Lina Nordmeer

Move to Oslo


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großen Blonden den Arm reichte, damit diese sich bei ihm einhaken konnte. Sie fuhr los, nach Hause, so schnell sie konnte. Tatjana weinte und war total fertig. Sie machte sich Vorwürfe.

      Vielleicht hatte sich Lars einen Ersatz gesucht, weil sie allein in den Urlaub fuhr. „Er muss ganz schön deprimiert deswegen sein“, dachte Tatjana. Als sie nach Hause kam, klemmte sie sich gleich das Telefon ans Ohr, um mit Kati zu reden.

      Sie erzählte ihr alles und beschloss, dass Kati sie in einer Stunde mit dem Wohnmobil abholen sollte. Sie wollte nur noch weg und schrieb Lars einen kurzen Brief, in dem stand: Bin schon früher weggefahren, wirst mich ja nicht besonders vermissen! Bis in zehn Tagen, Tatjana. Ach ja, ich melde mich, wenn ich in Oslo angekommen bin – kümmere dich bitte gut um Gregor!

      Kati stand wenige Minuten später vor dem Haus. Das bunte Wohnmobil war kaum zu übersehen. Tatjana nahm ihren Koffer und ihren Rucksack und verabschiedete sich noch von Gregor. Katrin umarmte Tatjana fest und nahm ihr das Gepäck ab. Sie stellte ihr Navigationsgerät an und ließ sich die Route nach Norwegen bis Oslo berechnen. Es waren genau 1.326 Kilometer bis zu ihrem Glück, jedenfalls eine lange Strecke. Tatjana begutachtete erst einmal das Wohnmobil von innen.

      Es war echter Siebziger-Jahre-Style, in orange-braunen Farbtönen. Katrins Eltern waren in den 68ern stehengeblieben, totale Spät-Hippies. Tatjana war sich sicher, dass irgendwo unter dem Bett oder hinter dem Kühlschrank noch ein Joint rumliegen würde. Aber all das empfand Tatjana nicht als schlimm, sondern eher als befreiend. Katrin übernahm dann das Steuer, sie merkte, dass ihre Freundin mit den Gedanken noch ganz woanders war. Tatjana legte sich auf das runde, große Bett mit den weißen Lammfellen und hörte ihr Lieblingslied „With you, with me“ von Mortens neuer CD.

      Sie dachte dabei an Lars, ob er sich bald bei ihr melden würde und wie es wohl mit ihnen beiden weitergehen sollte. Sie wusste nicht, ob sie ihm einen Seitensprung jemals verzeihen könnte, aber sie liebte ihn doch so sehr und spürte Wut und Angst gleichzeitig in sich. Ihre Gedanken drehten sich in ihrem Kopf wie ein Kettenkarussell. Um sich ein wenig abzulenken, nahm sie sich eine Frauenzeitschrift von dem Stapel, den Kati ihr zum Lesen neben das Bett gelegt hatte. Prompt stand doch gleich auf der ersten Seite ein Interview mit Morten Harket, und das konnte sich Tatjana natürlich nicht entgehen lassen und las es konzentriert. Morten meinte, wenn er eine Frau sehen würde, schaue er, ob sie gesund aussähe und im Gleichgewicht mit sich selbst sei. Das wäre für ihn attraktiv. Dieser Satz imponierte Tatjana sehr.

      Als Katrin kurz vor Hamburg auf einen Rastplatz fuhr, weckte sie ihre Freundin aus einem tiefen Schlaf, mit Kaffeeduft und leckeren, belegten Brötchen, die sie unterwegs geholt hatte, während Tatjana tief und fest träumte, wahrscheinlich von Morten. Die beiden frühstückten im Wohnmobil, draußen regnete es in Strömen.

      Katrin fragte Tatjana, wie es ihr gehen würde. Tatjana sagte daraufhin: „Ach, Kati, ich weiß es momentan selbst nicht. Lars hat sich bisher noch nicht gemeldet, was ich von ihm so nicht kenne. Traust du ihm zu, dass er mich betrügen könnte?“

      Katrin überlegte kurz und sagte: „Ich glaube nicht! Vielleicht war das ja nur eine Arbeitskollegin und mehr nicht.“

      Tatjana konnte nicht mehr klar denken, sie war zu sehr enttäuscht von Lars. Irgendwann wechselten sie dann lieber das Thema, um nicht zu viel zu grübeln, und sie fragte Katrin, wie es denn eigentlich beim Frauenarzt gewesen sei. Katrin hatte seit einigen Wochen das Gefühl, sie könne einen kleinen Knoten in ihrer Brust fühlen. Kati wurde erst sehr ruhig und erzählte dann Tatjana, dass der Arzt etwas noch Undefinierbares gefunden hat. Sie sollte in 14 Tagen operiert werden, weil der Arzt eine Gewebeprobe entnehmen wollte, um dementsprechend weitere Schritte einzuleiten.

      Katrin erzählte das so gefasst, als würde sie die Geschichte einer Freundin weitergeben. Tatjana stiegen Tränen in die Augen und sie bekam Gänsehaut. „Meine Liebe, und das sagst du erst jetzt, wenn ich das gewusst hätte, wären wir doch zu Hause geblieben!“ Tatjana umarmte Katrin und hatte ein schlechtes Gewissen, weil sie die ganze Zeit ihrer Freundin nur ihre dämlichen Selbstfindungsprobleme vorgeplappert hatte, ohne zu merken, dass es ihrer Freundin gar nicht gut ging.

      Katrin reagierte sehr gelassen und erklärte Tatjana, dass sie froh sei, jetzt erst mal abgelenkt zu sein, vor der Operation. Sie wollte dann auch nicht mehr darüber reden.

      Tatjana übernahm das Steuer, damit Katrin sich ein wenig ausruhen konnte. Während sie Richtung Flensburg fuhr, bekam sie eine SMS. Sie war tatsächlich von Lars. Tatjana war aufgeregt und fuhr 200 Meter weiter in eine kleine Parkbucht.

      Katrin wurde wach, sie hatte nicht so einen tiefen Schlaf wie ihre Freundin. Tatjana zeigte Katrin, was Lars geschrieben hatte. „Hallo Tatjana, ich hoffe ihr kommt gut voran, pass gut auf dich auf und meldet euch mal, wenn ihr angekommen seid. Übrigens, Gregor geht es gut, liebe Grüße, Lars.“

      Katrin war erstaunt, wie förmlich Lars schrieb. Tatjana wusste nicht, was sie machen sollte. Wäre es besser, die SMS zu ignorieren, oder sollte sie zurückschreiben? Auf der einen Seite hatte sie Sehnsucht nach Lars, und auf der anderen Seite wurde ihr fast schlecht vor Wut, weil sie das Bild vom gestrigen Abend nicht aus dem Kopf bekam.

      Katrin gab ihr den Tipp, sich erst mal nicht zu melden. „Frau muss Mann zappeln lassen!“, sagte sie. Sie wollte Tatjana ein bisschen den Rücken stärken.

      Tatjana trifft Morten

      Es gibt Dinge, die du mit den Augen nicht sehen kannst

      Du musst sie mit dem Herzen sehen,

      und das ist das Schwierige daran.

      Wenn du zum Beispiel in dein Inneres blickst

      und spürst,

      dass dort ein junges Herz schlägt,

      werdet ihr beide mit deinen Erinnerungen

      und seinen Träumen losziehen

      und einen Weg durch jenes Abenteuer,

      das man Leben nennt, suchen,

      stets bestrebt, das Beste daraus zu machen.

      Und dein Herz wird niemals müde werden

      oder alt …

      Sergio Bambaren

      Kurz nachdem sie den Elbtunnel in Hamburg hinter sich gelassen hatten und nach einem langen Stau von über einer Stunde endlich weiterfuhren, wurden sie auf einen winkenden Mann im Anzug aufmerksam, der neben seinem Wagen stand. Der Motor seines Wagens qualmte. Katrin fuhr sofort rechts heran.

      „Lass uns gleich die Feuerwehr und den Notarzt rufen, vielleicht ist ja auch jemand verletzt!“ Tatjana mochte keine Unfälle und hatte Angst vor schrecklichen Bildern, die sie vielleicht dort erwarteten.

      „Da ist noch ein Mann, glaube ich … dann sollten wir vorsichtig sein, nicht dass hier ein Spiel getrieben wird …!“ Katrin war gleich wieder vorsichtig und wollte hundertprozent sichergehen, dass sie nicht überfallen würden, also beschloss sie, vorsichtshalber schon einmal die Polizei zu informieren.

      „Jetzt warte doch mal, wir wollen doch die Kirche im Dorf lassen, Kati … wir schauen nach und entscheiden dann“, beruhigte Tatjana ihre Freundin.

      Sie stellten ihr Wohnmobil in größerem Abstand von dem dunklen Van mit getönten Scheiben ab und gingen vorsichtig zu dem großen Mann im dunkelgrauen Anzug hin. „Was ist denn passiert? Wie können wir Ihnen helfen?“, fragte Katrin.

      „Gibt es Verletzte, brauchen wir einen Notarzt?“ Tatjana war besorgt.

      „Nein, wir sind nur zu zweit, bei uns ist alles in Ordnung … Wir müssen nur ganz schnell zum Flughafen, die Maschine geht in einer halben Stunde, und mit defektem Motor haben wir ein Problem … Können Sie uns vielleicht dorthin fahren?“ Der große Mann war sehr gut gebaut, hatte eine getönte Sonnenbrille auf und machte auch sonst einen sehr gepflegten Eindruck.

      Katrin zögerte aber trotzdem, sie nahm nicht gern zwei wildfremde Männer in ihrem