Michael Wintlinger

Boxer sterben nicht


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schmatzte. Er tunkte die Ochsenaugen aus. Mit dem Brot. Das Gelbe floss über den Teller, sodass ein abstraktes Gemälde auf dem Porzellan entstand. Er schaute seine Betreuer an und fragte: „Wo ist mein Erdnussbutter Sandwich?“

      „Hatten keins mehr.“

      „Mensch, ich esse jeden morgen den Sandwich und ihr seid nicht in der Lage mir den zu besorgen.“

      „Der Wirt versprach mir hoch und heilig, dass es morgen klappt.“

      „Scheiß Tag“, raunte Jep.

      „Komm bereite dich auf das Sparring vor“, rief Mike.

      Er strich über seine glänzende Glatze. Er bandagierte Jeps Hände und stülpte die Handschuhe über.

      Der Schwarze tauchte auf. Er trug einen goldfarbenen Bademantel. Sein Name war Billy Shoemaker.

      Er grinste, als wolle er sagen, dich werde ich fertigmachen. Jep folgte ihm in die Halle. Hinter ihm gingen Mike und Willy, der hatte Wasserflaschen, Eimer und Schwamm mit dabei. Der Stick zum Stillen von Blutungen durfte nicht fehlen. Vaseline. Handtücher.

      Federnd stiegen die Kämpfer in den Ring. In der Ringmitte begrüßen sie sich, indem sie sich mit ihren Händen kurz berührten. Sie begannen zu tanzen.

      „Los, meine Herren“, bellte der Trainer.

      Der schwarze Sugar-Imitator versuchte, Jep auf Distanz zu halten. Er hatte die größere Reichweite. Jep probiert es mit kurzen Schlägen, meist traf er nur die Deckung von Billy. Es war eine Doppeldeckung mit beiden Händen. Er senkte die Fäuste. Auf diese Fehler wartete Jep. Eine Gerade fand das Gesicht von Billy. Er war heute leichtsinnig. Es war ein Wirkungstreffer.

      Er tänzelte um den Schwarzen herum. Trieb ihn vor sich her. Sie schnauften wie Pferde. Schweißperlen hafteten auf der Haut. Jep setzte ein paar Schläge, traf nur die Fäuste. Jetzt kam eine kurze Doublette. Bum. Billy senkte die linke Hand. Jep haute einen rechten Haken raus. Bum. Ein Treffer. Mitten auf das Kinn. Sein Gegner stolperte. Er fiel um.

      Das war der alte Hammer, den er endlich ausgepackt hatte. Billy versuchte sich aufzurichten, stützte sich mit den Händen ab. Er kippte um.

      Mike klatschte.

      „Er ist wieder der Alte“, rief er.

      Willy stimmte in den Jubel ein: „Great! Großartig!“

      Er kümmerte sich um den Schwarzen.

      Der Arzt kam. Er untersuchte ihn. Billy brachte eine Pause. Er hatte eine Reizung im Oberschenkel. Er bekam Salbe. Es war keine schlimme Verletzung.

      Sie gingen in die Kabine. Er nahm beiden die Handschuhe ab, wickelte die Bandagen auf. Willy massierte Billy und trug die Mobilat-Salbe auf.

      „Das war nur ein Zufallstreffer“, sagte Jeps Sparring-Partner.

      „Halt die Klappe!“, raunte Jep.

      „Wenn ich wieder in Form bin, haue ich dich um!“

      „Ich bin ausgerutscht, Mann!“

      „Ausreden.“

      „Ruhe jetzt! Für heute ist Schluss“, entschied Mike.

      5.Schlaflosigkeit

      Er litt an Schlaflosigkeit. Die Tabletten von Mike waren zu schwach. Er wanderte im Dorf umher. Er kam sich vor wie ein Schlafwandler. Eine Weile saß er auf der Plaza, die das Zentrum der Bewohner war. Hier flanierten sie sonntags, gingen in die Kirche, oder tauschten Neuigkeiten und Tratsch aus.

      Er starrte die Kathedrale an. Er hörte die Hufen eines Pferdes, Ein zahnloser Mann stieg ab und setzte sich neben den Boxer. Er trug einen Stetson Cowboy Hut.

      „Es gibt mehr Tote als Lebende. Das Leben der Toten ist ruhig. Ruhiger kann es nicht werden“, sagte er.

      „Bist du ein Toter?“

      „Ja, ich fiel vom Pferd und eine Klapperschlange hat mich in das Handgelenk gebissen. Ich arbeite als Cowboy für Ranchers. Wir pflegen die Pferde, halfen beim Kalben, setzten Brandzeichen, flickten Zäune und bewachten Rinderherden.“

      „Bist du wirklich ein Toter?“

      „Klaro, dir fehlt als Toter nichts, Gringo. Nur im Leben fehlen dir immer Dinge, sei es materielle wie die Dineros oder die Liebe. Ich bin an die falschen Weiber geraten.“

      „Das kenne ich.“

      „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“

      „Von wem stammt das?“

      „Ein deutscher Philosoph sagte mir das. Er ist tot. Theodor Adorno heißt er. Ich rede mit ihm ab und zu. Verrückt ist Nietzsche.“

      Er räusperte sich, schob Halsschleim umher: „Er sagt, Gott sei ungerecht. Er probierte eine Frau aus und schon hat’s ihn erwischt. Syphilis.“

      „Wo triffst du ihn?“

      „Im Reich der Toten gibt’s ‘ne Philosophen-Ecke. Ein Lagerfeuer. Whisky fließt in Strömen und du setzt dich in die Runde. Jeder ist willkommen und darf Geschichten erzählen.“

      „Schön für dich. Wenn du Freunde unter den Toten gefunden hast.“

      „Wann kommst du?“

      „Weiß der Kuckuck.“

      „Okay, ich muss weiter.“

      Er tippte an die Hutkrempe. Er stieg auf das Pony und ritt in die Dunkelheit. Jep ging hoch zur Hauptstraße. Er wusste nicht, ob er das mit Reiter geträumt hatte. Er war noch nicht betrunken.

      Zögernd beobachte er den Stripladen.

      Er erkannte die flackernde Neonleuchte: Young chicks, cool beers.

      Es dauert eine Weile, bis Jep sich entschloss, dem Schuppen einen Besuch abzustatten. Seine Kehle war trocken.

      Er überquerte die Straße. Er ging hinein. Stumm sahen ihn die Gäste an. Er setzte sich. Zu einer Soulnummer tanzte ein Mädchen. Sie bewegte sich auf der Bühne um eine Stange.

      Der Kellner brachte sofort ein kühles Bier. Er zeigte auf seine Schnapsbatterie: „Tequila, Sir?“

      „Nein, Whisky.“

      Er schwirrte ab und ging zur Theke.

      Bourbon vertrug er besser. Tequila war der Drink des Teufels. Er veränderte den Trinker, den Menschen. Besser er behielt hier seine Nerven unter Kontrolle. Sein Blick schweifte.

      Das Mädchen, mit dem er sich beim letzten Besuch unterhalten hatte, war nicht zu sehen.

      Er wischte den Mund der Flasche ab. Er trank. Schön kalt das Zeug. Es war ein Corona. Wenn es kühl war, war es trinkbar.

      Als der Kellner den Whisky servierte, fragte er ihn nach dem Mädchen.

      „Sie hat Kunden. Sie ist im VIP Room“, raunte er.

      Er stellte das Glas ab. Jep nahm es in die Hand. Schön schütteln. Das Eis mit dem Bourbon vermischen. Er trank einen Schluck.

      Nachdem er am Morgen den Schwarzen voll erwischt hatte, war er aufgekratzt. Das baute auf. Sugar Hernandez würde er stellen und fällen. Er war noch zu langsam. An der Schnelligkeit musste er arbeiten. Noch nie hatte er Angst, wenn er den Ring gestiegen war. Sobald er im Ring war, mutierte er zur Kampfmaschine. Wer war Sugar?

      Jep war sauer auf ihn. Der Mexikaner war ein Sprücheklopfer: Der Champ sei ein alter Mann, seine Zeit sei vorbei, hieß aus Kreisen von Sugar.

      Gott, jeder war Biomasse. Jeder Körper veränderte sich. Aber wenn er von der Bühne ging, das würde er selbst entscheiden. Nicht ein mexikanischer Lümmel.

      Er redete in Gedanken mit sich selbst. Zwiesprache. Blöde, musste sie einen Freier haben?

      Er dachte über Liebe nach: Liebe kann zur Falle werden.