Lina Nordmeer

Move to Oslo


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sie waren immer füreinander da.

      Wie abgemacht, stand Katrin um Punkt fünf Minuten nach zwölf an Tatjanas Krankenbett mit einem eisgekühlten Piccolo und den Lieblingspralinen ihrer Freundin. „Hi meine Arme, erzähl mal, wie geht es dir?“, fragte Katrin.

      „Tja, wie einem ausgebluteten Lamm vielleicht, oder so ähnlich!“, versuchte Tatjana zu witzeln, um die ernste Situation zu entschärfen. Sie tranken – ratzfatz – das kleine Fläschchen leer und Tatjana verhaftete dabei die halbe Pralinenschachtel. Sie klagte Katrin ihr Leid, und Katrin versuchte, ihre Freundin zu trösten, so gut sie das konnte, indem sie Tatjana an die bald bevorstehende Reise nach Norwegen erinnerte. Dazu schenkte Katrin ihr noch Konzerttickets, die sie ihr eigentlich erst an ihrem Geburtstag überreichen wollte. Tatjana freute sich riesig über die Karten.

      In diesem Moment kam der Arzt herein, er wollte noch einmal nach seinem „Sorgenkind“ schauen, wie er so schön sagte.

      „Schönen guten Tag, Frau Sandberg, wie geht es Ihnen heute? Sind die Hormone wieder am richtigen Plätzchen?“, grinste Dr. Bender, was Tatjana nicht gerade als witzig empfand.

      „Sagen Sie mal, könnten Sie mich heute schon entlassen? Ich kann mich in dieser Atmosphäre hier wirklich nicht erholen, bei diesem ironischen Humor schon gar nicht!“, protestierte Tatjana.

      „Aber Frau Sandberg, wer wird denn gleich so aus dem Häuschen fahren?“ Dr. Bender schaute über seinen Lesebrillenrand auf Tatjana herab. „Ich denke, noch eine Nacht zur Beobachtung wäre ganz gut, und dann dürfen sie sich zu Hause erholen, solange sie es brauchen.“

      Katrin schaute Tatjana mitleidig an und musste dann das Zimmer verlassen, weil Dr. Bender Tatjana noch untersuchen wollte. Die Mittagspause war sowieso vorbei, und so verabschiedete sie sich gleich mit einer dicken Umarmung. „Ich ruf dich gegen Abend noch mal an!“, versprach sie Tatjana.

      Wieder zu Hause

      Der Krankenhausaufenthalt war endlich vorbei, und Tatjana musste nur noch eine Woche zu Hause bleiben und nicht zur Arbeit gehen, weil sie nicht schwer heben durfte und die Blutungen erst aufhören sollten. Zu Hause angekommen, Lars hatte sie vom Krankenhaus am Morgen abgeholt, legte sich Tatjana auf ihr rotes Sofa und schmuste erst einmal ausgiebig mit ihrem Katerchen Gregor, der schnurrte, was das Zeug hielt, und Tatjana über die Nase leckte. Lars musste dann leider wieder zur Arbeit, er hatte noch sehr viel zu tun und verabschiedete sich mit einem schlechten Gewissen. Er fragte Tatjana, ob er ihr noch etwas bringen könne, aber sie war so weit vorerst versorgt und wollte Lars außerdem nicht noch mehr zur Last fallen. Jetzt erst kam sie dazu, noch einmal alles, was in den letzten zwei Tagen passiert war, wie einen Film in ihrem Kopf abzuspielen. Es machte sie richtig wütend, dass sie ihr Baby verloren hatte, sie wünschte sich doch schon so lange ein Kind.

      Nach mehreren Stunden grübeln und heulen fasste sie einen Entschluss. Es musste einfach weitergehen, und zwar nur noch nach vorn. Sie wollte das alte „Tatjana-Modell“ abstreifen und ein neues, aufregendes anziehen, sie bekam auf einmal eine ungeheure Lust, wegzufahren, neue Menschen, Eindrücke und Kulturen kennenzulernen. Außerdem hatte sie da noch einen großen Wunsch, seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr, sie wollte Morten Harket persönlich kennenlernen! „Warum soll das eigentlich nicht klappen?“, dachte Tatjana und war fest entschlossen, ihren Wunsch in die Realität umzusetzen. Dieser Mensch faszinierte sie einfach, sie hatte das Gefühl, auf einer Wellenlänge mit ihm zu sein, obwohl sie ihn noch nie privat getroffen hatte.

      Tatjana Sandberg hatte oft solche Intuitionen. Katrin war das manchmal suspekt, sie konnte mit derartigen esoterischen Vorahnungen nichts anfangen. Tatjana wünschte sich ganz fest beim Universum, Morten zu treffen, mit ihm zu reden und zu philosophieren, und dass das geschehen würde, daran glaubte sie. Kurz drauf rief sie bei Kati im Büro an. „Hallo Kati, du, kannst du mir Backstage-Karten für Oslo besorgen? Ich muss ihn unbedingt sehen und mit ihm reden.“

      „Hi Tati, bist du schon daheim? Ääh … wie Karten, du meinst für Mortilein? Okay, ich versuche auf jeden Fall mein Glück! Was sagt Lars dazu? Ist er denn nicht eifersüchtig?“, fragte Katrin erstaunt. Aber sie kannte ihre Freundin, was die sich in den Kopf gesetzt hatte, war schwer wieder aus ihr heraus zu bekommen.

      Tatjana googelte Morten wieder mal nach dem Telefonat, sie wollte alles, was sie finden konnte, über ihn wissen. Mit Lars würde sie erst mal nicht darüber reden, er könnte das gar nicht nachvollziehen.

      Tatjana brauchte jetzt eine Ablenkung, ein neues Ziel, um loszulassen, was sie schon längst verloren hatte – ihr Baby!

      Lars kam gegen 18 Uhr müde vom Büro nach Hause und gab seiner Frau einen liebevollen Kuss.

      „Hi, wie war dein Tag auf der Arbeit?“, fragte Tatjana noch etwas verschlafen, den Block, auf dem die Notizen über Morten waren, noch fest mit ihren Armen umschlungen.

      „Na, was hast du denn da geschrieben? Einen Liebesbrief an mich?“, fragte Lars neugierig. Doch das hätte er besser nicht gefragt.

      Denn nun musste Tatjana doch von ihren Plänen berichten. Sie wollte Lars nicht anlügen.

      Schließlich kam es zu einem Streit. Lars wusste zum einen nicht, dass Tatjana vorhatte, im September mit Kati und dem Wohnmobil von deren Eltern nach Norwegen zu fahren, noch wusste er von dem Solo-Konzert von Morten in Oslo. Als er die Notizen sah und Tatjana ihm erklärte, dass sie unbedingt mit Morten Harket zusammentreffen wollte, verstand Lars die Welt überhaupt nicht mehr.

      „Tatjana, was ist eigentlich los mit dir? Wir haben gerade unser Baby verloren, und du rennst einem Jugendtraum hinterher. Was versprichst du dir bitte davon?“, schimpfte Lars mit Tatjana.

      „Ach, du verstehst das nicht, das war mir ja so was von klar. Ich muss eben auch damit fertig werden und suche einfach einen Weg, um herauszukommen aus diesem Albtraum!“, zickte Tatjana böse zurück.

      „Aber das ist doch keine Lösung, das ist pubertäres Weibergeschwätz. Du wirst in vier Tagen 36 Jahre alt, Schatz, wach auf, und versuche lieber, etwas Sinnvolles zu machen!“, versuchte Lars verzweifelt, auf sie einzureden, doch er merkte, dass er keine Chance hatte gegen diesen Dickschädel, den Tatjana übrigens zweifellos von ihrem Vater geerbt hatte.

      Sie ging, ohne ein Wort zu sagen, ins Schlafzimmer und hörte Musik auf ihrem Mp3-Player, natürlich MORTEN!

      Tränen liefen ihr über die Wangen bei ihrem Lieblingslied „With you with me.“ Sie wollte Lars auf keinen Fall verlieren, aber sie musste wenigstens EINEN Traum in ihrem Leben verwirklichen. Sie wollte vergessen, was geschehen war. Warum konnte das Lars nicht verstehen?

      Sie liebte ihn doch, das musste er doch spüren! Was war denn nur in den letzten Tagen geschehen?

      War das die Magie ihres bevorstehenden 36. Geburtstags? „Scheiß Magie!“, schluchzte sie in sich hinein. „Ich will gar keinen Geburtstag haben!“

      Mit diesem Satz schlief sie ein. Am nächsten Morgen stand Lars mit ihrem Lieblingstee vor dem Bett an Tatjanas Seite. „Guten Morgen, Schatz! Sorry, wegen gestern, war angespannt und verstehe immer noch nicht, was du bezweckst mit deinen Plänen! Aber tu, was du nicht lassen kannst, ich will dir nicht im Weg stehen, dafür liebe ich dich zu sehr!“ Lars warf ihr bei diesen Worten einen traurigen Blick zu.

      „Oh Lars, du bist so süß! Danke … Ich liebe dich so sehr!“, brachte Tatjana mit weinerlicher Stimme hervor. Sie umarmten sich beide und küssten sich dabei leidenschaftlich.

      Lars streichelte Tatjana über ihre langen braunen Haare und küsste ihre Brüste.

      Er hätte am liebsten mit ihr geschlafen, aber er wusste, dass es noch zu früh dafür war, wegen der Blutungen. Tatjana flüsterte mit heiserer Stimme in Lars’ Ohr: „Bald holen wir alles nach, mein Liebster, das wird ein Feuerwerk, das verspreche ich dir!“

      Der magische Moment

      Es war Samstag, morgens um neun Uhr klingelte das