Hans Müncheberg

Project Mercury


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allen nur denkbaren Untersuchungsgeräten zu kommen.

      Gamble machte die beiden Wissenschaftler miteinander bekannt und erläuterte kurz das von Gilbert aufgeworfene Problem.

      Dr. Ward bat seine Gäste in einen wohnlicher eingerichteten Nebenraum. Während Gilbert und Gamble Platz nahmen, begann er, seine Brille voller Andacht putzend, auf und ab zu gehen. Nach einer Weile sagte er: "Sie haben recht, verehrter Dr. Gilbert, der Mensch und die Technik, ihr Verhältnis zueinander, das ist die Kernfrage unserer Arbeit. Ich möchte die Frage einmal so formulieren: Wird es dem Menschen gelingen, sich der Entwicklung der Technik anzupassen - oder wird er an ihr zerbrechen?"

      Gilbert war sofort dabei. Diese Probleme berührten ihn zutiefst. Temperamentvoll warf er ein: "Verzeihen Sie, aber diese Formulierung steht doch auf dem Kopf! Es sollte besser heißen: Wird es uns gelingen, die Technik den menschlichen Lebensbedingungen anzupassen - also, sie zum Freund des Menschen zu machen, oder dulden wir, dass uns die Technik feindlich wird? Ganz kurz gesagt: Wer beherrscht wen - der Mensch die Technik oder die Technik den Menschen?"

      Dr. Ward unterbrach seine Wanderschaft und blieb vor Gilbert stehen. Mit einem freundlich überlegenen Lächeln bemerkte er: "Theoretisch haben Sie vollkommen recht, verehrter Doktor. Ich verstehe auch, dass gerade Sie so reden. Ihre Maxime ist nichts weiter als der Versuch, die eigene Beteiligung an der entstandenen schwierigen Lage auszugleichen, zu kompensieren."

      "Jetzt soll ich wohl auch noch schuld daran sein?" Gilbert sprang auf.

      Dr. Ward blickte prüfend durch die blankgeputzte Brille. "Nur objektiv! Eine persönliche Schuld will ich Ihnen gar nicht unterstellen."

      "Was. heißt - nur objektiv?" Gilbert war nicht zufrieden mit der Antwort.

      "Das soll heißen, dass Sie, verehrter Dr. Gilbert, der Konstrukteur der Atlas sind." Dr. Ward setzte sich die Brille auf und sah Gilbert gespannt an, der schwieg einige Sekunden verblüfft und schaute unsicher forschend zu Gamble.

      "Ich verstehe, was Dr. Ward meint." Gamble war auch aufgestanden und trat neben Gilbert. "Unsere ganze Arbeit hier wird schließlich durch die Bedingungen bestimmt, die unter anderem aus den technischen Daten der Redstone und der Atlas resultieren. Schubkraft und Beschleunigung, Vibration, Aufheizung durch Reibungswärme und so weiter."

      Gilbert sah beide Männer prüfend an. Verbarg sich dahinter eine vielleicht berechtigte Kritik an der Atlas als Trägerrakete für die bemannte Raumkapsel? War es nur ein freundschaftliches Wortgefecht? Trotz allem, die Bemerkungen waren berechtigt. Unter diesem Gesichtspunkt hatte er die Eignung seiner Konstruktion noch gar nicht überprüft.

      "Zugegeben", begann er vorsichtig, "da sind Schwierigkeiten. Ich nehme die objektive Mitschuld an. Aber schließlich haben wir die Atlas einmal für einen anderen Zweck konzipiert und nicht als Treibladung für einen Astronauten."

      "Aber das wissen wir ja!" Dr. Ward packte Gilbert bei den Schultern. "Verzeihen Sie uns diese kleine Exkursion. Außerdem kann ich Sie vollauf beruhigen. Die Werte der Atlas sind, obwohl es die stärkere Rakete ist, für den bemannten Flug günstiger als die der Redstone. Die Belastungen können von den Piloten ohne Schäden für ihre Gesundheit ertragen werden. Natürlich kann nicht jeder Mann von der Straße Raumflieger werden - heute noch nicht. Später vielleicht, wenn Sie, lieber Dr. Gilbert, die entsprechenden Raketen konstruiert haben. Heute müssen die Astronauten gründlich trainiert werden, psychisch und physisch. Und wir tun alles, um den Piloten absolute Sicherheit auf den Flug mitzugeben."

      "Allerdings nur, was die Person des Piloten betrifft. Die Sicherheit des Fluges selbst liegt dafür in Ihren Händen." Gamble setzte sich wieder.

      Dr. Ward trat zu einem hohen Wandregal und entnahm ihm einige Hefter und Papierrollen. "Darf ich Ihnen einige Leistungscharakteristiken unserer Piloten unter den vorgetäuschten Bedingungen eines Raumfluges zeigen?"

      Die nächste halbe Stunde brachte für Gilbert interessante Einblicke in das Gebiet der Raumfahrtmedizin, für Dr. Ward neue Aspekte in der Betrachtung technischer Probleme und für Mr. Gamble das seltene Erlebnis, zwei hervorragende Fachleute einen menschlich guten Kontakt gewinnen zu sehen.

      Als Dr. Ward in seinen Abschiedsworten die Hoffnung auf eine spätere gemeinsame Arbeit aussprach, gestand Gilbert erstmalig, wie sehr auch ihn eine solche Aufgabe reizte.

      Gamble hörte das nur allzu gern und lud Gilbert zu einem Imbiss ein, bei dem er ihn mit den Militärs bekannt machen wollte. Als er Gilberts versteckte Abwehr spürte, sagte. er: "Bitte, Doktor, seien Sie kein Spielverderber. Es hat sich nun einmal herumgesprochen, dass der Konstrukteur der Atlas im Lande ist. Außerdem haben Sie dabei gleich die Gelegenheit, den Air-Force-Stützpunktkommandanten von Cape Canaveral kennenzulernen: General Lester Kingsberry. Sie haben bestimmt schon von ihm gehört."

      "Flüchtig." Gilbert hatte etwas gegen solche Begegnungen, die fast den Charakter eines Meetings bekamen. Er fand es überflüssig, sich mit Leuten unterhalten zu müssen, die ihn nicht persönlich interessierten. Die Anwesenheit General Kingsberrys allerdings erweckte sein Interesse. Er nutzte den Weg, um sich von Gamble über die Person des Generals informieren zu lassen.

      Inzwischen hatte auch die von Mr. Harcroft begleitete Besuchergruppe den Rundgang durch die Übungsanlagen beendet und begab sich zu dem großen Speiseraum des Camps. Kingsberry ging neben Harcroft. Eine Frage lag ihm schon lange am Herzen. Nun konnte er sie loswerden: "Sagen Sie bitte, Mr. Harcroft, woran liegt das: Sie haben hier in Langley alle Trainingseinrichtungen beisammen, bis auf eine. Warum steht eigentlich die große Zentrifuge für die Beschleunigungsversuche in Johnsville und nicht hier? Das ist doch unrationell!"

      "Nun, sie wurde dort schon vor Jahren für Forschungsarbeiten gebraucht. Natürlich, jetzt brauchten wir sie hier. Das Ding ist aber ziemlich groß und auch sehr teuer. Dort demontieren und hier aufbauen, war nicht möglich, Außerdem wird sie dort auch noch für andere Aufgaben benötigt. Und extra für uns hier eine neue zu bauen, ist wieder nicht rentabel."

      Sie betraten den Speiseraum. In der Mitte war eine große Tafel gedeckt. Einige Astronauten waren schon anwesend, um den Gästen noch spezielle Fragen beantworten zu können.

      "Hallo, Scott Sharper, alter Junge!" Kingsberry ging mit schnellen Schritten auf einen der Männer zu.

      "Hallo, General."

      Kingsberry wandte sich den anderen Offizieren und Generalen zu. "Darf ich Ihnen einen alten Kriegskameraden vorstellen? Captain Scott Sharper, erfolgreicher Jagdflieger, war in Okinawa dabei, in Nordafrika und auch in Korea. Ich darf behaupten, er war der beste Flieger in der 12. Luftflotte."

      Sharper war den meisten namentlich bekannt. Auch die anderen Astronauten wurden gleich mit ins Gespräch gezogen.

      Kingsberry bestand darauf, neben Scott Sharper zu sitzen, und begann mit ihm Erinnerungen an gemeinsame Erlebnisse auszutauschen. Mitten im Satz unterbrach er sich und fragte: "Sagen Sie, Scott, warum haben wir Sie heute nicht irgendwo beim Training gesehen?"

      "Weil ich erst vor einer Stunde aus Johnsville zurückgekommen bin, vom Karussellfahren."

      "Interessant, erzählen Sie mir davon!" Kingsberry lehnte sich erwartungsvoll zurück.

      Doch Scott kam nicht dazu, einen Bericht zu geben.

      Gamble und Dr. Gilbert traten an die Tafel. Die Gespräche verstummten plötzlich, als Gamble mit erhobener Stimme sagte. "Meine Herren, darf ich Sie mit einem Mann bekannt machen, der uns allen ...." Weiter kam Gamble nicht, denn Scott Sharper sprang überrascht auf. "Lawrence Gilbert!" Er eilte auf seinen alten Freund zu und packte ihn herzlich bei den Schultern: "Lawrence, alter Junge, wie kommst du denn auf einmal hierher?"

      "Mit dem Jetliner aus San Diego und jetzt eben mit Mister Gamble zu Fuß."

      Gilbert strahlte über die gelungene Überraschung.

      Scott, der sich während des Trainings immer wieder durch seine schnelle Reaktionsfähigkeit auszeichnete, brauchte jetzt einige Sekunden, bis er sich gefasst hatte. Dann schoss er aber sofort eine Serie gezielter Fragen ab. Gilbert wollte geduldig antworten, doch Gamble schlug vor, dazu Platz zu nehmen. Mit einer verbindlichen Geste stellte der Ausbildungsdirektor