Nina Lührs

Nela Vanadis


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      „Aha. So könnt Ihr Eure Füße eine Weile ausruhen“, bemerkte er mit einem charmanten Schmunzeln, ehe er sich wieder in Bewegung setzte.

      „Danke“, brachte Nela nur heraus. Jarick hatte eine unglaublich charismatische, aber auch eine kriegerische, raue Ausstrahlung.

      Nach kurzer Zeit ließen sie den Eichenhain hinter sich und erreichten einen breiten Weg mit Huf- und Wagenspuren, der sich durch eine eindrucksvolle Waldlandschaft zog. Immer wieder wanderte Nelas Blick zu dem geheimnisvollen Wikinger. Stets fragte sie sich, was er mitten in der Wildnis in solch einem Kostüm verloren hatte?

      In der Ferne tauchten die Dächer einer Stadt auf. Schleppend kamen sie vorwärts, da sie Pfützen und tiefem Morast auswichen. Nela spürte den Geruch von Regen in der Luft, aber die Regenwolken waren bereits weitergezogen.

      Während sie das Stadttor von Aikoloh passierten, kam Nela nicht aus dem Staunen heraus. Die mondänen Gebäude und Anlagen vereinten die antiken und mittelalterlichen Baustile zu einer einzigartigen Fassade.

      „Ihr solltet Euch unauffällige Gewänder zulegen. Ich bringe Euch zum Schneider“, riet Jarick.

      Ihr Blick schweifte herum, als das Pferd die befestigte Straße entlangschritt. Die Hufe erzeugten ein rhythmisches Aufschlagen. Es herrschte ein geschäftiges Treiben in diesem Ort. Die Gewänder der Leute war keiner bestimmten Epoche zu zuordnen. Nur eines war offensichtlich, dass niemand sich wie Nela und Tristan kleidete. Was sollte sie jetzt nur denken oder glauben? Hatte Tristan mit allem Recht? War sie wirklich in einer Parallelwelt gelandet, die sich Asgard nannte? Nein, das war hier bestimmt nur eine gespielte Zeitreise in die unterschiedlichen Epochen der Menschheitsgeschichte. Ein Museumsdorf für Geschichtsverliebte.

      Unvermittelt stoppte Jarick den Rappen und kam zu Nela herum. „Wir sind angekommen.“ Wieder fasste er um ihre Hüften, hob sie herunter und setzte sie sanft auf ihre schmerzenden Füße. Tristan trat neben sie.

      „Es war mir eine Ehre, Euch kennen gelernt zu haben“, verabschiedete Jarick sich von den beiden, anschließend führte er sein Pferd wieder auf die belebte Straße. Ein kleiner, schmächtiger Mann mit kurzen Haaren eilte ihm hinterher. Sein Gang war nicht so anmutig wie Jaricks.

      „Huscarl! Huscarl!“, rief er ihm hinterher, aber der Angesprochene reagierte nicht. „Huscarl! Huscarl!“ Schließlich hielt Jarick doch in seiner Bewegung inne, und der Mann schloss zu ihm auf.

      „Lass uns passende Kleidung besorgen“, meinte Tristan müde, während Jarick mit dem Mann unterhaltend die Straße entlangschlenderte. Zaudernd wandte Nela den Blick ab und betrat mit ihrem Schicksalswächter die Schneiderei.

      Aikoloh

      „Seid gegrüßt! Was kann ich für Euch tun?“, begrüßte sie der Schneider musternd. „Ah, Besucher aus Midgard.“

      Nela schaute sich um, währenddessen Tristan mit dem Mann sprach. Wunderschöne Kleider aus verschiedenen Stoffen und Farben lagen auf einem Tisch ausgebreitet: Seide, Samt, Leinen.

      „Wir brauchen schlichte Gewänder. Akzeptiert Ihr Geld aus unserer Welt?“

      „Nein. Aber gleich nebenan ist eine Geldstube. Dort könnt Ihr es tauschen“, erwiderte der Schneider.

      Daraufhin wandte sich Tristan Nela zu, sogleich ließ er sie leise wissen: „Ich werde schnell Geld wechseln.“ Nur widerwillig stimmte sie zu, denn der Gedanke gefiel ihr gar nicht, hier alleine auf ihn zu warten. Alleine. Schutzlos vor den Birgern.

      „Petunia“, rief der Schneider nach hinten, „wir haben Kundschaft.“ Augenblicke später erschien eine rundliche Frau. Ihre Tunika reichte bis zum Boden, gekonnt hatte sie ihre dunklen Haare zu einem Knoten hochgesteckt. Geschult betrachtete sie Nelas Figur und kam langsam auf sie zu.

      „Wir brauchen etwas Schlichtes“, informierte der Schneider seine Frau. Während sie Kleidungsstücke aus den Regalen suchte, streifte ihr Blick Nela immer wieder maßnehmend.

      Nach kurzer Zeit kam Tristan zurück in den Laden. Die Frau des Schneiders ergriff ihre Hand, ehe sie Nela zu einem hölzernen Wandschirm führte. „Meine Liebe“, sagte Petunia eifrig, „probiert doch mal diese Gewänder an.“ Sie legte die Kleidungsstücke auf eine Ablage, anschließend stellte sie ein Paar feste Lederstiefel auf den Boden. Beim Herausgehen fügte sie noch freundlich hinzu: „Wenn Ihr Hilfe braucht, gebt Bescheid.“

      Nun stand Nela alleine hinter dem Paravent und schaute in den großen Wandspiegel. Zwei müde Augen starrten in das abgekämpfte Gesicht. Dreck- und Grasflecke übersäten ihr Kleid. Obendrein war ihre helle Strickjacke ruiniert.

      Kraftlos hob sie den Riemen ihrer Tasche mit einer Hand über den Kopf, ließ sie auf den Boden herunter, danach folgten unachtsam ihre Kleidungsstücke. Neugierig schaute sie sich die mittelalterlichen Gewänder an. Schließlich probierte sie den schlichten, dunkelblauen Wickelrock, der ihr bis zu den Knöcheln reichte, und ein im gleichen Farbton eng anliegendes figurbetontes Oberteil mit weiten Ärmeln, an. Zufrieden betrachtete sie sich im Spiegel, bevor sie ihre schmutzigen Kleidungsstücke zusammensuchte, um sie in ihre Umhängetasche zu stopfen. Anschließend schlüpfte sie in die Lederstiefel, die erstaunlicherweise wie angegossen passten.

      „Ihr seht bezaubernd aus“, stieß Petunia gleich erfreut aus, als sie Nela sah. Mit einem Lächeln bedankte sie sich für das nette Kompliment. Flüchtig schaute sie zu Tristan, der eine schlichte, dunkelbraune Lederhose und ein weißes Leinenhemd trug. Über seinen Schultern hing ein dunkelbrauner Mantelumhang.

      „Wie viel schulde ich Euch?“, fragte Tristan den Schneider mit einem unterdrückten Gähnen.

      „Zwei Goldmünzen“, erwiderte dieser, während Petunia der Walküre einen dünnen, dunkelblauen Umhang reichte.

      „Gibt es in dieser Stadt ein Ordenshaus?“ Tristan gab dem Schneider die Münzen.

      „Nein. Früher gab es eine Elhazenburg im Eichenhain, aber die wurde schon vor Jahrhunderten zerstört. Das nächste Ordenshaus befindet sich in Nemida. Die Stadt liegt direkt an der großen Hauptstraße Richtung Norden.“

      Als Nela mit Tristan die belebte Straße entlangging, wanderten ihre Gedanken zu dem Wikinger, der sie und ihren Schicksalswächter vor den Wölfen rettete. Ein Rudel Wölfe! Sie konnte es immer noch nicht fassen. Was bewog diese scheuen Tiere dazu, Menschen anzugreifen? Die Wölfe litten weder Hunger noch hatten sie sie in irgendeiner Form bedroht.

      „Wir kaufen uns zuerst zwei Pferde, damit wir komfortabel zum Ordenshaus in Nemida reisen können, wir stärken uns und suchen uns ein Quartier für die Nacht“, schlug Tristan vor. Zustimmend nickte Nela. Es war sinnvoll, sich zuerst eine Fluchtmöglichkeit zu beschaffen, falls die Birger sie hier ausfindig machten.

      Kurzerhand sprach Tristan einen Passanten an. „Verzeiht, könntet Ihr mir sagen, wo ich in dieser Stadt zwei Pferde kaufen kann?“

      „Beim Schmied. Immer weiter die Straße entlang“, erwiderte der Bauer gestikulierend.

      „Wusstest du, dass wir länger unterwegs sein werden?“, fragte Nela neugierig nach einer Weile. Erklärend zeigte sie auf seine Reisetasche.

      „Nein. Das ist meine Notfalltasche, die ich immer mit mir führe.“

      Unvermittelt riss er an ihrem Arm, um sie schnellstens von der Straße herunterzuziehen. Erschrocken stieß sie einen Laut aus, als ein ausschlagender Rappe an ihnen vorbeigaloppierte. Sofort erkannte Nela den schwarzen Hengst. Suchend blickte sie sich nach seinem Besitzer um, folglich fand sie ihn vor der überdachten Schmiede, hinter der sich eine große Scheune erhob. Rötlich-orange leuchtete die Glut in der Feuerstelle, neben der ein Amboss stand. Hammer in verschiedenen Größen sowie andere Werkzeuge lagen herum oder hingen an der Holzwand.

      „Euer Hengst ist ein schwarzer Teufel“, regte sich der vollbärtige Schmied mit seiner breiten Lederschürze auf. Im ersten Moment wirkte er ruppig, aber er hatte gütige Gesichtszüge.

      „Ihr seid nur nicht