Bärbel Junker

Grauen in der Parkallee


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erwiderte der Mann zurückhaltend.

      „Na, sehen Sie“, sagte die Studienrätin so triumphierend, als hätte sie gerade Mrs. Browns plötzliches Ableben aufgeklärt.

      „Aber wenn die alte Dame nicht durch ein Herzversagen von uns gegangen ist, wodurch dann?“, wollte Mrs. Thea Heckert wissen, eine ehemalige Opernsängerin, die sich gerne etwas hochtrabend auszudrücken pflegte.

      „Vielleicht ist sie ja an Altersschwäche gestorben“, krähte Biggy Winkelmann, ein zwölfjähriger Teenager, aufgeregt.

      „Halt den Mund, Biggy“, berief sie Bernd Winkelmann, ihr Vater, den das vorlaute Mundwerk seiner naseweisen Tochter ständig in Schwierigkeiten brachte.

      Biggy warf ihrem Vater einen beleidigten Blick zu und stolzierte mit hocherhobenem Kopf und lustig wippendem, blonden Pferdeschwanz auf ihren langen Beinen davon.

      Keiner der Anwesenden, außer der Opernsängerin, die junge Mädchen und Frauen ihrer Jugend wegen hasste, nahmen Biggys etwas theatralischen Abgang zur Kenntnis. Mrs. Browns plötzliches Ableben und das der anderen vier Mitbewohner spukte in ihren Köpfen herum, verunsicherte sie und führte ihnen gnadenlos ihre eigene Sterblichkeit vor Augen. Wen kümmerten da die frechen Äußerungen einer Halbwüchsigen.

      Mrs. Holt, eine zickige und ständig frustrierte Pensionärin fasste ihrer aller Angst mit wenigen Worten zusammen: „Warum, zum Teufel noch mal, sind sie dann überhaupt gestorben, wenn sie nicht krank waren?“, keifte sie mit ihrer unangenehm schrillen Stimme.

      „Mrs. und Mr. Troller verunglückten doch, wenn ich richtig informiert bin“, warf Mrs. Kessler schüchtern ein.

      „Verunglückten?! Aber wieso? Ich habe in meinem ganzen Leben keine vorsichtigeren Menschen kennengelernt, als diese beiden. Die überlegten doch fünfmal, bevor sie einen einzigen Schritt machten“, höhnte Mrs. Holt. „Vielleicht hat da ja irgendjemand nachgeholfen.“

      „Aber wer sollte so etwas Schreckliches tun?“, flüsterte Miss Langford entsetzt. Für einen Moment schwiegen alle schockiert.

      Chefinspektor Harrisson nutzte die Gelegenheit und bat den Bildhauer um eine kurze Unterredung.

      „Da muss ich mich wohl der Staatsgewalt beugen“, meinte dieser ironisch und stieg vor ihnen die Treppe hinauf.

      „Wohin führt diese Tür?“, fragte Chefinspektor Harrisson auf eine schmale, dem Atelier gegenüberliegende Tür deutend.

      „Ins Nachbarhaus“, antwortete Ken Malkowitsch. „Aber sie ist verschlossen und außerdem auch noch von der anderen Seite zugemauert“, fügte er hinzu und öffnete die Tür zu seinem Atelier.

      Es war nicht aufgeräumt. Überall lag Material herum. In jeder freien Ecke, auf Kisten und Tischen, Stühlen und Kartons standen und lagen unheimliche, teils bizarr anmutende Skulpturen, die Werke des Künstlers. Malkowitsch räumte ein paar Stühle frei, damit sie sich setzen konnten.

      „Na, wie finden Sie meine Arbeiten?“, fragte er.

      „Nun ja. Ich weiß nicht. Auf jeden Fall sind sie ziemlich ungewöhnlich“, erwiderte der Chefinspektor ein wenig verlegen.

      „Ich finde sie irgendwie unheimlich“, meinte Kerrington.

      „Das ist wahr. Mich erschrecken sie auch manchmal, besonders dann, wenn ich einen gehoben habe“, stimmte ihm der Künstler lachend zu. Und wieder ernst werdend: „Weshalb wollten Sie mich eigentlich sprechen? Meiner Skulpturen wegen doch wohl nicht.“

      „Es geht um die fünf Todesfälle“, erklärte Harrisson. „Können Sie uns etwas dazu sagen?“

      „Nein, Sir, eigentlich nicht. Ich wundere mich nur darüber, dass bisher noch keine der leer stehenden Wohnungen wieder vermietet wurde.“

      „Kannten Sie die verstorbenen Mieter näher?“

      „Na ja, wie man sich eben so kennt. Man trifft sich im Treppenhaus, grüßt, spricht vom Wetter oder dass schon wieder alles teurer geworden ist und das war´s dann. Wenn ich es mir so recht überlege ... Nein, eigentlich habe ich die Leute nicht näher gekannt.“

      „Wirklich niemanden?“

      „Tja, außer Mrs. Brown vielleicht. Obwohl ich über die nette alte Dame auch nicht viel weiß. Sie hatte den Ersatzschlüssel für meine Wohnung.“

      „Und wozu hatte sie den?“

      „Sie nahm Materiallieferungen für mich entgegen und ließ sie gleich in mein Atelier hinaufbringen. Außerdem verlege ich leicht meine Schlüssel, und der Schlüsseldienst war mir auf die Dauer zu kostspielig“, grinste Malkowitsch. „Schade um die nette alte Lady“, murmelte er.

      „Wissen Sie, ob Mrs. Brown Angehörige hatte?“, fragte Harrisson.

      „Ich glaube nicht. Außer ihrem verstorbenen Mann hatte sie wohl niemanden.“

      „Hatte sie Feinde? Wurde sie bedroht? Fürchtete sie sich vielleicht vor irgendjemanden?“, wollte der Inspektor wissen.

      „Nein, Sir, mir ist nichts von alledem bekannt. Aber wie ich schon sagte, sehr gut kannte ich die alte Dame leider nicht. Obwohl sie meine Wohnungsschlüssel hatte sah ich sie nur, wenn ich ihr als kleines Dankeschön einen Blumenstrauß oder eine Flasche Portwein brachte, allerdings ...“, er verstummte und sah nachdenklich auf seine kräftigen Hände.

      „Ist Ihnen doch noch etwas eingefallen?“, hakte der Chefinspektor nach.

      „Vielleicht, sicher bin ich mir allerdings nicht.“

      „Das macht nichts, Mr. Malkowitsch. Erzählen Sie es uns trotzdem.“

      „Also gut, wenn Sie darauf bestehen“, seufzte der Bildhauer: „Vor etwa zwei Wochen, ich hatte wieder einmal meinen Schlüssel verlegt, klingelte ich bei Mrs. Brown, als plötzlich die Tür aufgerissen wurde und ein hoch gewachsener, ganz in schwarz gekleideter Mann an mir vorbei stürmte. Hinter ihm erschien die sonst so gelassene Mrs. Brown mit hochrotem Gesicht im Eingang, packte mich am Arm und zerrte mich regelrecht in ihre Wohnung hinein.

      Sie drückte mich in einen Sessel, holte entgegen ihrer sonstigen Gepflogenheiten eine Flasche Brandy und zwei Gläser aus dem Schrank und schenkte ein. Sie nahm einen herzhaften Schluck aus ihrem Glas und setzte sich zu mir. „Ist etwas passiert?“, fragte ich sie.

      „Und ob“, erwiderte die alte Dame zitternd. „Sie haben doch den schwarz gekleideten Mann gesehen?“ Und als ich nickte: „Das war Mr. Morcock, unser neuer Vermieter. Er will, dass ich umgehend aus dieser Wohnung ausziehe, in der ich seit Jahrzehnten lebe und in der mein armer Mann gestorben ist. Und als ich ablehnte, geschah etwas so Unheimliches, dass es mir jetzt noch kalt den Rücken runter läuft. Mr. Morcock fing meinen Blick ein und hielt ihn fest. Ich vermochte mich nicht dagegen zu wehren, und die panische Angst in seinen schlammfarbenen, an Morastlöcher erinnernden Augen zu versinken, raubte mir fast die Sinne.

      Zum Glück klingelten Sie und das brachte mich zurück in die Wirklichkeit. Ich starrte auf den Stift in meiner Hand und stellte zu meinem Entsetzen fest, dass ich fast die Kündigung meiner Wohnung unterzeichnet hätte, wenn Sie nicht gekommen wären. Aber wie hatte mich der Mann dazu gebracht? Ich zerriss das Schreiben empört. Und Mr. Morcock verließ fluchtartig die Wohnung. Den Rest kennen Sie.“

      „Wollen Sie etwa damit sagen, der Mann habe Sie hypnotisiert?“, fragte ich ungläubig.

      „Vielleicht“, erwiderte sie. „Aber da war noch etwas anderes. Etwas unsagbar Böses und Verdorbenes streckte seine gottlosen, schleimigen Tentakel nach mir aus, versuchte in mich einzudringen, mich zu umgarnen, in seine Verderbnis, seinen Morast hinunterzuziehen und auf ewig zu verschlingen.“

      Es war richtig unheimlich. Ich hatte die alte Dame noch nie so seltsam reden hören“, erinnerte sich der Künstler. „Aber natürlich glaubte ich ihr diesen überspannten Unsinn keine Sekunde lang.“

      „Das könnte glatt von Stephen King sein“, grinste Kerrington,