Hans Müncheberg

Project Mercury


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Bradley gab es über derartige Notwendigkeiten keine lange Diskussion. "Einverstanden, mit allem einverstanden. Aber selbst wenn wir alle Chancen nutzen, werden wir die Gesamtzeit höchstens auf fünfzehn Monate drücken können. Zahlenangaben selbstverständlich ohne Gewähr. Dazu brauchen wir Dr. Gilbert. Er wird gleich hier sein."

      Als Gilbert eintrat, erhob sich Webster und ging ihm einige Schritte entgegen. "Hallo, Dr. Gilbert. Ich freue mich aufrichtig, Sie zu sehen." Er machte Gilbert auf unkonventionelle Art mit Pearsons bekannt, den Konstrukteur dabei wegen seiner großen Leistungen lobend. Bradley betrachtete diese Szene mit gemischten Gefühlen. Eigentlich wäre es sein Amt gewesen, Gilbert und Pearsons einander vorzustellen. Nun stand er wie überflüssig daneben und musste hören, welchen freundlichen Ton der NASA-Chef gegenüber Gilbert anschlug und wie sehr Gilbert sich von dieser Begegnung angetan zeigte. Rasch schaltete sich Bradley wieder ein und erklärte seinem Chefkonstrukteur die Situation und die Wünsche der NASA auf Terminverkürzung.

      Gilbert schien diese Frage sehr zu gefallen. Er erkannte die Chance, auch von seinen augenblicklichen Problemen zu sprechen. "Die eigentlichen Schwierigkeiten liegen nicht bei uns. Wir sind in den meisten Baugruppen von den Zulieferbetrieben abhängig. Bei den Antrieben sind wir auf die Rocket-Dyne Division oder auf Pratt & Wittney angewiesen, bei Stahl auf die Washington Steel Corporation, bei unseren Schweißverfahren auf die Solar Aircraft Corporation und bei der Elektronik auf American Bosch Arma oder North American Aviation. Bei den restlichen Bauelementen ist das ähnlich. Wenn wir dort mehr Entgegenkommen fänden, könnten wir die Lieferfristen vielleicht noch weiter senken. Nehmen wir zum Beispiel die Rocket-Dyne Division. Sie liefert für die Atlas jeweils drei Rohrbrennkammern laut Vertrag - laut langfristiger Vereinbarung. Da ist es nicht so leicht, kurzfristig Änderungen zu schaffen, denn Rocket-Dyne liefert auch an Chrysler und all die anderen Raketenproduzenten. Und die achten schon darauf, dass wir nicht zu viel Kapazität binden. Als ich vor kurzem für unsere Neuentwicklung ein Testtriebwerk für Zugfestigkeitsversuche brauchte ..."

      "Das gehört doch nicht hierher!" unterbrach ihn Bradley.

      "Doch!" Gilbert ließ sich nicht beirren, er war jetzt an dem Punkt, der ihm schon lange Sorgen bereitete. "Das Objekt S-5 ist für die Saturn bestimmt, ein Auftrag der NASA. Wir wären schon längst fertig, wenn nicht immer wieder solche Pannen passierten. Die Konstruktion ist fertig, die Technologie festgelegt, bloß in diesem Dickicht der Konzernverbindungen bleiben wir andauernd hängen."

      Bradley war dieses Thema unangenehm. Er versuchte es zu beenden. "Wir arbeiten, wie allgemein üblich, mit einem erprobten Vertragssystem. Da braucht eben alles seine Zeit."

      "Die wir immer wieder gegen die Russen verlieren!" Gilbert ließ sich nicht mehr bremsen. Temperamentvoll fuhr er fort: "Ich bin jedenfalls überzeugt davon, dass sich die Konstrukteure dort nicht mit einem Dutzend anderer Firmen herumzuschlagen haben." Gilbert trat dicht an Bradley heran. Seine Stimme wurde eindringlich. "Deswegen bitte ich Sie jetzt wieder um Ihre Hilfe, Mister Bradley. Wenn wir die Russen endlich einholen und überholen wollen, geht das nicht ohne besseres Material für die Brennkammern. Höherer Schub bedeutet vor allem höhere Ausströmgeschwindigkeiten - also höhere Drücke und Temperaturen. Das erreichen wir nicht ohne energiereicheren Brennstoff."

      "Aber Pratt & Wittney ... " wollte Bradley entgegnen, doch Gilbert fuhr sogleich fort: " ... arbeiten schon lange an Flüssigwasserstoff-Motoren, ich weiß."

      "Sehen Sie." Bradley warf einen nervösen Blick auf die Besucher, die alles mit größter Aufmerksamkeit verfolgten.

      "Zu lange! Ach, es ist doch zum ... " Gilbert fing sich im letzten Moment und wandte sich an Webster und Pearsons: "Entschuldigen Sie, bitte."

      "Aber wieso denn?" Webster spritzte etwas Soda in sein Glas. "Sie haben völlig recht." Dabei blickte er zu Bradley, der ärgerlich vor sich hin starrte. Man musste offen mit ihm sprechen.

      "Bitte, verstehen Sie uns nicht falsch. Dieser Wettlauf mit dem Osten kann sich zu einer Lebensfrage für die Vereinigten Staaten auswachsen, und Sie kennen doch den Grundsatz: Besondere Umstände verlangen besondere Maßnahmen. Wenn die Verkürzung der Lieferfristen im Verwaltungsrat zur Sprache kommt, dann wird es nicht zuletzt von Ihnen abhängen, wie entschieden wird. Auf jeden Fall haben Sie die volle Unterstützung der NASA und auch die des Präsidenten. Die Geschäftsinteressen müssen sich doch mit den großen politischen Notwendigkeiten koordinieren lassen. Sonst - und in dem Punkt hat Dr. Gilbert wirklich recht - erlauben wir es den Russen, ihren immerhin schon peinlichen Vorsprung noch weiter zu vergrößern."

      "Ich glaube Sie verstanden zu haben, Mister Webster", erklärte Bradley höflich, "und ich versichere Ihnen, dass die Interessen Amerikas auch die Interessen der Convair sind."

      "Ich danke Ihnen." Webster war mit dem Ergebnis der Unterhaltung zufrieden, denn es zeichneten sich Möglichkeiten ab, die der NASA bald eine ausreichende Zahl stärkerer Trägerraketen bringen würden.

      Als sich nun Webster und Pearsons verabschiedeten und um die Möglichkeit einer Betriebsbesichtigung baten, schien Bradley wieder strahlender Laune zu sein. Nur Gilbert ließ sich nicht täuschen. Er kannte seinen Chef zur Genüge und wusste, dass er solche Sekunden der Unterlegenheit nicht so schnell vergaß. Gerade weil Bradley ein geschickter Taktiker war und in der Regel alle für ihn unangenehmen Situationen abzufangen verstand, ärgerte ihn jede noch so kleine Schlappe doppelt und ließ ihn mit großer Ausdauer nachtragend werden.

      Nach dem kurzen Weg über den von der Sonne aufgeheizten Werkhof empfanden es die drei Männer als angenehm kühl in der langgestreckten Halle. Gilbert war in seinem Element. Er kannte hier jeden Mann und jeder kannte und schätzte ihn.

      Webster und Pearsons hatten bisher noch nie so eingehend die Herstellung einer großen Rakete beobachten können. Voller Interesse sahen sie, wie zu Beginn die blanken, rostfreien Stahlbänder von mächtigen Rollen abgewickelt und zwischen Walzenpaaren geglättet wurden. Bei einem Meter Breite hatten sie nur eine Stärke von weniger als einem Millimeter. Davon wurden Stücke abgeschnitten und an den Enden zu einem Trommelring von rund drei Meter Durchmesser zusammengeschweißt. Ein Schweißautomat verband zwei Trommelringe zu einem größeren Segment. Da das Stahlband in sich keinen Halt hatte, mussten von innen und von außen Stützringe angebracht werden. In der nächsten Halle konnten sie sehen, wie nebeneinander mehrere Raketenkörper montiert wurden,

      "Montieren ist eigentlich nicht der richtige Ausdruck dafür", erläuterte Gilbert, "denn hier wird, von der Spitze beginnend, immer ein Segment an das andere geschweißt. Es handelt sich um eine sogenannte Stumpfschweißung, bei der die Naht durch einen untergelegten Streifen rostfreien Stahls verstärkt wird. Dadurch können wir auf die inneren Stützringe verzichten und mit den äußeren Ringen auskommen."

      Sie waren nun bei einem Raketenkörper angekommen, der die volle Länge von achtzehn Metern erreicht hatte. Die Bodenplatte war angeschweißt worden und einige Techniker waren jetzt dabei, eine Druckgasleitung anzuschließen. Gilbert erklärte den Vorgang: "Die große Leistung der Atlas konnte dadurch erreicht werden, dass es uns gelungen ist, die Raketenteile gleichzeitig als Treibstoffbehälter zu benutzen und durch den dünnen Spezialstahl ungewöhnlich leicht zu halten. Ohne die Stützringe würde das Ganze zusammenbrechen. Deswegen füllen wir nun die Zelle mit Helium-Druckgas und verleihen dem Raketenmantel so eine ausreichende Stabilität, um die weiteren Bauarbeiten vornehmen zu können. Das Druckgas bleibt in der Rakete, bis sie auf dem Starttisch, unmittelbar vor dem Abschuss, aufgetankt wird. Wir nennen das unter uns die Luftballon-Methode, denn die aufgeblasene Raketenzelle ist ähnlich empfindlich gegen äußere Beschädigungen wie ein Luftballon."

      Gilbert gab einem Ingenieur im weißen Kittel einen Wink. Mit leisem Zischen strömte Helium in den großen Hohlraum, und zusehends glättete sich die Oberfläche des Raketenkörpers. Nach wenigen Minuten war dieser Prozess beendet, und die Stützringe wurden entfernt. Als sie weitergingen, sagte Gilbert scherzhaft: "Also, Korkenzieher und andere spitze Gegenstände lieber in der Tasche behalten."

      Die Endmontagehalle bildete den Abschluss des Rundgangs. Hier wurden die Raketentriebwerke eingebaut und die Steueranlage, das Führungssystem, das Fernmesssystem und die anderen Bordanlagen installiert. Eine Stunde hatte der Rundgang gedauert, aber zwölf Monate