbeben nur ganz flache Häuser mit leichten Dächern zu bauen wagten. Teri fand das etwas übertrieben, wann würde denn wohl je die Erde beben? Die Erklärung eines der Matrosen, dass das hier sehr oft geschähe, nahm sie nicht ernst.

      So war sie denn auch furchtbar erschrocken gewesen, als eines Tages plötzlich ein dumpfes Grollen aus der Erde drang und die Kaimauer, auf der sie gesessen hatte, zu vibrieren anfing. Total entsetzt, unfähig, auch nur aufzuspringen, hatte sie dagesessen und versucht, ihre Fingernägel in das steinerne Pflaster des Hafenplatzes zu krallen. Nach wenigen Augenblicken war der Spuk vorbei gewesen und nur noch die wild schwankenden Masten der Schiffe hatten von dem Geschehen gekündet. Nach diesem Erlebnis war Teri in Osange nur noch widerwillig an Land gegangen.

      Die nächste Station war Kaji gewesen; die Stadt der Ziegenhirten und des Leders, die Heimat Fakuns, des verlassenen Kranken aus dem Fremdenhaus.

      Fakun hatte erzählt, dass es thedranische Kaufleute in der Stadt gäbe, und so beschloß die Familie, sich auf die Suche nach ihnen zu machen. Der Kapitän der `Sesiol', der die Landessprache einigermaßen beherrschte, hatte herausgefunden, dass die Thedraner in einem Haus etwas außerhalb der Stadt, direkt am Meer wohnten. "Fragt einfach nach den Giriji", hatte er Tana und Gerit erklärt. "Das bedeutet in der Landessprache so etwas wie `Geizhälse'."

      Zunächst war die Familie aber über den Markt geschlendert. Teri hatte auf der Reise nun schon Gelegenheit gehabt, sich Märkte in verschiedenen Hafenstädten anzusehen, aber der Markt von Kaji war schon etwas Besonderes.

      Eigentlich handelte es sich gar nicht um einen Markt, sondern um einen gewaltigen Ziegenpferch, dem eine Schlachterei und eine Ledermacherei angegliedert waren. Zum Glück wehte ein frischer Wind von See her über die Stadt, sonst wäre der Geruch wohl nicht auszuhalten gewesen.

      Ziegen hatten Kaji berühmt gemacht. Ziegen waren der Reichtum des Landes. Ziegen waren einfach überall.

      Warteten in den großen Gattern ganze Herden darauf, verschifft oder geschlachtet zu werden, so liefen außerhalb der Umzäunung die etwas glücklicheren Exemplare herum, denen noch ein wenig Zeit blieb. - Ziegen grasten zwischen den Häusern und suchten in deren Eingängen Schutz vor der Sonne. - Ziegen schauten aus Fenstern und kletterten in die Kronen flacher Bäume, um das Laub von den Zweigen zu fressen. - In den Straßen wurden Ziegen gemolken, und an langen Leinen war zwischen den Häusern Ziegenfleisch zum Trocknen aufgehängt.

      An die Gerberei, wo in großen Trögen Menschen mit braun verfärbten Gliedmaßen in einer stinkenden Brühe die Ziegenhäute zu Leder machten, schloß sich der eigentliche Markt an. Köstlicher Käse wurde hier feilgehalten und frisches Fleisch. Auch Fisch und viele Früchte waren im Angebot. Nach thedranischer Sitte kaufte Tana von allem etwas ein, um ihren Gastgebern nicht mit leeren Händen entgegentreten zu müssen.

      Weiter ging es, den Strand entlang. Nie zuvor hatte Teri so weißen Sand gesehen. Einheimische Fischer hockten in der Mittagssonne bei ihren Booten und verbrachten die heißeste Zeit des Tages unter ihren gewaltigen, geflochtenen Hüten. Jedermann in Kaji schien solch einen Hut zu besitzen. Teri erinnerte sich, dass auch Fakun mit so einer riesigen, äußerst unpraktischen Kopfbedeckung in das stürmische Thedra gekommen war. Hier schien ihr jetzt die Sonne so sehr auf Kopf und Schultern, dass sie sich wünschte, auch so einen großartigen Schattenspender zu besitzen. - Aber die Reisekasse der Familie war knapp bemessen. Teri fragte lieber nicht.

      Die Thedraner, zwei Kaufmannsfamilien, waren eine herbe Enttäuschung. Zwar wurden die Gäste in dem großen Haus freundlich empfangen. - Aber nachdem sie weidlich ausgefragt - und die mitgebrachten Vorräte von allen gemeinsam verzehrt worden waren, hatten die Gastgeber es plötzlich sehr eilig gehabt, ihre Landsleute wieder loszuwerden. Allerlei wichtige Geschäfte vortäuschend, hatte einer nach dem anderen das Haus verlassen, bis die Familie mit einer alten Frau allein zurückgeblieben war, die alsbald mitten in der Unterhaltung einschlief.

      Nicht gerade begeistert von der Gastfreundschaft ihrer Landsleute waren die drei an Bord des Schiffes zurückgekehrt. Nach thedranischen Maßstäben war der ganze Besuch zwar ein voller Erfolg für beide Seiten gewesen, aber Tana, Gerit und auch Teri hatten sich auf der Reise doch schon sehr an die Offenheit und Gastfreundschaft anderer Völker gewöhnt.

      Besonders beschämend hatten die drei gefunden, dass niemand auch nur das Geringste von Fakun hatte hören wollen. Für die Kaufleute war er nur ein Ziegenhirte gewesen, den sie auf einer Reise eingebüßt hatten.

      Einige Tage später war Teri mit einem feuchten Gefühl an einer gewissen Stelle ihres Körpers erwacht. Sie war nicht sonderlich schockiert, nachdem sie nachgesehen hatte, schließlich wußte sie, dass so etwas irgendwann jeder Frau passiert. - Trotzdem sagte sie Tana lieber Bescheid.

      "Ach!" Auch Tana war nicht sonderlich überrascht. "Dann ist es jetzt bald so weit, dass man dich nicht mehr Kind nennen darf."

      "Wieso?" Teri wußte wohl vieles, aber nicht alles. "Wie meinst du das?"

      "Ich meine - das bedeutet, dass du jetzt reif genug bist für die Liebe."

      "Hä?"

      Tana mußte kurz auflachen. "Na, vielleicht doch nicht", meinte sie dann. "Aber dein Körper ist jetzt so weit, dass du Kinder bekommen kannst. Du wirst zur Frau."

      Teri war zwar der Meinung, schon lange eine Frau zu sein - aber Kinder bekommen, das war neu und interessant.

      "Wenn man ein Kind bekommen will ..." Sie sah Tana fragend an.

      "Ja?"

      "...dann muß man doch das machen, was du manchmal mit Gerit tust, nicht?"

      "Ja, Schatz!", wieder lachte Tana auf. "Genau das!"

      "Aha!"

      "Und jetzt willst du bestimmt wissen, warum ich noch nicht schwanger bin?", kam Tana Teris nächster Frage zuvor.

      "Ja! - Warum nicht?"

      "Tja, ich weiß es auch nicht. Vielleicht sind die Götter nicht einverstanden. Wir würden schon gern ein Kind haben wollen. - Wie ist es mit dir? Würdest du dich auch über ein Geschwisterchen freuen?"

      Teri überlegte kurz. Dann nickte sie gönnerhaft. "Ja. Nicht schlecht. - Aber eine Tochter würde mir natürlich auch gefallen!" Mit diesen Worten ließ sie die leicht entgeisterte Tana stehen und schlenderte über das Deck davon, um mal wieder in die Wanten zu klettern.

      Teri genoß den Ausblick von der Plattform des Mastes. Der Matrose, der hier Dienst tat, hatte ihr Platz gemacht und trank jetzt unten auf Deck einige Schlucke Wasser. Dem Kapitän war das recht. Einen besseren Ausguck als Teri konnte er sich kaum wünschen, das wußte er.

      Teri behielt die Wasserfläche vor der `Sesiol' scharf im Auge. Nichts regte sich auf dem Meer. Der ganze Horizont lag in vollständigem Gleichmaß da, nur an Backbord war in weiter Ferne ein dunklerer Streifen zu erkennen. - Die Küste von Bru, dem Goldland, wie der Kapitän erzählt hatte.

      Dem Schiff drohte keine Gefahr. Teri konnte es sich leisten, ein wenig zu träumen: