Michael Stuhr

STURM ÜBER THEDRA


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auszusetzen. Trotz aller Schikanen war das Fremdenhaus in fast jeder Nacht überfüllt, und Händler aus den entlegensten Winkeln des Kontinents suchten ihr Glück zwischen den grauen Felstürmen der Stadt.

      Schließlich hatten sich sogar die Finder mit den Thedranern arrangiert. Schließlich ging es um Geld, und die hier ansässigen Handwerker und Kaufleute waren immer an billiger Finderware interessiert. Die Handwerker hatten sich im Laufe der Zeit sogar darauf spezialisiert, die edleren Frachten, derer die Finder noch habhaft werden konnten, zu verarbeiten. Thedranisches Kunsthandwerk war auf dem ganzen Kontinent ein heiß begehrtes Gut.

      Bedauerlich fanden die Thedraner nur, dass ihre Schwalbenschiffe nicht selbst auf Finderfahrt gehen konnten. Aber das war nicht möglich. Die leicht gebauten Schiffe mit der zumeist sehr jungen, kleinen Besatzung konnten es zwar leicht mit den größten Gegnern aufnehmen. Es mußte aber immer bei der Vernichtung des fremden Schiffes bleiben. Ein offener Kampf, etwa mit der Mannschaft eines Dreimasters, war aber von vornherein ausgeschlossen.

      In jenen Tagen fuhr jede Gruppe auf den Meeren ihre eigenen Wege. Die Schwalbenschiffe flogen dahin, die Finder suchten leichtere Opfer, und die normalen Frachtschiffe wurden auf ihren Routen immer wieder attackiert. So war es zwischen Thedra und Sordos zu einem jahrzehntelangen, trügerischen Burgfrieden gekommen. - Bis zum heutigen Tag.

      "Ich will Thedra, Stoffmacher. - Und Ihr werdet mir dazu verhelfen."

      Llauk war wie betäubt. Thedra war uneinnehmbar! Was wollte dieser größenwahnsinnige Dramile von ihm? - Thedra? - Die am besten bewachte Hafenstadt des ganzen Kontinents? - Ausgerechnet von ihm, dem Stoffmacher aus der Provinz Idur, der selbst noch nicht einmal ein Wohnrecht in der Stadt hatte? Llauk sah sich schon wieder auf dem Richtblock.

      "Hört, Stoffmacher, Ihr seid mit guter Ware nach Sordos gekommen. Euer Tuch gefällt meinen Kaufleuten."

      "Aber ..." Llauk dachte an den bitteren Moment, in dem der Bootsmann die Vertäuung gekappt hatte.

      "Schweig, du Narr!", fuhr der Fremde ihn an. "Ich habe in der Zeit, da Ihr nicht abkömmlich wart, Eure Interessen wahrgenommen. Ich hoffe, dass Euch das recht war."

      "Na- Natürlich, Herr." Wo sollte das bloß hinführen? Wovon sprach dieser Mann?

      "Ich will mich nicht loben, Herr“ Der Fremde sah Llauk scharf an, "...aber ich glaube, dass ich einen sehr guten Preis für Eure Stoffe erzielt habe. - Lieber Stoffmacher, es liegen in meinem Haus zwölftausend Bronzestücke für Euch bereit."

      "Zwölftausend ...", entfuhr es Llauk. Da war sie wieder, die Summe, von der der Fremde vorhin schon gesprochen hatte. - Konnte es denn wirklich sein, dass ...

      "Allerdings", fuhr der Dramile fort, "...werde ich Euch das Geld über einig Jahre verteilt zukommen lassen. - Aber wie dem auch sei, Ihr werdet als reicher Mann nach Thedra zurückkehren."

      Llauk hatte verstanden. Sein Herz jubilierte. Dieser Edelmann meinte es wirklich ernst. Llauk würde reich sein. Endlich reich! "Welche Dienste erwartet Ihr dafür, Herr?"

      "Zunächst werde ich Euch eintausend Bronzestücke aushändigen. Nehmt Euch eine Wohnung im Händlerfelsen und empfangt dort meinen Kurier. Er wird Euch weitere Weisungen geben. Zunächst aber kuriert Ihr Eure Wunden aus. Ich habe Euch ein Haus am Stadtrand von Sordos herrichten lassen. Auch für eine kleine Dienerschaft ist gesorgt. Es wird Euch dort gefallen. Ihr werdet neu eingekleidet und nach Eurer Genesung erhaltet Ihr das Geld und fahrt als erfolgreicher Kaufmann nach Thedra."

      "Ja, Herr. Natürlich, Herr!" Llauk sprudelte förmlich über vor Glück. Jetzt würden seine kühnsten Träume doch noch in Erfüllung gehen. Er hatte es doch gewußt! - Er würde sein Glück machen auf dieser Fahrt. Am Morgen noch ein Todgeweihter, war er nun als dramilischer Spion angeworben und Besitzer eines unglaublichen Vermögens. - Wie schön die Welt doch war!

      Fast zwanzig Tage brachte Llauk in dem kleinen Haus am Stadtrand zu, das man ihm zugewiesen hatte. Sein Gastgeber hatte Wort gehalten. War es auch nicht gerade ein fürstlicher Palast, so hatte das Haus Llauk doch ausgezeichnet gefallen. Endlich hatte er so leben können, wie er es sich schon als Kind gewünscht hatte. Frei von allen Widrigkeiten des Alltags und nur dem Genuß verpflichtet.

      Selten nur war der fremde Edelmann, der sich als Adiv eb Aser vorgestellt hatte, in das Haus gekommen und hatte Llauk Weisungen für sein Verhalten in Thedra gegeben. Viel war es nicht, was Adiv eb Aser forderte: Llauk sollte dort einfach so leben, wie es einem Kaufmann zustand.

      Essen, trinken und schlafen, das war im Wesentlichen Llauks Leben, in diesem schönen, großen Haus in der dramilischen Hauptstadt. - Und dann war da noch etwas gewesen, oder besser, noch Jemand! - Sajai is Laza, eine der Dienerinnen.

      Sajai hatte es Llauk besonders angetan. Schon am ersten Abend hatte er sie trotz seiner Brandwunden und seines schmerzenden Rückens zu sich geholt. - Und Sajai hatte ihn reichlich für alles erlittene Leid entschädigt. Willig war sie all seinen Wünschen entgegengekommen, und als ihm nichts mehr einfiel, hatte sie sein Begehren aus eigenem Antrieb wieder angestachelt. Llauk hatte den Himmel auf Erden erlebt.

      Sajai war die erste Frau in seinem Leben. Die Mädchen seiner Heimat hatten nicht viel von dem kleinen Stoffmacher mit den großen Plänen gehalten, und in Thedra war er zu geizig gewesen, sich in einer der Schenken ein Abenteuer zu suchen. Llauk vergötterteSajai. Er konnte nicht mehr ohne sie sein. - Brauchte sie beim Einschlafen und beim Erwachen. - Tat alles, um sie zu erfreuen - wenn sie nur bei ihm blieb. Immer mußte sie in seiner Nähe sein, weil es ihn immer wieder nach ihr verlangte.

      Auf diese Art hatte er es der Armen wirklich schwer gemacht, ihre Berichte über ihn pünktlich abzuliefern.

      Nun war der Augenblick des Abschieds gekommen. Traurig stand Llauk in seinen schönen, neuen Kaufmannskleidern in der Tür. Etwas wehmütig nahm er Abschied von dem Haus am Rande der Stadt und vor allem von der Liebe seines Lebens. - Ach, hätte das alles doch nur für immer so weitergehen können!

      Adiv eb Aser wartete geduldig, bis Llauk sich von Sajai verabschiedet hatte, dann gingen die beiden Männer, begleitet von einer Eskorte, zum Hafen hinunter.

      "Seid nicht betrübt, Stoffmacher", versuchte der Dramile Llauk zu trösten. "Wenn Ihr erst Gouverneur von Thedra seid, könnt Ihr Eure Geliebte ja nachkommen lassen."

      Llauks Kopf ruckte herum. Plötzlich war aller Abschiedsschmerz vergessen. Gouverneur sollte er werden? So hoch hatte er in seinen kühnsten Träumen nicht zu greifen gewagt. `Llauk, Gouverneur von Thedra und Estador', wie gut das klang. Vielleicht würden die Dramilen es dulden, dass er sich so ganz nebenbei auch noch Vizekönig nannte, oder auch nur König? Llauk ging wie auf Wolken. Schon sah er sich am Ziel, das seine wildesten Machtphantasien bei weitem übertraf. - Doch vor den Titel hatten die Dramilen die Überfahrt nach Thedra gesetzt ...

      Stolz in Gang und Gebärde, jeder Fingerbreit ein erfolgreicher Kaufmann, betrat Llauk den Kai von Sordos und schaute wohlgefällig auf die Menge, die ihn bewundernd musterte, wie ihm schien. - Ob die Leute wohl schon von seiner Ernennung wußten?

      Plötzlich stockte Llauks Schritt. Er hatte an der Kaimauer etwas erkannt, das seinen Herzschlag stocken ließ. Dieses Schiff, dieser kleine Zweimaster, das war doch nicht etwa ...?

      "Was zögert Ihr, Stoffmacher?", wollte Adiv eb Aser von ihm wissen. "Hat Euch die `Große Geliebte' nicht gut und sicher nach Sordos getragen?"

      Llauks Knie drohten nachzugeben. Diese massige Gestalt dort an Deck, dieser hünenhafte Mann, der seinen Kopf so merkwürdig schräg hielt ...

      "Kommt!", drängte sein Begleiter. "Kapitän Sed eb Rea wartet nicht gern. Wir wollen ihn nicht unnötig reizen. - Schaut nur, wie Ihr ihn zugerichtet habt mit Eurem Messer!"

      Das war also die Teufelei gewesen, die Llauk insgeheim die ganze Zeit gefürchtet hatte. Mehr als zwanzig Tage lang sollte er diesem Unmenschen ausgeliefert sein, der schon vor seiner Verwundung durch Llauk kein Erbarmen gekannt hatte.

      In einem angstvollen Reflex wirbelte Llauk herum und wollte fliehen. Aber die Männer seiner Eskorte waren darauf vorbereitet und hatten ihn schon nach dem ersten Schritt gepackt. Erstes