Arik Steen

Serva II


Скачать книгу

Hauptmann der Garnison in Laros starrte in Richtung Anhöhe. Gemeinsam mit einem Unteroffizier stand er auf dem einzigen Wachturm.

      Dort oben vermutete er den Feind. Noch hatte er sich nicht in Stellung gebracht. Aber es war nur eine Frage der Zeit. Und dann würde Laros überrannt werden.

      Seine Familie war längst weg. Er war nicht verheiratet, aber er hatte Eltern, eine Tante und einen Bruder. Sie waren schon los. Aufgebrochen Richtung Norden. Er würde sie nie wiedersehen, dessen war er sich bewusst. Er, der Befehlshaber der Truppen in Laros, würde heute sterben.

      «Wir haben das Problem, dass nicht alle gehen wollen!», meinte der Unteroffizier.

      Der Hauptmann der Garnison schaute seinen Untergebenen irritiert an: «Was? Aber ... wir werden förmlich überrannt werden! Das muss allen klar sein!»

      «Manche wissen das. Andere wollen es nicht wahrhaben. Unsere Stadt ist in einem Ausnahmezustand! Ich kann sie ja wohl schwer mit Peitschen aus den Häusern treiben!»

      Der Hauptmann drehte sich um und blickte über die Dächer von Laros. Vor seinem inneren Auge sah er die Häuser bereits in Flammen aufgehen. Die Nehataner waren ein grausames Volk. Ja, es gab überall Gute und Böse. Aber das Volk der Nehataner hatte eine grausame Seele, die ihren König wiederspiegelte. Und nun zog das Böse wie eine dunkle Wolke über Pravin.

      Er konnte nichts tun. Wer in seinem Haus bleiben wollte, der musste eben mit dem Schicksal zurechtkommen. Er musste damit rechnen getötet oder versklavt zu werden. Vermutlich war Ersteres deutlich angenehmer.

      Der Blick des Hauptmanns ging zum Stadtrand, wo seine eigenen Einheiten Stellung bezogen. Zweihundert Mann befehligte er hier. Ängstliche Männer, die den Tod vor Augen hatten. Ihre Familien mussten sie ziehen lassen. Die konnten vorerst noch fliehen. Sie selbst aber würden sich dem Feind entgegenstellen müssen. Und der Hauptmann wusste, dass sich in jedem dieser Soldaten innerlich die Hölle offenbarte.

      Der Hauptmann starrte nun Richtung Norden. Direkt in die Stadt. Einige Bürger schienen es sich überlegt zu haben und flohen nun doch. Andere verbarrikadierten ihre Häuser. Als ob das irgendetwas brachte. Das war kein Sturm, der hier auf sie zukam, sondern eine mordende Horde von Männern. Und sie würden keine Gnade finden. Das einzige Sinnvolle für jeden Bürger war die Flucht. Er würde mit seinen Soldaten versuchen Zeit zu schinden. Selbst wenn sie kaum eine Chance hatten und es ein kurzer Kampf werden würde, so würde es doch den Angriffsschwung massiv eindämmen. Die Nehataner würden hier in der Stadt nicht nur ihren Sieg feiern, sondern auch ihre Wunden lecken.

      «Steh uns bei, Regnator. Gott der Götter. In dieser schweren Stunde und an diesem finsteren Tag!», murmelte er: «Bellumus, du Gott des Krieges. Gib meinen Männern die Kraft und den Mut sich dem Feind entgegen zu stellen!»

      «Von wo aus werden sie angreifen!», meinte der Unteroffizier und unterbrach die Worte des Hauptmanns, die an die Götter gerichtet waren.

      «Was?», fragte der Befehlshaber der Garnison.

      «Von wo werden sie angreifen?»

      «Sicherlich vom Hügel aus!», murmelte der Hauptmann: «Lasst die Schützen auf den Dächern Stellung beziehen. Aber so, dass sie möglichst nicht gesehen werden! Sie sollen sich bedeckt halten und erst zum Vorschein treten, wenn wir es befehlen!»

      «Gut!», sagte der Unteroffizier.

      Es war vollkommen egal, ob Chantico als Feldherr erfolgreich den Küstenstreifen der Pravin einnehmen würde oder nicht. Sein Bruder würde in ihm niemals mehr sehen als ein Werkzeug. Sobald die Pravin südlich der großen Wüste besiegt waren, würde er weiterziehen müssen. Richtung Shivas. Und irgendwann würde er dort den Tod finden. Die Nehataner hatten keine Chance gegen die Shiva im Norden. Nicht einmal die Geringste. Er schaute Richtung Norden, wo man zahlreiche Menschen sah, die Laros verließen.

      «Sie fliehen. Sie fliehen wie Lämmer vor den Wölfen!», grinste Mixtli: «Das wird ein großartiger Sieg und stärkt die Moral der Truppe!»

      Chantico nickte stumm. Ja, sie würden die Garnison der Stadt besiegen. Vermutlich ohne Probleme. Aber das, was dann kam, das machte Chantico Angst. In der Zwischenzeit bereute er, dass er sich zum Feldherrn hatte machen lassen.

      «Ihr sagt gar nichts, Feldherr?», fragte Mixtli.

      «Glaubt Ihr ernsthaft, dass das ein großer Sieg werden wird»?», fragte Chantico.

      Mixtli grinste noch immer: «Natürlich nicht. Aber ein Sieg ist ein Sieg.»

      «Wie sieht unsere Strategie aus?», der Feldherr ließ seinen Blick über die Stadt unter sich schweifen. Er wusste, dass er der Oberbefehlshaber war, aber im Grunde sein Feldmarschall derjenige war, der die Entscheidungen traf. Allerdings waren beide nicht kriegserfahren. Und für beide war es schwer einzuschätzen, welche Möglichkeiten es gab.

      Mixtli zeigte auf die verteidigenden Truppen, die langsam, aber sicher, Stellung bezogen. Es waren in etwa einhundertfünfzig Schwertkämpfer.

      «Wir marschieren mit fünf Kompanien von Schwertkämpfern auf. Und zwar unten durch das Tal. Sie sollen auf hundert Meter an den Feind ran und dann Stellung beziehen. Die Bogenschützen rücken nach. Dann beginnen wir die ersten Salven abzufeuern. Das wird den Feind auseinandertreiben. Sobald Chaos ausgebrochen ist, rücken die Schwertkämpfer vor und machen kurzen Prozess.

      «Warum gleich fünf Kompanien? Das sind fünfhundert Schwertkämpfer gegenüber einhundertfünfzig auf der Seite der Pravin!»

      «Feldherr. Wir müssen als Angreifer ein größeres Verhältnis haben.»

      «Aber fünfhundert Mann?», fragte Chantico. Er zweifelte, aber meinte dann doch: «Ihr habt recht. Wir machen es so.» Er wusste, dass es keinen Sinn machte zu diskutieren. Sie waren im Krieg. Er fühlte sich wie ein Schuljunge an seinem ersten Schultag.

      «Von wo aus wollt Ihr führen?», fragte Mixtli.

      «Können wir nicht von hier oben aus das Schlachtfeld im Blick behalten?», fragte Chantico. Und wieder hörte es sich an, als wäre er ein kleiner Junge.

      «Wie feige wäre das?», fragte Mixtli: «Nein. Wir sollten direkt hinter den Schwertkämpfern stehen. Zu Pferde!»

      Chantico nickte: «In Ordnung!» Er hatte keine eigene Meinung. Aber im Grunde verstand er nicht, warum Mixtli nicht die sichere Anhöhe nutzte.

      «Jara, komm her!», befahl Mixtli.

      Das junge Mädchen aus der ersten Siedlung, die sie eingenommen hatten, war gut zehn Meter hinter ihm gestanden. Sie hatte dort mit dem Pferd des Feldmarschalls gewartet. Ihre wohl einzige sinnvolle Bezugsperson. Immer wieder streichelte sie das Fell des Tieres. Ein Pferd, das dem wohl schlechtesten Mann gehörte, den sie kannte. Sie gehorchte und ging zu ihrem Herrn und Meister: «Mein Herr?»

      «Seht Ihr, wie brav sie ist?», grinste Mixtli in Richtung Chantico. Dann wand er sich an Jara: «Bring mir mein Pferd!»

      Sie ging stumm wieder zurück zu dem schönen weißen Hengst.

      «Was soll das mit der Kleinen?», fragte Chantico: «Warum nehmen wir dieses Kind mit?»

      «Weil sie mir gehört, Feldherr!»

      «Ach ja? Sie gehört dem König!»

      «Oh ...», grinste der Feldmarschall: «Ich denke nicht, dass Euer Bruder etwas dagegen hat, wenn ich sie mir zu Willen mache. Sie ist mir eine wertvolle Hilfe!»

      «Sie ist lästig wie ein Insekt!», sagte Chantico: «Und sie stört nur!»

      «Sie ist so süß. Ihr habt auch noch keine Kinder, oder?»

      Der Feldherr schüttelte den Kopf: «Nein. Und wenn ich Kinder hätte, ich würde sie nie in Eure Nähe lassen!»

      «Ach ja, ich vergaß. Ihr seid ja ein warmer Bruder. Im Bauch eines Schwulen wächst kein neues Leben ...»

      «Fahrt zur Hölle!», meinte Chantico und ging dann zu seinem Pferd.

      2