Michael Wintlinger

Boxer sterben nicht


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vorsichtig boxen. Aus einer guten Deckung heraus. Werde ich wie ein Stierkämpfer vorgehen. Sobald er einen Fehler macht. Kurze Stiche. Mehrere Haken. Kurze Überfälle. Auf den Körper. Trommelfeuer. Angreifen und sofort zurückweichen. Ihn windelweich schlagen. Bis ihm die Luft fehlt. Ich muss wieselflink sein.“

      „Er ist schnell, wie eine Antilope. Er hat lange Arme wie Degen, Champ.“

      „Die Jugend triumphiert eines Tages. Ich werde nicht jünger.“

      „Du darfst nicht aufgeben.“

      „Klaro! Amigo!“, sagte der Boxer.

      Er streichelte das Gesicht des Jungen und ging weiter.

      3.In der Nacht

      In der Nacht wachte der Boxer auf. Das Schlafmittel wirkte nicht. Im Moment hatte er einen Hass auf sich selbst. Er ging zum Bad, wusch sein Gesicht und sah in den Spiegel. Er blickte in die müden Augen, fetten Tränensäcke, schlaffen Mundwinkel und der graue Dreitagebart, all dies war ernüchternd. Wo war die Jugend geblieben?

      Sie war abgestorben wie eine Blume, die kein Wasser bekommen hatte. Er sah sich an wie einen Fremden.

      Erinnerungen bedrängten ihn. Er war auf Jagd mit dem Vater. Sie hatten den Hirsch erledigt. Bum. Ein Blattschuss. In den Rockys. Colorado. Woody Creek. Oben auf dem Gebirge. Adler sah er nun, die flügelschlagend am blauen Himmel klebten. Die alte Unbekümmertheit würde nicht mehr zurückkehren.

      Er schlug nach einem Moskito, als wolle er das ganze Leben wegwischen. Mit einem Ruck. Das Insekt schwirrte um seine Nase herum.

      Ameisen flitzten über die roten Fliesen. Und eine schwarze Spinne.

      Er bestellte ein Taxi, das ihn zum Hurenhaus brachte.

      Es war ein düsteres Lokal mit billiger Einrichtung, die aus Gartenmöbeln aus Plastik bestand. Rechts war eine Theke. Hinten eine Bühne mit Stange. Eine Frau tanzte. Sie war dürftig begleitet. Geile Männer starrten sie gierig an.

      Die Frauen trugen schäbige Dessous. Und alles war in schmieriges tief rotes Licht getaucht. Nachdem der Tanz der Stripperin beendet war, spielte ein Alleinunterhalter La Paloma, ein altes spanisches Lied.

      Er setzte sich. Ein Kellner kam an den Tisch.

      „Hola, Señor.“

      „Una Cafésito. Por favor.“

      “No Cafésito.”

      “Una cerveza!”

      Er nickte, ging zum Tresen.

      Eine Frau tauchte am Tisch auf. Sie brachte das Bier. Es war kühl.

      Sie setzte sich zu ihm. Er musterte sie. Sie war jung. Hatte pralle Brüste. Weibliche Formen. Schönes schwarzes Pferdehaar. Blaue Augen, die in Mexiko nicht so oft zu sehen waren. Auf blaue Augen war er oft reingefallen.

      Als er Champ war, hatte er an jeder Hand fünf. Jeden Tag ‘ne andere. Und er bereute keinen Fick. Und die drei Scheidungen. Und Kinder. Er war kein guter Vater. Er starrte sie an. Er kämpfte mit seinen Erinnerungen. Den alten Geschichten. Storys. Sie dachte ans Geschäft. Sie war ungeduldig.

      „Du, Amigo, ich muss Geld verdienen.“

      „Verstehe.“

      „Ich bin Tänzerin. Wenn du nicht bezahlst muss ich auf die Bühne oder Kunden anmachen. Willst du einen Privattanz?“

      „Bin noch nicht soweit. Brauch noch was intus, Baby.“

      Er schob ihr 20 Dollar über den Tisch. Sie steckte das Geld in den BH.

      Durch sein Gehirn schwammen Sätze: Das ist die Welt. Sex sells.

      Es geht um Kohle. Sie verkauft ihren Körper. Sie ist Ware. Und das klingt alles nicht poetisch in diesem Puff. Es war eine graue schmutzige Welt.

      Sein Gehirn spinnt Fäden. Gedanken. Brüche. Worte. Fetzen.

      Sie sieht gut aus. Das ist der Trumpf in ihrer Hand.

      Blöde Erfahrungen gemacht. Diese Bordelle und Klubs basierten auf Illusionen. Er schwankte. Sollte er sich mit ihr einlassen?

      Er war der Ex Champ, den jeder kannte. Sein Kopf lärmte. Er fluchte.

      Ihn hatte das Leben abgeschliffen. Bin Realist geworden. War er das wirklich? Fiel er nicht früher auf leichte Mädchen herein?

      Sie legte ihre linke Hand auf seinen Oberschenkel. Mit der rechten umarmte sie ihn. Es war ein angenehmes Gefühl in die Augen einer Frau zu schauen. Und ihre Hände zu spüren.

      Du dachtest, nicht allein auf der Welt zu sein. Und es gäbe Gemeinsamkeiten. Ne Philosophie. Ziele. Diese Illusion zerstoben mit der Zeit. Und wenn du es begreifst, tut es weh. Die Illusion war süßer als die Realität, sodass sich Menschen an Träume klammerten. Sie waren der Zuckerguss, der den grauen Alltag überzog.

      Das Leben betrachtete er jetzt nüchtern. Seine kalten Gedanken ließen ihn erstarren. Er sah sie an und knurrte: „Nein, Darling, wir sind nicht wie Schwester und Bruder, es geht ums Geschäft. Ich gebe dir Geld und ich darf deinen Körper anfassen. Nach einer Stunde geh ich in die kalte Nacht. Wie ein einsamer Hund.“

      „Mit wem redest du?“

      „Mit ‘nem Kojote.“

      „Ich lass dich alles machen, Gringo. Von hinten, von oben. Ich reite auf dir. Ich blase. Wie du es willst.“

      Er schwieg. Er hatte Zeit. Für sie war Zeit Geld. Er konnte nur verlieren.

      „I love you, Amigo. I love you very much.“

      Er lächelte verschmitzt. Falten zeichneten seine Augen und Gesicht weich. Je nachdem wie er sich bewegte, veränderte sich die Mimik. Aus Fältchen wurden Kerben und Risse. Sie waren wie Spuren im tiefen Lehm einer Straße. Sie erzählten Geschichten.

      Sie drückte seine Hoden: „Cowboy, hast du eine Ranch?“

      Er nickte.

      „Wo?“

      „In Colorado in den Bergen. Bei Woody Creek.“

      „Würdest du mich heiraten?“

      Er schwieg. Er erzählte nicht, dass er bankrott war. Sein Haus hatte die Bank gepfändet. Er trank das Bier leer. Ein Kellner mit Sombrero kam. Er trug einen Eimer, der mit Eis und Schnapsflaschen gefüllt war. Er fragte lächelnd: „Tequila, Sir? Das ist Medizin. Gut für ihr Wesen und ihre Seele.“

      „Scheiß Kerl. Komm gebe einen aus“, sagte die Kleine.

      Jep nickte.

      Der Typ schenkte ein. Er hatte Schnapsgläser parat.

      „Noch ein Bier!“, bellte Jep.

      Sofort stand eine Flasche Corona vor ihm.

      Er bezahlte. Der Kellner schwirrte ab.

      Sie prosteten sich zu, kippten den Alkohol in sich hinein.

      Er schüttelte sich. Der Schnaps lief durch die Venen und Organe. Er legte das weiße Cord-Sakko ab. Sie spielte an seinen Muskeln herum.

      Nach dem dritten Mescal nahm er sie am Arm. Sie gingen die Treppe hoch. Sie betraten eine öde Bude; auf dem Boden lag ein Matratze. Auf einem Tisch stand eine Heiligenfigur. Sie zündete Kerzen an. Er kam sich vor wie in der Kirche. Er hatte keine Lust auf Sex in dieser billigen Umgebung. Er sah sie melancholisch an und fragte: „Warum kommst du nicht zu mir nach Hause? Hier will ich nicht!“

      „Ich weiß nicht, Amigo. Rico sieht es nicht gerne. Wenn wir Frauen uns privat mit Männern treffen. Wenn ich heute mit dir weggehen würde, merkt er das.“

      „Ich warte.“

      „Gib mir Geld. Ich muss auf jeden Fall Rico bezahlen.“

      „Soll ich warten?“

      „Si, Señor.“