Sebastian Görlitzer

Sammelband


Скачать книгу

noch auf dem Boden liegende Mann auf und steuerte auf die beiden Gestalten zu. Eine Frau, die verblüffende Ähnlichkeit mit ihm hatte und im gleichen Alter wie er zu sein schien, rief verzweifelt: „Nein!“ Doch es war zu spät. Mit einem Faustschlag der den groben Fiesling mitten in den Magen traf, wurde sein Mut mit einer Kugel aus der Waffe, des Komplizen bestraft. Als der Angeschossene erneut zu Boden sank, war es die Frau, die seine Aktion vorher mit einem Rufen verhindern versuchte, die sich nun bestürzt und schreiend über seinen schwer atmenden Leib beugte und ihn bat durchzuhalten. Doch es war zu spät. Er schaute sie ein letztes Mal an und legte dabei kurz seine Hand auf ihren Arm. Als wollte er ihr noch etwas sagen. Doch im nächsten Moment, erschlaffte seine Hand und fiel zu Boden. Er tat den letzten Atemzug. Seine ganze Lebensenergie wich aus seinem Körper

      und er starb. Nach einer gewissen Zeit, wischte sie mit ihrer Hand gefühlvoll über sein Gesicht und schloss seine geöffneten Augen, die leblos ins Leere blickten. Schließlich schaute sie auf und sah, wie sich der Mörder ihres Bruders von dem Angriff erholte. Der schien das gesamte Szenario beobachtet zu haben und meinte mit vernichtendem Blick und respektlos:

      „Das passiert, wenn man sich mit mir versucht anzulegen.“

      Aus der Verzweiflung heraus kombinierte sich ihr Schmerz urplötzlich

      in blinde Wut. Unüberlegt griff sie den Mörder, wie es zuvor ihr Bruder getan

      hatte, an. Sie schlug brutal auf ihn ein, bombardierte ihn mit Vorwürfen und

      beschimpfte ihn mit den absonderlichsten Begriffen für „Verbrecher“. Schließlich riss sie ihm die Maske vom Gesicht und von ihrer Handlung selbst erschrocken, wich sie zurück. Unbewusst prägte sie sich das Gesicht ein. Der Andere befreite seinen Kumpan von

      ihr und stieß sie grob weg. Mit seiner Waffe auf sie gerichtet, behielt er sie im

      Auge. Der Angegriffene fasste sich wieder und zog die Stoffmütze erneut über sein Gesicht. Mit hasserfüllten Augen zielte er auf die Frau. Er war bereit sie zu erschießen. Doch als er abdrücken wollte, versagte seine Waffe. Das Patronenlager war leer. Sein Komplize schoss einmal ins Leere und schlug vor zu verschwinden, solange es noch möglich war. Denn von draußen hörte man bereits die Polizeisirenen, die näher kamen. Sie flohen und flüchteten. Die Bankkunden und Angestellten, die alles vom Boden aus mit anschauen mussten, blieben unbewegt auf den kalten Fliesen sitzen. Sie standen unter Schock. Manche saßen mit angewinkelten Knien und zusammengefalteten Händen da. Die Angst war allgegenwärtig im Gebäude zu spüren.“

      „Das nimmt eine ganz neue Wendung an“, sagte Lisa.

      „Es wird spannend“, meinte Sven.

      „Und auch sehr romantisch, wie mir scheint“, warf Monika ein.

      Und dann las Frau Hubert weiter:

      „Allmählich wachte Leon auf und befreite sich zunächst aus seiner Bettdecke, in der er gefangen war. Schweißgebadet und leicht zittrig auf den Beinen, ging er ins Bad um sich zu duschen. Er dachte dabei immer wieder an den so realen Alptraum und entschloss sich, seinen

      Freund Paul anzurufen. Gleich nachdem er das Bad verlassen hatte, warf er sich zunächst einen Bademantel über und wählte die Nummer. Paul meldete sich gleich persönlich: „Polizeipräsidium Köln, was kann ich für sie tun?“

      Nervös und mit stockendem Atem, meldete sich Leon:

      „Hallo Paul, ich bin es Leon.“

      Den genervten Unterton von Paul ignorierte Leon.

      „Hallo Leon, was gibt es denn? Du brauchst nicht zufällig wieder Informationen für ein neues Buch? Du weißt, ich habe viel zu tun.“

      Er ignorierte die Frage seines Freundes bezüglich seines neuen Buches und nach den richtigen Worten suchend, versuchte Leon sich so kurz wie möglich zu halten.

      „Ich hatte gerade einen merkwürdigen Traum, der sehr real war und wollte gern von Dir wissen, ob es in den letzten vierundzwanzig Stunden in der Stadt einen Banküberfall gab?“

      Man konnte hören wie Paul etwas in den Computer eingab und antwortete Leon:

      „Nein, das wüsste ich. Alles ist so ruhig wie schon lange nicht mehr. Sei also beruhigt.“

      Leon war erleichtert, dass es wohl doch nur ein Traum gewesen sein musste.

      Er entschied daher, diesen Traum nicht allzu ernst zu nehmen. In knappen Worten antwortete er seinem Freund:

      „Schon gut. Vielen Dank für dein Verständnis. Ich werde diesem Traum nicht soviel Bedeutung schenken und bin beruhigt, dass es nur ein Traum war.“

      Verwirrt über Leons heutiges Verhalten beendete Paul das Telefonat. Sein Freund verhielt sich sonst nicht so seltsam, ging es ihm durch den Kopf. Also musste doch mehr dahinter stecken. Er entschied die Sache im Auge zu behalten. Leon haderte währenddessen mit sich, ob er allmählich verrückt wurde. Er nahm sich noch einen Kaffee und setzte sich an seinen Rechner, um seine Erinnerungen an den Traum zu notieren. Wenn es schon nicht real war, sollte daraus wenigstens eine Geschichte entstehen. Ein möglicher Krimi, ging es ihm durch den Kopf. Er schrieb alles auf, bis ins kleinste Detail und jede noch so unwesentliche Kleinigkeit. Daraus wurden einige Seiten.

      Kapitel 4

      „Wird daraus dann ein richtiger Krimi?“, fragte Monika und Sven antwortete:

      „Warte es doch mal ab und lass Frau Hubert weiterlesen.“

      „Geht das auch etwas freundlicher“, fauchte Monika zurück und setzte sich abseits von Sven.

      Am nächsten Tag saß Leon in seinem Arbeitszimmer und schrieb weiter an seinen Werken. Inzwischen war die erste Kurzgeschichte in der Zeitung veröffentlicht worden. Darüber freute er sich natürlich und legte die Zeitung vorsichtig in einen Karton. Im nächsten Augenblick klingelte das Telefon. Es lag glücklicherweise vor ihm. So, dass er diesmal nicht erst in den Flur hetzen musste. Er nahm das Gespräch an. Sein Freund Paul meldete sich. Seine Stimme klang dringend:

      „Hallo Leon, ich muss mit dir sprechen. Können wir uns im Café Baltimore

      treffen?“

      Leon war überrascht, er kannte Paul mit einem solch eindringlichem Ton nicht.

      Er sagte zu. Leon nahm seine Jacke von der Garderobe, griff zu seinen Schuhen und nahm die Schlüssel an sich. Wie er die Wohnung verließ, schloss er wie gewöhnlich

      zweimal ab. Der Treppenflur war um die Mittagszeit still und leer. Kaum jemand war um diese Zeit zu sehen. Er lief gemütlich den Weg zum Café rüber. Wie er am Zeitungsladen vorbei kam, wurde sein Blick förmlich auf die Titelnachricht einer Tageszeitung gezogen. Ein beklemmendes Gefühl überkam ihn. Er kaufte sich die Zeitung und las den Artikel direkt vor Ort. Das durfte nicht wahr sein, dachte er. Was er las, schockierte ihn. Denn der gestrige Traum war doch noch wahre und schonungslose Realität geworden.

      „ÜBERFALL AUF STÄDTISCHE BANK“

      las er und darunter ein paar Details darüber. Es lief alles genauso ab, wie in seinem Traum vor ein einigen Tagen. Ein Mann kam ums Leben und andere Passanten wurden mit Schockzustand, ins Krankenhaus eingeliefert. Aber sie gingen ohne Verletzungen, aus der Geschichte hervor. Auch eine Frau, die offensichtlich den Tod ihres Zwillingsbruders rächen wollte und sich dabei auf einen der Bankräuber stürzte, wurde mit einer leichten Verletzung noch am Unfallort behandelt. Wie die Polizei außerdem mitteilte, sei sie die einzige Zeugin. Niemand sonst hätte angeblich das Gesicht des mutmaßlichen Anführers sehen können. „Wie in meinem Traum“, flüsterte Leon. Er faltete das Blatt zusammen und nahm den Weg zum Café wieder auf. Er dachte über diese Schlagzeile nach und welche Rolle seine „Vision“ dabei spielen könnte. Die Fragen häuften sich in seinen Gedanken, doch er fand keine Antworten darauf.

      Wie war so etwas nur möglich?

      Ein Zeichen?

      Wollte ihm damit jemand etwas deuten?

      Die