Sebastian Görlitzer

Sammelband


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und schaute sich suchend um. Paul saß an einem der hinteren Tische, versunken in einer Zeitung. Leon setzte sich Paul gegenüber und begrüßte ihn. Dieser schaute erschöpft zu seinem Freund auf und begann das Gespräch ohne zu zögern zu beginnen:

      „Ich hab leider nicht viel Zeit, ich muss nachher wieder zurück zum Revier.

      Es wäre aber wichtig, dass wir uns unterhalten.“

      Leon nickte und suchte nach der Bedienung. Die erschien als er seine

      Hand hob, um seine Anwesenheit zu verkünden.

      „Was kann ich Ihnen bringen?“

      Fragte diese freundlich. Leon bestellte einen Latte Macchiato mit

      viel Schaum, so wie er ihn mochte. Paul schaute ihn unterdessen die ganze Zeit skeptisch an. Diesen Blick kannte Leon von seinem Freund überhaupt nicht. Aus begrenzten Zeitgründen wartete nicht, bis Leons bestelltes Getränk gebracht wurde, sondern fuhr mit dem Gespräch fort. Er wies auf die Zeitung, die Leon auf dem Weg zum Café mitgebracht hatte und sprach ihn darauf an:

      „Wie ich sehe, hast du dir die heutige Zeitung bereits geholt. Dann bist du

      informiert und ich muss nicht ganz von vorn beginnen.“

      Leons Blick wanderte auf die Zeitung neben sich.

      Und unbeirrt bestätigte er Pauls Vermutung:

      „Ja, die habe ich gerade beim Kiosk gekauft, da mir die Titelnachricht

      ins Auge fiel. Darum geht es, richtig?“

      Der Kommissar rührte seit Leons Anwesenheit seinen Kaffee wiederholt durch.

      Offenbar versprach er sich so, seinen Kaffee länger warm zu halten oder aber seine Nervosität zu unterdrücken. Als er Leons prüfenden Blick endlich wahrnahm, legte er den Teelöffel auf der Untertasse ab und setzte das Thema fort:

      „Ganz genau darum geht es. Wie du sicher gelesen hast, wurde die Bank

      gestern Nachmittag überfallen. Wenige Minuten nachdem wir telefoniert hatten.“

      Leon nickte verständnisvoll und sah Paul dabei ins Gesicht. Auf seiner Stirn

      bildeten sich Schweißtropfen, denn obwohl er direkt unter einem der vielen

      Ventilatoren saß, war es im Bistro übertrieben warm. Er fragte Paul anschließend:

      „Habt ihr schon Hinweise oder die Typen erwischen können?“

      Dieser schüttelte den Kopf und antwortete:

      „Noch nicht, doch das wird meinen Kollegen gelingen. Ich wollte dich wegen

      deines Traumes befragen. Möglicherweise könnte es für uns von wichtiger Bedeutung sein.“

      Leon willigte mit einem erneuten kurzen Nicken ein.

      Paul suchte in seiner Jackeninnentasche nach einem Notizblock und einem

      Kugelschreiber, legte alles vor sich auf den Tisch, um bereit zu sein, jedes noch so kleine Detail zu notieren. Und fing mit der Befragung an:

      „Was genau konntest du sehen? Beachte bitte, dass jede Kleinigkeit für uns von größter Bedeutung sein könnte.“

      Leon schilderte seinen Traum präzise und so wie er ihn erlebt hatte.

      An jede Einzelheit konnte er sich auf einmal wieder erinnern.

      Paul der sich alles aufschrieb, hörte ihm aufmerksam zu. Gelegentlich fragte er nach weiteren Hinweisen, die Leon vergessen haben könnte zu erwähnen.

      „Wie war der Körperbau der Typen?“

      Leon dachte kurz nach… um dann mit seiner Beschreibung fortzusetzen:

      „Einer von diesen Typen war kräftig, mit breiten Schultern und protzigen

      Oberarmen. Er war nicht dick. Eher so als würde er seinen Körper regelmäßig

      trainieren. Er hatte dunkelbraune kurze Haare. Wobei man an den Seiten

      schon graue Stellen sehen konnte. Seine Augenfarbe konnte ich nicht sehen, aber die starken Augenringe, als ob er in letzter Zeit mehrere Nächte durchgemacht hätte.

      Und der Andere war vom Körperbau her, das ganze Gegenteil. Normal bis schlank und ein paar Zentimeter kleiner. Sein Gesicht blieb jedoch hinter einer Maske verdeckt.“

      Leon beendete seine Personenbeschreibung, denn mehr fiel ihm nicht ein. Paul bedankte sich für das Treffen und seine Unterstützung und so verabschiedeten sie sich vorerst. Leon versprach, weiterhin zur Verfügung zu stehen, wann immer man ihn benötigte. Mit einem freundschaftlichen Schulterklaps verließ ihn Paul und fügte noch hinzu:

      „Ich denke, du hast uns mit deiner Aussage ein ganzes Stück weitergebracht.

      Alles Weitere werden wir sehen. Ich danke Dir!“

      Leon setzte sich wieder auf seinen Platz, trank seinen Kaffee aus und trat dann

      ebenfalls den Heimweg an.

      Kapitel 5

      Gespannt lauschte die Klasse der Erzählung und die aktiven Schauspieler dieses Theaterstücks spielten ihre Rollen gut. „Fabelhaft!“, lobte Frau Hubert jedes Mal.

      Dabei fiel ihr nicht auf, dass Sven inzwischen eingeschlafen war. Das fiel auch Monika nicht auf, die wieder neben ihm saß. Und so las Frau Hubert weiter: Auf dem Heimweg folgte Leon gedankenverloren der Straße. Er dachte noch immer an das Gespräch mit Paul. Dabei überlegte er, ob er vielleicht etwas vergessen hatte. Ihm fiel jedoch nichts weiter ein, was von Bedeutung hätte sein können. Als er die halbe Strecke des Weges hinter sich gelassen hatte, stieß er plötzlich mit einer Frau zusammen. Sie war bildhübsch, hatte schulterlange dunkelbraune Haare und ihm fiel vor allem ihre besondere Ausstrahlung auf. Wie hypnotisiert stand er vor ihr. Als er realisierte, dass sie noch immer voreinander auf der Straße standen, bemerkte er schließlich, dass es ihr wohl ähnlich mit ihm ging. Sie entschuldigten sich gleichzeitig und bückten sich, um die Handtasche und die heraus gefallenen persönlichen Gegenstände, aufzuheben. Dabei tauschten sie vereinzelt schüchterne Blicke aus. Ihre ausdrucksstarken, in der Frühlingssonne grün schimmernden und

      doch traurigen Augen sahen ihn in diesem Moment noch einmal flüchtig an. Beinahe hatte er den Eindruck, als wäre es ihr unangenehm, dass sie von ihm angeschaut wurde. Doch hätte er zu gern gewusst, was sie gerade dachte. Sie kam ihm so bekannt vor, Als hätte er sie vor kurzer Zeit schon mal irgendwo gesehen. Nach einiger Zeit waren alle Habseligkeiten aus der Tasche eingesammelt und wieder im Besitz ihrer Eigentümerin. Sie richtete verlegen ihr schwarzes Kleid und er wischte sich verlegen eine Strähne seines dunklen Haares aus dem Gesicht. Jetzt fiel es ihm wieder ein, sie erinnerte ihn an seinen Traum. Denn sie war diejenige, die er in seiner Vision gesehen hatte. Die Zwillingsschwester des beim Überfall Erschossenen. Sie fragte nach einigen Minuten wie sie von ihm angestarrt wurde:

      „Kennen wir uns?“

      „Nein, also, ich bin mir nicht sicher“, antwortete Leon vorsichtig.

      Auf gar keinen Fall war es der richtige Zeitpunkt, ihr von seinem Traum zu erzählen. Dieser würde sie nur unnötig verunsichern.

      „Ich würde Sie gern auf einen Kaffee einladen. Gern auch bei mir. Wir stehen zufällig vor meiner Haustür“, bemühte er sich die Situation zu entspannen.

      Auch wenn es keinesfalls ihre Art war, sich so schnell von jemandem, den sie nicht kannte, einladen zu lassen, nahm sie sein Angebot dankend an. Leon war ein interessanter Mann. Das spürte sie und da ihr seine ruhige und zuvorkommende Art gefiel, ging sie mit ihm. Ihr Gespräch wurde nur vom Treppensteigen unterbrochen. Sie unterhielten sich angeregt in der Wohnung weiter und fanden ständig neue Themen. Vivien, so hieß die Unbekannte, erzählte ihm, dass sie vor einigen Tagen aus Irland angereist war. Dass sie gerade vom Reisebüro kam, um ihre Rückreise zu buchen, verschwieg sie ihm bewusst. Trotz der gegebenen Umstände fiel es ihr leicht, die