Bärbel Junker

Grauen in der Parkallee


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Atelier, woran weiß ich noch nicht. Die Kollegen und der Gerichtsmediziner sind schon da und warten auf uns.“

      „Na, dann mal nichts wie hin“, erwiderte der Inspektor und öffnete die Tür.

      Nachdem sie sich Ken Malkowitschs Leichnam angesehen hatten, stiegen die beiden Kriminalbeamten die Treppe hinunter, um den zweiten Tatort in Augenschein zu nehmen.

      „Das muss das reinste Höllenfeuer gewesen sein“, meinte der Gerichtsmediziner Dr. Carstens auf das Häufchen Asche deutend. „Das ist alles, was von dem Mann übrig geblieben ist.“

      „Eine Obduktion weniger“, meinte Piet. „Sollte das Schule machen, sind Sie bald arbeitslos.“

      „Sehr witzig“, knurrte der Arzt humorlos.

      „Dieser hier ist verbrannt, das ist klar“, stellte der Chefinspektor fest. „Aber woran starb der Künstler?“

      „Wahrscheinlich an Gift. Nach der Obduktion kann ich mehr sagen.“

      „Also Mord“, meinte Piet.

      „Wohl eher ein Unfall“, erwiderte der Arzt.

      „Ein Unfall? Und woraus schließen Sie das?“, fragte Harrisson skeptisch.

      „Haben die von der Spurensicherung Ihnen nichts gesagt?“

      „Nein. Was hätten sie uns denn sagen sollen?“

      „Kommen Sie mit, ich zeige es Ihnen“, erwiderte der Arzt.

      Sie stiegen die Treppe zu Ken Malkowitschs Atelier hinauf und traten ein. Dr. Carstens ging zielstrebig zu dem Tisch mit der Skorpion-Skulptur und blieb davor stehen. „Der Stachel“, sagte er kurz angebunden.

      „Ja, und? Ich verstehe nicht“, entgegnete der Chefinspektor verwundert.

      „Der Mann starb an Gift, und die Vermutung liegt nahe, dass er sich an diesem mit Gift überzogenen Stachel verletzte“, erklärte der Arzt.

      „Echtes Gift, sagen Sie? Na, wenn das nicht leichtsinnig ist“, meinte Inspektor Kerrington kopfschüttelnd. „Auf was diese Künstler aber auch so alles kommen!“

      „Natürlich war das leichtsinnig“, stimmte ihm der Arzt zu. „Aber die Quittung dafür hat er ja auch erhalten. Dieser dumme Unfall hätte nicht sein müssen.“

      „Unfall, meinen Sie?“, fragte Harrisson. „Das war kein Unfall, Doktor. Das war Mord!“

      „Wie kommen Sie denn darauf? Für mich sieht es nicht danach aus.“

      „Nicht? Und wie hat er sich Ihrer Meinung nach die Wunde am Kopf zugezogen?“

      „Ganz einfach, Tom. Er taumelte in seinem alkoholisierten Zustand gegen die Skulptur und verletzte sich an dem giftigen Stachel.“

      „Er muss aber schon ziemlich heftig mit der Figur zusammengestoßen sein, um sich eine derartige Verletzung zuzuziehen, meinen Sie nicht auch?“

      „Das ist richtig.“

      „Und wieso stürzte dann die Skulptur durch den Aufprall nicht zu Boden, sondern steht dort unbeschadet auf dem Tisch? Der Tote kann sie ja wohl kaum wieder aufgehoben haben.“

      „Also Mord“, sagte Piet.

      „Du sagst es“, nickte Tom, „denn bei einem Unfall wäre der leichte Tisch mitsamt der Skulptur umgefallen.“

      „Und was ist mit diesem Gernot Thomsen?“, fragte Piet, nachdem der Arzt gegangen war.

      „Vermutlich wurde er ebenfalls ermordet. Doch das dürfte kaum zu beweisen sein bei dem, was von dem Mann übrig geblieben ist.“

      „Und weit und breit kein erkennbares Motiv“, seufzte der Inspektor.

      „Und wie soll es jetzt weitergehen?“

      Tom zuckte mit den Schultern und verließ das Atelier. Und wieder zog es ihn zu der schmalen Tür. Nachdenklich musterte er das Schloss. Es zu öffnen dürfte nicht allzu schwer sein, überlegte er. Sollte er?

      Seine Neugier siegte.

      „Von wegen zugemauert“, flüsterte Tom. Wo nach Ken Malkowitschs Worten Mauerwerk sein sollte, gähnte ein düsterer Flur, dessen einzige Lichtquelle ein winziges Dachfenster war.

      Zögernd betraten sie die obere Etage des Nachbarhauses und gingen auf die einzige Wohnungstür am Ende des Ganges zu. Aber mit derselben Geschwindigkeit, mit der sie sich der Tür näherten, schien diese vor ihnen zurückzuweichen. Plötzlich blieben sie wie auf Kommando stehen und sahen sich an.

      „Verstehst du das?“, fragte Piet verwirrt.

      „Nein, wir kommen einfach nicht näher heran“, erwiderte Tom verwundert.

      „Und was jetzt?“

      „Wir gehen weiter“, sagte Tom bestimmt und machte zwei Schritte vorwärts und dann noch zwei. Und tatsächlich, die Entfernung verringerte sich.

      Und noch zwei Schritte! Langsam, jeden Moment auf ein neuerliches Zurückweichen der seltsamen Tür gefasst, gingen sie weiter. Aber nichts dergleichen geschah. Sie mussten sich wohl geirrt haben. Und dann standen sie vor der Wohnungstür und der Chefinspektor klingelte.

      „Ja, bitte?“, fragte der hoch gewachsene, ganz in schwarz gekleidete Mann mit dem auffallend blassen Gesicht, der ihnen geöffnet hatte. Die beiden Beamten erkannten ihn nach Ken Malkowitschs Beschreibung sofort.

      Sie wiesen sich aus und der Mann bat sie herein. In seinem Wohnzimmer nahmen sie auf dem blutroten Sofa Platz, welches ein greller Farbfleck in dem ansonsten fast völlig in schwarz gehaltenen Raum war; selbst die Zimmerdecke war schwarz gestrichen.

      Inspektor Kerrington betrachtete neugierig einen kleinen, roten Lackschrank auf dem ein schwarzes Onyx-Kästchen stand.

      Chefinspektor Harrisson hingegen interessierte sich für den kleinen Korb an der Wand, in dem sich etwas bewegte. Die Wärme im Zimmer ermüdete die beiden Männer. Die Stille bedrückte sie.

      „Mr. Laszlo Morcock, wenn ich nicht irre?“, fragte der Chefinspektor.

      „Der bin ich“, erwiderte der schwarz Gekleidete. „Was kann ich für Sie tun, meine Herren?“

      Schlammfarbene Augen, dachte Tom Harrisson. Irgendwie unheimlich der Mann. Sein Unbehagen wuchs und ein Blick auf seinen Freund verriet ihm, dass es diesem genauso erging. Er riss sich zusammen und konzentrierte sich. „Sie sind der Eigentümer des Nachbarhauses?“, fragte er.

      „Und des gesamten Häuserblocks, bis hin zur Aralienstraße“, ergänzte Morcock.

      „Soso, bis zur Aralienstraße.“

      „Ist das verboten? Oder weshalb interessiert sich die Mordkommission dafür?“, fragte Laszlo Morcock kühl.

      „Ihr Eigentum interessiert uns nur insoweit, Mr. Morcock, wie es mit den Mordfällen im Nachbarhaus zusammenhängt“, entgegnete der Chefinspektor ruhig.

      „Mordfälle?“, fragte Morcock überrascht. „Ich dachte, es seien Unfälle gewesen.“

      „Wohl kaum. Oder würden Sie den Tod durch das Gift der Schwarzen Witwe als Unfall einstufen?“, fragte Inspektor Kerrington ironisch.

      „Woran soll die arme Mrs. Brown gestorben sein?“

      „Wie kommen Sie auf Mrs. Brown? Ich habe ihren Namen nicht erwähnt.“

      „Ich dachte, sie wären ihretwegen hier, weil sie das letzte Unfallopfer war“, erwiderte Morcock gewandt.

      „Sie haben recht, Mr. Morcock. Es geht um Mrs. Brown. Die alte Dame starb am Gift einer Schwarzen Witwe einer Spinne, die es hier bei uns normalerweise nicht gibt“, erklärte der Chefinspektor.

      Laszlo Morcock musterte die beiden Kriminalbeamten interessiert. Einen Lidschlag lang kroch ein böses Lächeln über sein ansonsten maskenhaft