Hans Müncheberg

Project Mercury


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Starttisch für unsere Atlas-Versuche, alle entsprechenden Einrichtungen, genügend Raketen, um eine Serie erproben zu können, vor allem aber neue Leute, ein neues Team erstklassiger Fachleute. Wenn wir uns die erst selbst ausbilden müssen, verlieren wir wieder kostbare Zeit."

      Webster nickte. Diese Probleme waren ihm vertraut. Er hatte sie gestern auf einer außerordentlichen Sitzung des Beirates der Raumfahrtbehörde zur Diskussion gestellt. Der Präsident der Vereinigten Staaten, der Außenminister und der Verteidigungsminister waren Mitglieder des Beirates und hatten ihm und seiner Behörde alle notwendigen Vollmachten erteilt.

      Soweit er es für erforderlich hielt, informierte Webster seinen Gast über die Ergebnisse dieser Sitzung. Die Versuche mit der Atlas sollten ebenfalls von Cape Canaveral aus erfolgen. Pearsons sollte weiterhin dort die Leitung behalten, dann also über beide Versuchsreihen. Die Air Force bekäme schon in den nächsten Tagen Anweisung, einen Starttisch für die NASA herzurichten.

      "Und die erforderlichen Raketen?" erkundigte sich Pearsons, als Webster eine Pause machte.

      "Sie werden zunächst von der militärischen Produktion abgezweigt. Doch das kann auf die Dauer nicht genügen. Es sind uns außerordentliche Geldmittel zur Verfügung gestellt worden, um eine gesteigerte Raketenproduktion finanzieren zu können." Webster griff nach seinem Terminkalender. "Das wird bei den Convair-Werken in San Diego nicht ganz einfach sein, habe ich mir sagen lassen. Am besten, wir fahren beide möglichst bald einmal dorthin." Er blickte wieder auf und fragte abrupt: "Kennen Sie eigentlich Dr. Lawrence Gilbert?"

      "Den Konstrukteur der Atlas?"

      "Ja."

      "Leider nicht persönlich."

      "Ein äußerst fähiger Mann. Er hat uns damals die technische Seite erläutert, als wir die Atlas in unser Forschungsprogramm aufgenommen haben. Wir sollten uns unbedingt mit ihm beraten." Webster blätterte in dem Terminkalender.

      Pearsons überlegte. Eine solche Kapazität wie Dr. Gilbert für die neue Versuchsreihe zu gewinnen, müsste eine gute Ausgangsposition garantieren. "Und wenn wir versuchen, ihn zu uns zu holen?"

      Webster schmunzelte. "Daran habe ich auch schon gedacht. Ich fürchte nur, es wird uns nicht gelingen, ihn loszueisen. Immerhin ist er dort Chefkonstrukteur."

      "Zumindest brauchen wir einen guten Stab Atlas-Spezialisten von der Convair. Das wird der Verwaltungsrat des Konzerns hoffentlich einsehen. Und Dr. Gilbert müsste eigentlich so viel Verständnis für diese nationale Aufgabe haben, dass er uns wenigstens bei der Auswahl der Leute hilft." Webster hatte einen geeigneten Termin gefunden und machte sich eine Notiz. "Dr. Gilbert wird uns bestimmt helfen. Soviel ich weiß, kennt er sogar einen unserer besten Astronauten persönlich. Scott Sharper, glaube ich. Ihm sind unsere Belange also nicht fremd. Ich schlage vor, wir fahren bereits in der nächsten Woche nach San Diego. Passt es Ihnen am Dienstag, Mister Pearsons?"

      2

      Im Südwesten der Vereinigten Staaten, dicht an der mexikanischen Grenze, liegt San Diego, die Industrie- und Hafenstadt an der San Diego Bai. Hier herrscht ein mildes Klima, bestimmt durch den Pazifik und die nicht weit von der Küste entfernten Ketten der mächtigen Rocky Mountains.

      Am Rande der Stadt stehen die großen Hallen der Astronautics-Werke. Sie gehören zum Verband der Convair Division im Konzern von General Dynamics. Man hat es sich etwas kosten lassen, hier eine völlig neue Produktionsstätte zu errichten. Convair hatte bereits 1954 den Auftrag zur Entwicklung einer interkontinentalen ballistischen Rakete erhalten. Die technische Planung und Konstruktion wurde einer Entwicklungsgruppe unter der Leitung von Dr. Lawrence Gilbert übertragen. In zweijähriger Arbeit stellten sie den Entwurf und das Labormuster fertig. Einige Versuchsgeschosse konnten 1956 produziert werden. Im Juni 1957 startete der erste Versuch. Viele Versuche waren notwendig, bevor die Atlas als einsatzreif bezeichnet werden konnte. Völlig funktionssicher war sie, allerdings immer noch nicht, doch das lag nicht an den Konstrukteuren unter Dr. Gilbert. Jeder, der den Doktor kennengelernt hatte, wusste es. Gilbert war sehr beliebt bei seinen Mitarbeitern. Die vorurteilslose Art, mit der er alle Probleme anpackte, sein offenes, hilfsbereites Wesen und sein ausgeprägter Sinn für Gerechtigkeit hatten ihm vor allem bei den Technikern und Monteuren viele Freunde erworben. Es gab kaum einen Arbeiter in den Astronautics-Werken, der nicht einige Geschichten über den Doc hätte erzählen können. Man wusste, dass Gilbert manches gegen den versteckten Widerstand des technischen Direktors, John Bradley, durchgesetzt hatte. Bradley war ein Mann mit vielen Verdiensten um die schnelle Entwicklung der Convair-Flugzeug-Produktion. Er avancierte zu Beginn des Krieges mit Japan zum technischen Direktor. Das war gerade zu der Zeit, da Gilbert als frischgebackener Dr.-Ing. in die Forschungsabteilung kam. Der schnelle Aufstieg Gilberts gefiel John Bradley nicht. Er hatte ihn daher gleich nach Ende des Krieges auf das Gebiet der Raketentechnik abgeschoben. Doch die Absicht schlug ins Gegenteil um: Gilbert wurde der Konstrukteur der ersten einsatzbereiten ICBM (Intercontinental Ballistic Missile) der Vereinigten Staaten.

      Es war kurz vor zehn Uhr, als die Sekretärin eilig zu Gilbert ins Zimmer kam. "Ein dringender Anruf von Mister Bradley. Sie möchten, bitte, sofort zu ihm kommen."

      "Na endlich! Hat ja lange genug gedauert, bis der hohe Herr einmal Zeit für unsere Sorgen hat."

      Die Sekretärin wusste genau, was Gilbert meinte. Seit einiger Zeit gab es Schwierigkeiten mit einigen Zulieferbetrieben. Die Arbeiten an der Neuentwicklung stockten. Gilbert wollte darüber mit dem technischen Direktor sprechen. Als er nach den Unterlagen griff, fügte die Sekretärin hinzu: "Ich soll Ihnen ausrichten, es wären zwei Herren von der NASA bei Mister Bradley, denen Sie spezielle technische Fragen beantworten möchten. Sie sollten sich die Unterlagen über die neuen Modifikationen der Atlas mitnehmen, lässt Mister Bradley bestellen."

      Gilberts Gesicht verriet Enttäuschung. Ihn reizte es nicht, an einem mehr oder weniger geschäftlichen Gespräch teilzunehmen, auch wenn die NASA sich langsam zu einem Großabnehmer der Convair-Raketen entwickelte.

      Lawrence Gilbert war groß, schlank und hatte ein offenes, gütiges Gesicht mit aufmerksamen, blaugrauen Augen. Darüber eine hohe Stirn, von der das mittelblonde Haar schon ein beträchtliches Stück zurückgewichen war. Er ging stets tadellos gekleidet. Kein Wunder, dass es seine Sekretärin gern gesehen hätte, wenn er sich einmal für etwas anderes interessierte als immer nur für die Arbeit.

      Im Arbeitszimmer des technischen Direktors saßen Webster und Pearsons in die Sessel zurückgelehnt, während sich Bradley interessiert vorbeugte. "Dass Sie bei Ihren neuen Plänen mehr Raketen brauchen, ist logisch. Bloß, wo sollen wir sie hernehmen?"

      "Aus einer erhöhten Produktion!" sagte Webster ruhig. "Ihre Kapazität ist doch wohl nicht restlos ausgeschöpft?"

      Pearsons setzte hinzu: "Sie arbeiten nur mit halber Kapazität, wurde uns gesagt."

      "Das entspricht der gegenwärtigen Auftragslage. Schließlich ist unsere Atlas nicht billig."

      Webster blieb gelassen. "Vier Millionen Dollar einschließlich der Startkosten. - Das Geld für eine normale Serie ist jetzt vorhanden."

      "Das wird den Verwaltungsrat sicherlich freuen... " Bradley war jetzt ganz bei der Sache. "Was ich allerdings dabei soll ...?"

      "Von Ihnen möchten wir gern wissen, wann wir mit den ersten zusätzlichen Raketen rechnen können?"

      "Einsatzfähig!" fügte Pearsons hinzu.

      "Sie wissen, dass die reine Produktionszeit einer Atlas zwölf Monate dauert. Von der Bestellung bis zur kompletten Auslieferung werden demnach achtzehn Monate erforderlich sein."

      "Das ist zu lange. Wieweit lässt sich diese Frist verkürzen?"

      Nun ist es heraus, dachte Bradley, eine schwierige Frage. Doch er brauchte nicht gleich zu antworten.

      Pearsons erläuterte die Notwendigkeit, das Project Mercury mit allen Mitteln zu beschleunigen. Amerika hätte in letzter Zeit genug Schlappen hinnehmen müssen. Das nationale Prestige der Vereinigten Staaten stünde heute beim Wettlauf um die Vorherrschaft im Weltraum auf dem Spiel. Deshalb