elmer weyer

Böser Verdacht


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sagt: „Ich verstehe. Sie wollten sich ein Bild von mir machen. Na gut, das kann ich verstehen. Und in einem Punkt liegen Sie ja richtig. Ich habe meinen Job nicht des Geldes wegen gemacht. Unterbezahlt waren wir doch alle damals. Hören Sie, ich hätte diese Karriere auch gemacht, wenn man mir nicht nach jeder Beförderung ein paar Dollar mehr gezahlt hätte. Sollte ich das Geld etwa ablehnen. Das hätte mich doch verdächtig gemacht. Wen Geld nicht interessiert, der ist doch nicht normal. Ich wäre ein Idealist, ein Außenseiter, oder gar ein Kommunist gewesen. Aber nein. Ich habe es genossen, eines Tages nicht mehr gesagt zu bekommen was zu tun sei, sondern zu sagen was zu tun ist. Und heute sage ich was ich will. Und wenn jemanden das nicht gefällt, dann möge er das doch bitte für sich behalten.“

      Harper öffnete währenddessen die Flasche. Etwa zwei Fingerhoch gießt er Whisky in eins der beiden Gläser und stellt es vor Snyder auf den Tisch. Der nimmt das Glas, hält es erst gegen das Licht, dann unter die Nase und sagt: „Ist es dafür nicht noch ein wenig zu früh?“

      Mit einer abweisenden Handbewegung erwidert Harper: „Für mich schon, für Sie nicht.“

      Snyder nimmt einen Schluck und dreht den Kopf leicht zur Seite, während der samtweich rauchige Single Malt, aus dem Tal der Hirsche, erst Zunge, Mund, Gaumen, dann Kehle umspült, und diese Wärme in der Brust entfaltet. Snyder macht einen kurzen sinnlichen Spaziergang durch Dufftown, an der Mortlach Church vorbei, hinüber zu den illegalen Brennereien, hinter den grünen Hügeln, in den Weiten des schottischen Hochlandes. Und er verläuft sich nicht so gerne dabei, verzichtete deshalb zunächst auf den zweiten Schluck.

      „Also Snyder, was ist nun. Sie verstehen doch was ich meine. Hätten Sie ein solches Tagebuch geschrieben?“

      „Hören Sie zu Harper. In den Ländern, deren Staatsgewalten damals nicht von der NS Diktatur ergriffenen wurden, herrschte in den Medien die offizielle Lesart, dass das deutsche politische Volk sich von allen anderen Völkern der Welt unterschied. Das deutsche politische Volk unterwarf sich freiwillig einer verbrecherischen NS Diktatur, mit ihrer SS, SA, SD. Gestapo, dem Wehrmachtskommando und ihrem geliebten Führer und Volkshypnotiseur Adolf Hitler. Mit seinem angeerzogenen militärischen Gehorsam, war das deutsche politische Volk das perfekte Opfer, um sich freiwillig mit festlichem Gesang und entmündigendem Schwur, diesen Nazis zu unterwerfen. Ein derartiger totalitärer Plan, konnte nach des Führers Meinung, nur durchgeführt werden, wenn alle wie auch immer gearteten Widerstände, mit strengsten Mitteln gnadenlos gebrochen werden.“

      „Also Harper, was soll diese Frage? Ich bin Jude, oder eben Halbjude. Ich hätte einen Teufel in dieser Zeit getan. Ich wäre längst von der Gestapo abgeholt worden und sie hätten mich schon vorher in ein Vernichtungslager gebracht. Und im Übrigen, sollten Sie sich selbst fragen, ob Sie das als Nichtjude getan hätten.“

      „Darum frage ich Sie ja, Snyder. Ich weiß, dass Sie Jude sind. Und dieses Tagebuch hat ein Mann geschrieben, der Eugen Paulus hieß. Paulus, verstehen Sie?“

      „Paulus? Was soll das? Ich verstehe nicht.“

      Harper nun etwas herablassend: „Ich hätte Sie das nicht gefragt, wenn der Autor Schulze oder Müller geheißen hätte. Der Name ist aber Paulus. Und ich denke dieser Paulus war weder verwandt noch verschwägert mit dem Oberbefehlshaber der 6. Armee Generalfeldmarschall Friedrich Wilhelm Paulus. Der Paulus den ich meine, ist der Paulus von Tarsus. Ein in Griechenland ausgebildeter Jude, und Pharisäer, mit einem römischen Pass. Paulus galt als der, von Gott berufene Verkünder des Evangeliums. Ein Apostel, der es sich zur Aufgabe gemacht hatte, als Missionar des Urchristentums, und die Auferstehung Jesus Christi, dem Nichtjuden, zu verkünden. Dazu bereiste er den gesamten Mittelmeerraum. Seine Lehre nimmt viel Raum im Neuen Testament und in der Bibel ein. Ein Paulus, der ein Tagebuch unter der Herrschaft der NS Diktatur, mit allen seinen Gefahren schreibt, und selbst durchbringt? Da liegt es.“

      Snyder zieht die linke Schulter hoch, und setzt zu einer Frage an: „Reden Sie etwa von Widerstand?“

      Harper schüttelt den Kopf: „Nein, das nicht. Widerstand ist etwas anders. So etwas wie der von Sophie und Hans Scholl. Sie schrieben mit ihrem Freund Alexander Schmorell Flugblätter und wurden denunziert. Es war der Hausmeister der Ludwig-Maximilian-Universität in München Jakob Schmid, der sie für 3.000 RM Belohnung an die Gestapo verriet. Am 22. Februar 1943 wurden die Geschwister Scholl, und fünf ihrer Freunde, unter der Leitung des Richters Roland Freisler in München, der landesverräterischen Feindbegünstigung, der Vorbereitung zum Hochverrat und der Wehrkraftzersetzung, zum Tode durch Enthauptung verurteilt, und am gleichen Tag mit dem Fallbeil hingerichtet. Alexander Schmorell erst am 13. Juli 1943 an gleicher Stelle.“

      Snyder fingerte und strich in der Zeit auf seinem Handy herum und sagt, ohne aufzuschauen: „Ja, hier ist es, und ich zitiere wörtlich etwas aus ihren Flugblättern.“

       „Wenn das deutsche Volk schon so in seinem tiefsten Wesen korrumpiert und zerfallen ist, dass es, ohne eine Hand zu regen, im leichtsinnigen Vertrauen auf eine fragwürdige Gesetzmäßigkeit der Geschichte, das Höchste, das ein Mensch besitzt und das ihn über jede andere Kreatur erhöht, nämlich den freien Willen, preisgibt, die Freiheit des Menschen preisgibt, selbst mit einzugreifen in das Rad der Geschichte und es seiner vernünftigen Entscheidung unterzuordnen, wenn die Deutschen, so jeder Individualität bar, schon so sehr zur geistlosen und feigen Masse geworden sind, dann, ja dann verdienen sie den Untergang. (. . .) Warum verhält sich das deutsche Volk angesichts all dieser scheußlichsten, menschenunwürdigsten Verbrechen so apathisch? Kaum irgendjemand macht sich Gedanken darüber. Die Tatsache wird als solche hingenommen und ad acta gelegt. Und wieder schläft das deutsche Volk in seinem stumpfen, blöden Schlaf weiter und gibt diesen faschistischen Verbrechern Mut und Gelegenheit weiter zu wüten. Sollte dies ein Zeichen dafür sein, dass die Deutschen in ihren primitivsten menschlichen Gefühlen verroht sind, dass keine Saite in ihnen schrill aufschreit im Angesicht solcher Taten, dass sie in einen tödlichen Schlaf versunken sind, aus dem es kein Erwachen mehr gibt, nie, niemals? Es scheint so und ist es bestimmt, wenn der Deutsche nicht endlich aus dieser Dumpfheit auffährt, wenn er nicht protestiert, wo immer er nur kann, gegen diese Verbrecherclique, wenn er mit diesen Hunderttausenden von Opfern nicht mitleidet. Und nicht nur Mitleid muss er empfinden, nein, noch viel mehr: Mitschuld. Denn er gibt durch sein apathisches Verhalten diesen dunklen Menschen erst die Möglichkeit, so zu handeln. (. . .) Ein jeder will sich von einer solchen Mitschuld freisprechen, ein jeder tut es und schläft dann wieder mit ruhigstem, bestem Gewissen. Aber er kann sich nicht freisprechen, ein jeder ist schuldig, schuldig, schuldig!“

      Nach einer kurzen Pause fährt er fort: „Und dann zitieren sie Aristoteles Sichtweise der Politik der Tyrannis. Wörtlich schreiben sie folgendes.“

       „Ferner gehört es (zum Wesen der Tyrannis) dahin zu streben, dass ja nichts verborgen bleibe, was irgendein Untertan spricht oder tut, sondern überall Späher ihn belauschen, (. . .) ferner alle Welt miteinander zu verhetzen und Freunde mit Freunden zu verfeinden und das Volk mit den Vornehmen und die Reichen unter sich. Sodann gehört es zu solchen tyrannischen Maßregeln, die Untertanen arm zu machen, damit die Leibwache besoldet werden kann, und sie, mit der Sorge um ihren täglichen Erwerb beschäftigt, keine Zeit und Muße haben, Verschwörungen anzustiften (. . .) Ferner aber auch solche hohe Einkommensteuern, wie die in Syrakus auferlegten, denn unter Dionysios hatten die Bürger dieses Staates in fünf Jahren glücklich ihr ganzes Vermögen in Steuern ausgegeben. Und auch beständig Kriege zu erregen, ist der Tyrann geneigt."

      Harper nickt mit ernster Miene: „Das kommt mir irgendwie sehr zeitgenössisch vor, will mich aber nicht zu weit aus dem Fenster lehnen. Ich will vom 20. Juli 1944 sprechen. Claus Schenk Graf von Stauffenbergs misslungenes Attentat auf Hitler. Der Führer hielt in der gleichen Nacht gegen 01:00 Uhr eine Radioansprache an das Volk, in der er wörtlich unter anderem folgendes verlautbarte.“

      „Eine ganze kleine Clique ehrgeiziger, gewissenloser und zugleich unvernünftiger, verbrecherisch dummer Offiziere hat ein Komplott geschmiedet, um mich zu beseitigen und zugleich mit mir den Stab der deutschen Wehrmachtführung praktisch auszurotten (. . .) Ich selbst bin völlig unverletzt bis auf ganz kleine Hautabschürfungen, Prellungen oder Verbrennungen. Ich fasse das als eine Bestätigung des Auftrages der Vorsehung auf, mein Lebensziel weiter zu verfolgen, so wie ich