Lina Nordmeer

Move to Oslo


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zu einem zu einem Hörkrimiabend nach Mannheim ins Planetarium ein. Lars hatte den Auftrag, die beiden Freundinnen und Tatjanas Bruder Chris bei Katrin mit seinem Auto abzuholen. Als Tatjana damals ins Auto einstieg, wurde Lars von ihrer Ausstrahlung und ihrem Duft, der an einem zarten Sommerwind erinnerte, ganz nervös. Der Abend endete in einer Cocktailbar in Frankfurt, gleich um die Ecke von Tatjanas damaliger Zweizimmerwohnung.

      Lars begleitete Tatjana noch nach Hause und verabschiedete sich bei ihr mit einem Kuss auf die Wange, womit er sie sehr beeindruckte. Er hatte nicht sofort die Gunst der Stunde genutzt, um bei ihr im Bett zu landen. Die beiden verliebten sich noch an diesem Abend.

      Am heutigen Abend um viertel nach acht klingelte es an der Haustür. Lars schlüpfte noch schnell in seine bequeme Jogginghose und empfing Chris, der strahlend mit einem riesengroßen Blumenstrauß in der einen Hand und einer Flasche Rotwein in der anderen an der Tür stand. Er hauchte Lars links und rechts ein Küsschen auf die Wange und tänzelte, als wäre er auf einem roten Teppich auf irgendeiner Hollywood-Gala, ins Wohnzimmer hinein, dabei hinterließ er im Flur eine süßliche Duftwolke, von der es Lars fast schwindelig wurde.

      „Schatz, wo bist du? Dein Bruderherz ist da!“, rief er durch das Haus.

      Tatjana war noch im Bad und trocknete sich die Haare mit dem Handtuch ab, sie war mal wieder, wie immer, nicht rechtzeitig fertig geworden und hastete mit Bademantel und ihren warmen Fellpantoffeln aus dem Badezimmer in Richtung Wohnbereich.

      „Hi Chris, schön, dich mal wieder zu sehen, nette Frisur, neu?“ Tatjana lächelte und umarmte ihren Bruder herzlich. Die beiden verstanden sich meistens ganz gut, aber sie durften sich nicht zu oft sehen, sonst gab es irgendwann die üblichen familiären Diskussionen, weil Tatjana einfach immer das Gefühl hatte, dass sie das schwarze Schaf der Familie und Chris der absolute Liebling ihrer Mutter sei.

      Er konnte sich einfach alles herausnehmen, und es wurde ihm immer verziehen.

      Ihr Vater starb vor zehn Jahren an Krebs, mit ihm hatte sich Tatjana sehr gut verstanden, sie lagen auf gleicher Wellenlänge und hatten sich stundenlang über Gott und die Welt unterhalten können. Tatjana vermisste ihren Vater oft, sie fühlte sich von ihrer Mutter und ihrem Bruder nicht verstanden und auch nicht wirklich wahrgenommen. Mit Problemen konnte sie zu ihnen nicht kommen, sie hatten kein Ohr dafür, damit musste sich Tatjana abfinden, aber zum Glück hatte sie für so etwas ja ihre Freundin Katrin – und Lars.

      Chris setzte sich auf das rote Sofa mit den vielen bunten Kissen und wartete auf seinen Begrüßungsprosecco. Tatjana zog sich ihren grün-braun gestreiften Nickihausanzug an und machte sich einen Turban um ihre noch feuchten Haare. In der Küche angekommen, in der noch das völlige Chaos aus Töpfen, Pfannen und Schneebesen herrschte, öffnete sie eine Flasche eisgekühlten Prosecco und füllte damit drei Sektkelche. „Schatz, soll ich dir helfen?“, rief Lars ungeduldig.

      „Nein, bin schon unterwegs!“ Tatjana kam mit einem silbernen orientalischen Tablett, das sie vor zwei Jahren aus der Türkei mitgebracht hatte, auf dem die Sektkelche standen und eine italienische Vorspeisenplatte, ins Wohnzimmer gehastet. Sie setzte gerade ihre Lippen an das Glas mit dem eiskalten Prosecco, um einen großen Schluck zu genießen, da spürte sie einen ziehenden, krampfartigen Schmerz in ihrem Unterleib, sie musste sich setzen und den Bauch halten.

      „Hey Schatz, was ist denn los mit dir?“, fragte Lars besorgt.

      Chris kam zu seiner Schwester und wedelte ihr Luft mit einer Zeitschrift zu. „Süße, verträgst du keinen Prosecco mehr?“ fragte Chris ein wenig ironisch.

      „Ich weiß auch nicht, ich hab solche Schmerzen im Unterleib und mir wird auf einmal heiß und kalt. Heute ist irgendwie nicht mein Tag, obwohl er vor acht Jahren der schönste meines Lebens war!“

      Der Schock

      Tatjana fiel in Ohnmacht und wachte erst ein paar Minuten später wieder auf, als gerade zwei Sanitäter mit einer Trage kamen und ihr eine Infusion legten. Tatjana zitterte am ganzen Körper und stellte mit Entsetzen fest, dass sie eine nasse Unterhose anhatte, und zwischen ihren Beinen lief das Blut. Lars hielt ihre Hand und hatte Tränen in seinen dunklen Teddybär-Augen.

      „Was ist los mit mir, Lars?“, hauchte Tatjana benommen.

      Lars gab ihr einen Kuss auf die Stirn und erzählte ihr, dass sie in Ohnmacht gefallen sei. „Sie bringen dich ins Krankenhaus, Schatz. Der Arzt glaubt, dass du eine Fehlgeburt hattest.“

      „Aber ich bin doch noch nicht mal schwanger gewesen!“ Tatjana flossen die Tränen. „Wie kann das sein?“

      „Wann war Ihre letzte Periode, Frau Sandberg?“, fragte der Notarzt.

      „I… ich glaube vor acht Wochen oder so, ich hab meine Periode sehr unregelmäßig, außerdem versuchen wir schon seit fünf Jahren, ein Baby zu bekommen, und ich hatte schon verschiedene Therapien deswegen ausprobiert …“ Tatjana schluchzte und wischte sich ihre Tränen ab.

      „Bitte beruhigen Sie sich jetzt erst mal, Frau Sandberg. Wir bringen Sie jetzt in die Notaufnahme der Frauenklinik und untersuchen Sie gründlich, dann wissen wir mehr. Ihr Mann wird Sie sicherlich begleiten, oder?“ Der Notarzt schaute Lars fordernd an, um eine Antwort zu bekommen.

      „Ja, selbstverständlich fahre ich mit.“

      Chris mischte sich gleich ein. „Ja, ich natürlich auch, ich bin ihr Bruder und möchte wissen, was los ist. Oh Gott, wie schrecklich, ich rufe gleich Mum an, Süße!“

      „Nee, lass mal gut sein, Chris!“, bestimmte Lars. „Sie braucht jetzt nicht noch mehr Aufregung. Ich sag dir Bescheid, wenn du eure Mutter benachrichtigen kannst!“

      „Na gut, wenn du meinst“, kam die beleidigte Antwort von Chris zurück.

      Lars konnte Chris nicht mehr ganz so gut leiden, als er einmal einen heftigen Familienstreit mitbekommen hatte, in dem Tatjana Schuld zugewiesen bekam, obwohl sie keineswegs schuldig war.

      Tatjanas Familie hatte die Angewohnheit zu schwindeln, ohne mit der Wimper zu zucken, und wenn sie dann dabei erwischt wurden, schoben sie alles auf die anderen, die überhaupt nichts damit zu tun hatten. Lars hasste diese Eigenart und wunderte sich schon lange, dass Tatjana gutmütig immer wieder darauf hereinfiel. Da Lars seine Frau liebte, konnte er Chris diese Lügengeschichten nicht so einfach verzeihen. Tatjana zuliebe machte er oft gute Miene zum bösen Spiel, nur immer gelang ihm das natürlich auch nicht.

      „Ich liebe dich, mein Schatz! Mach dir keine Sorgen, wir schaffen das schon!“ Lars versuchte, Tatjana im Notarztwagen ein beruhigendes Lächeln zu schenken, und strich über ihre Haare.

      Doch Tatjana kannte ihren Lars sehr gut und sah in seinen Augen Angst und Besorgnis, sie fühlte sich auf einmal so schuldig und hilflos. Warum musste ihr das Leben solch einen miesen Streich spielen, hat sie nicht immer gekämpft und geglaubt, gehofft und positiv gedacht? Sie wollten doch schon so lange zusammen ein Kind, und jetzt hätte es fast geklappt … Warum das alles? „Was habe ich verbrochen? Bin ich so ein schlechter Mensch?“ Selbstzweifel quälten Tatjana.

      Sie begann sogar, an Gott und ihrem Erzengel Michael zu zweifeln, an die sie sonst so fest glaubte.

      Wird Lars sie jetzt noch lieben und sie als eine vollwertige Frau ansehen können? Tatjana wollte in diesem Moment nur noch sterben. Es war alles so furchtbar sinnlos geworden!

      „Wie soll es jetzt weitergehen?“, dachte sie verzweifelt.

      Als sie im Krankenhaus ankamen, wurde sie gleich vom zuständigen Frauenarzt untersucht.

      Lars blieb immer an ihrer Seite und hielt Tatjanas Hand, er wusste nicht, wie er ihr sonst helfen sollte, und war sehr besorgt. Er betete sogar, obwohl er nicht sehr religiös eingestellt war.

      „Sehen Sie es doch einfach mal positiv, Frau Sandberg, es hätte ja fast geklappt, oder?“ Der Arzt lächelte zu seinem klugen Spruch und Tatjana fuhr innerlich die schärfsten Krallen aus, die eine Raubkatze haben konnte, wenn sie ihrem Feind die Augen auskratzen