Lina Nordmeer

Move to Oslo


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beteuerte der weise Mann.

      „Ach, das ist aber sehr freundlich, das sie sooo … viel Verständnis für mich haben, Herr Doktor!“, krächzte Tatjana ziemlich überspitzt.

      „Meine Frau und ich wünschen uns schon so lange ein Baby, wissen Sie, Herr Doktor Bender?“

      „Ja, ich weiß, das ist alles nicht so einfach mit dem Kinderkriegen.“ Dr. Bender schaute nervös auf seine Armbanduhr und verabschiedete sich mit einem feuchten Händedruck und den Worten, dass er morgen früh bei der Visite noch mal einen Blick auf Tatjana werfen würde.

      Endlich waren sie allein. Tatjana starrte an die weiße Wand, es roch nach Desinfektionsmittel und Krankenhaus. Sie hasste diesen sterilen Geruch und diese weißen Wände, einfach alles hier.

      Tatjana wollte heim in ihr kuscheliges, bunt geblümtes Flowerpower-Bett, die Decke über ihren Kopf ziehen und erst in 100 Jahren wieder erwachen.

      Plötzlich kam Chris herein, völlig überdreht und laut polternd. „Oh, hallo Schwesterlein, wie geht es dir? Du Arme! Sei nicht so frustriert, das tut deiner Haut gar nicht gut. Du bekommst sonst 1000 Falten, meine Süße!“

      Tatjana hätte ihren Bruder am liebsten auf den Mond geschossen, ohne Rückfahrkarte. Wie konnte er sich jetzt Gedanken wegen ein paar dämlichen Falten machen?

      Das war wieder einer der Momente, in denen sie sich wünschte ein Einzelkind zu sein. Chris war dann auch nur zehn Minuten zu Besuch, er konnte die sterile Krankenhaus-Atmosphäre nicht lange ertragen und musste so schnell wie möglich wieder in seine Glitzerwelt, in der alle Menschen nur oberflächliche Gespräche führten, gestylt herumlieffen und sich in ihrer eigenen Selbstlosigkeit badeten.

      Tatjana konnte mit dieser Art Leben nicht viel anfangen, somit war sie auch froh, dass ihr Bruder bald wieder ging.

      „Lars, ich will nach Hause, bitte nimm mich mit!“, wimmerte sie, als Lars sich langsam verabschieden musste. Sie weinte so sehr, dass sie kaum noch Tränen hatte.

      Lars umarmte sie fest und liebevoll, sodass sie seinen Herzschlag hören konnte, es pochte sehr schnell.

      Tatjana hörte mit einem Mal schlagartig auf zu weinen und küsste Lars so leidenschaftlich, dass er kaum noch Luft holen konnte. Sie wollte jetzt für ihn stark sein, das hatte er verdient, sie liebte ihn so sehr und wollte ihn nicht beunruhigen. Sie wusste, wie sehr sich auch Lars ein Kind wünschte, aber er zeigte seine Enttäuschung nicht, er wollte es Tatjana nicht noch schwerer machen.

      „Gib Gregor noch einen Kuss von seiner Katzenmama, ich vermisse jetzt schon sein sanftes Schnurren, und lass ihn wissen, dass ich nicht mehr sauer wegen heute Mittag bin.“

      Tatjana küsste Lars noch einmal liebevoll und wünschte ihm eine gute Nacht. Sie musste sich sehr zusammenreißen, um nicht wieder anzufangen mit dem Heulen.

      Irgendwann geht es weiter

      Am nächsten Morgen um fünf Uhr kam die Stationsschwester herein mit einem lauten „Guten Morgen, die Damen!“ Neben Tatjana lag noch eine sehr nette, ältere Dame, die schon 95 Jahre alt war, aber geistig noch sehr fit, und obendrein die reinste Optimistin, das war für Tatjana sehr gut.

      Die Dame erinnerte sie an ihre Großmutter väterlicherseits, die leider schon im Himmel mit den Engeln Tango tanzte. Diesen Spruch pflegte sie kurz vor ihrem Tode Tatjana zu sagen, um sie noch mal lachen zu sehen. Sie war ein sehr herzlicher Mensch gewesen, der viel Wärme ausstrahlte.

      „Was wollen sie trinken, Frau Sandberg, Pfefferminztee oder Kaffee?“, fragte die Krankenschwester in einem sächsischen Dialekt.

      „Haben Sie auch Prosecco im Angebot? Kleiner Scherz am Rande, aber mein niedriger Blutdruck könnte jetzt ein Gläschen gebrauchen!“ Tatjana wurde durch die freundliche Art ihrer Bettnachbarin wieder ein wenig munterer. Während sie frühstückten, unterhielten sie sich angeregt. Tatjana war beeindruckt, was Gretel, so war der Name der älteren Dame, in ihren langen Lebensjahren schon alles erlebt hatte, viele Glücksmomente, aber auch viel Leid, trotzdem, oder vielleicht auch gerade deswegen, hatte Gretel eine unwahrscheinlich positive Ausstrahlung.

      Um neun Uhr klingelte das Telefon bei Tatjana. „Hallo, ich bin’s, guten Morgen, mein Schatz. Konntest du etwas schlafen?“, fragte Lars.

      „Ja, es ging, hab eine halbe Leck-mich-am-A…-Tablette genommen und hatte dann einen echt guten Trip!“

      „Oh, ich höre, du hast wieder ein wenig Humor, das freut mich.“ Lars war erleichtert, er hatte sich schon ausgemalt, dass Tatjana in Depressionen verfallen könnte, doch diese versuchte, ihrer Traurigkeit keinen Platz einzuräumen, sie wollte keineswegs in ein tiefes Loch fallen, sie war schon immer „posimistisch.“ Tatjana erfand gern schräge Wörter.

      Am späten Nachmittag kam Tatjanas Mutter mit einem Strauß Blumen und in einer Wolke süßen Parfums ins Krankenhaus „Sie nimmt wohl den gleichen Duft wie Chris“, dachte Tatjana.

      Gott sei Dank war das Fenster gerade auf zum Lüften, der Geruch war jedenfalls sehr aufdringlich und kaum zu ertragen. „Na du, was machst du denn für Sachen? Ich dachte, du könntest gar nicht schwanger werden!“ Das waren die ersten Worte von Tatjanas Mutter. Sie drückte ihr den Blumenstrauß in die Hand und streichelte ihr roboterartig kurz über den Arm. „Wie konnte denn das auf einmal passieren?“, fragte sie vorwurfsvoll.

      „Vielleicht hat mich ja der Heilige Geist geschwängert!“, motzte Tatjana zurück. „Bin ich vielleicht Jesus? Kann ich übers Wasser rennen? Mein Gott, Mutter, was Besseres fällt dir wohl jetzt auch nicht ein? Mir geht es total scheiße, und du willst mir noch Vorwürfe machen!“, regte sich Tatjana auf, ohne Luft zu holen. Sie merkte, dass sie ganz heiße Wangen bekam und ihre Halsschlagader stark zu pulsieren begann.

      „Jetzt reg dich nicht auf, soll ich besser gehen und dich morgen Abend mal anrufen? Ich wusste ja nicht, wie sehr deine Hormone Karussell fahren! Heutzutage ist es sowieso besser, keine Kinder zu bekommen, du siehst ja, wie schwierig das mit den Ausbildungsplätzen ist und wie viele dicke Kinder es gibt.“ Tatjanas Mutter steigerte sich wieder in ein negatives Weltbild hinein, ohne Punkt und Komma, dann verabschiedete sie sich mit den Worten: „Wird schon wieder, am besten, du fährst mal ein paar Tage mit Lars weg, vielleicht in ein Wellnesshotel, mit ayurvedischer Massage. Da kann ich euch ein schönes Hotel in Bad-Kreuznach empfehlen, Günther und ich waren auch schon dort, einfach traumhaft!“ Tatjana stellte ihre Ohren auf Durchzug und nickte nur monoton, bei dem Namen „Günther“ wurde sie fast ein bisschen hysterisch. Günther war der neue Lebenspartner ihrer Mutter.

      Sie hatte ihn ein Jahr nach dem Tod von Tatjanas Vater kennengelernt.

      Günther war einer von der Sorte Mann, die sich ständig selbst groß machen mussten, um ihre Unsicherheit zu verbergen, außerdem hatte er die schlechte Angewohnheit, immer wieder andere Menschen zu beleidigen. Einmal benahm er sich vor vielen Menschen auch Tatjana gegenüber daneben und wies auf ihre Narbe am Kinn hin. Lars war so sauer auf ihn, dass er ihn sich zur Seite nahm und ihm mit einem Lächeln erklärte, dass er wohl unter einer Profilneurose leiden würde. Somit waren die Fronten geklärt, und sie gingen sich seitdem, soweit es möglich war, aus dem Weg.

      Tatjana war froh, als ihre Mutter ging, sie holte tief Luft und wählte die Nummer von Katrins Büro.

      „Hi Kati, weißt du schon Bescheid?“, meldete sich Tatjana und erzählte ihr kurz, dass sie im Krankenhaus läge.

      „Ja, ich hab es vor einer Viertelstunde von Lars erfahren, wollte dich auch gerade anrufen!“, antwortete Katrin besorgt. „Ich würde gern in meiner Mittagspause zu dir kommen, ist dir das recht?“

      „Ja, bitte, ich brauche ein paar aufbauende Worte, meine Mutter war gerade da, du weißt ja wie sie ist!“

      „Tati, bleib ganz cool, ich bring uns einen Piccolo und deine Lieblingspralinen mit, und dann schwatzen wir, okay?“

      „Danke, bis dann!“ Tatjana legte erleichtert den Hörer auf und freute sich auf den Besuch