Nestwärme, die sie uns allen angedeihen ließ, waren das Größte!
Als wir fünf Wochen alt waren, verließ Mama Lisa nachmittags unsere Höhle. Doch diesmal wurde es Abend und sie zeigte sich immer noch nicht. Während wir kleinen Fellknäule aneinander gekuschelt zusammen lagen, warteten wir vergeblich auf ihre Rückkehr. So sehr wir sie auch zu uns wünschten und nach ihr riefen – sie kam nicht. Wir vermissten ihre so wohlige Wärme und ihren beruhigenden Herzschlag in dieser ersten Nacht. Wir kuschelten uns ganz eng aneinander und brauchten uns mehr denn je, in diesem Moment, in dieser Situation. In eine Ecke gedrängt lagen wir fast unbeweglich da. Nur unsere Atembewegung verriet, dass WIR noch am Leben waren. Die Höhle war noch viel zu groß für uns allein! Unsere Mama Lisa hatte meistens mit dem Kopf nach draußen gelegen, und so war die Höhle und der Schutz ihres Körpers zu unserem „Heim des Vertrauens“ geworden. Eine von uns geglaubte sichere Welt brach in jenem Augenblick ihres Verschwindens für uns alle zusammen. Traurig schliefen wir ein.
Auch der nächste Morgen erwachte ohne ein Lebenszeichen von ihr. Für sie hatte sich überraschend ein Kreis geschlossen, denn sie war mit einer anderen Absicht von uns gegangen. Für uns öffnete sich damit ein neuer Kreis und wir waren ab sofort auf fremde Hilfe von außen angewiesen. Einer Hilfe, deren Vertrauen noch nicht vollständig aufgebaut war und die sich auf einem wackligen Fundament bewegte. Vorstellungen, Lernprozesse und Erziehungsmethoden, die für eine Katzenmutter bei der Erziehung zur Selbstverständlichkeit gehörten, wurden nun in die Hände von Menschen gelegt. Der Grundstein eines neuen Verlaufes, der für uns alle zu einer großen Herausforderung werden sollte, hatte seinen Anfang genommen. Unsere Mutter hatte unbeabsichtigt und endgültig jene Aufgaben, die für unsere aller Entwicklung notwendig waren, aus ihren Pfoten gegeben.
DIE FAMILIE
Wir wohnten bei einer Menschenfamilie, die aus zwei Erwachsenen und drei Kindern bestand. Ein Sohn von 8 Jahren und zwei Töchtern von 6 und knapp 4 Jahren. Dann gab es zwei Rennmäuse im Haus, die des Nachts ganz schön aktiv waren. Und draußen campierten außerdem noch drei Häschen. Meine bzw. unsere Großmutter mütterlicherseits lebte ebenfalls hier. Die Familie war offensichtlich sehr tierlieb.
Die Großmutter mit Namen PÜNKTCHEN war bunt gescheckt: rot und graugetigert mit viel weiß, also dreifarbig und eine sogenannte ``Glückskatze``. Sie konnte uns alle nicht leiden, nicht einmal ihre eigene Tochter! Sie wollte einfach nichts von uns wissen und fauchte uns sogar an! Es kam soweit, dass die Menschen-Familienmutter meiner Mutter und der Großmutter unterschiedliche Ausgänge und Futterplätze zuweisen musste. Zugegebener Weise hätte ich meine Großmutter gerne näher kennengelernt, denn sie hatte einen „Tick“, den ich nur kurze Zeit später, in einer etwas abgewandelten Form übernehmen sollte. Und von der Ahnengeschichte her betrachtet, wäre es bestimmt interessant gewesen zu erfahren, welch ungelöster Konflikt dahinter steckte und wie weit dieser zurücklag. Irgendwann aber hatte Großmutter wahrscheinlich die Nase so voll von uns, dass sie das Weite suchte und schließlich für immer verschwand. Man sah sie hier und da noch mal, aber nach Hause kam sie nicht mehr zurück.
Es war immer etwas los bei unserer Menschenfamilie, besonders bei den Kindern. Diese hatten fast täglich Besuch von anderen Kindern, die natürlich auch unseretwegen kamen. Manchmal wurde es mir wirklich zu viel, weil sie nicht immer zaghaft mit uns umgingen. Manche Kinder waren harmlos, andere hingegen trieben es hin und wieder ein wenig zu weit! Sie waren grob und hatten keinerlei Feingefühl. Das hatte natürlich auch mit ihrem Alter zu tun, aber trotzdem riss mir ein Kind fast den Arm heraus, so fest zog und ruderte es an meinem Pfötchen. Ein anderes legte mir sein kleines Patschhändchen um den Hals und hob mich hoch – es hätte mich fast erhängt! Ganz zu schweigen von dem Lärm, den sie jedes Mal machten, mit ihren feinen Stimmchen! In dem Haus, das wir mit bewohnen durften, war uns ein bestimmter Raum zugeteilt. In diesem stand nicht viel Mobiliar, so dass uns der Hall in den Ohren manchmal unerträglich wurde. Katzen haben bekanntlich ein sehr feines Gehör! Wir waren diesen Prozeduren so lange ausgesetzt, bis die Menschenmutter Erbarmen mit uns hatte und eingriff, um uns von diesen kleinen Quälgeistern zu befreien. Nun konnten wir uns bis zum nächsten Angriff der Kleinen erst einmal erholen.
Unsere Unterkunft war ein separater kleiner Wintergarten von etwa acht Quadratmetern. Hier wurde unsere Mutter und später auch wir von den Menschen gefüttert. Mama Lisa hatte zu ihren Lebzeiten direkten Zugang zum Garten, wenn sie mal musste oder Lust und Appetit auf Mäuschen hatte. Tür und Rollladen waren so eingestellt, dass sie rein und raus gehen konnte. Wir waren noch zu klein, um ihr zu folgen, also bestand keine Gefahr, dass wir wegliefen. Dies war also unser kleines Reich, in dem der darin stehende Kratzbaum unseren Lebensmittelpunkt ausmachte, weil uns seine Höhle unbeschreiblichen Frieden und Geborgenheit schenkte. Waren Kinder anwesend, wurde es ganz schön eng in unserer Unterkunft. Weglaufen oder verstecken war undenkbar; sie waren immer schneller! Ein Schnapp und sie hatten uns in ihren Fängen. Wir waren ihnen gewissermaßen hilflos ausgeliefert. Auch Mama Lisa hatte wenig Einfluss darauf, uns vor ihnen zu schützen. Also stellten wir uns diesen Herausforderungen und machten das Beste daraus, sahen das Ganze positiv und übten uns in Toleranz und Loyalität. Eigentlich waren sie ja manchmal auch ganz süß, die kleinen Menschenkinder. Sie waren genauso verspielt wie wir – nur für uns leider eine Nummer zu groß.
In das danebenliegende Wohnzimmer, das durch eine Glasschiebetür abgetrennt war, durften wir nur selten und wenn nur unter Aufsicht der Menschen. Dieses Wohnzimmer war größer als unser Raum und man konnte sich wunderbar verkriechen. Hier waren wir vor den Kindern sicher und freiwillig kamen wir sicherlich nicht mehr aus unseren Verstecken heraus.
Seit wir eine Woche alt waren, besuchte uns regelmäßig ein großer weiblicher Mensch, jede Woche ein Mal. Ihr reichte es, uns einfach nur beim Spielen oder Toben zu beobachten. Sanft und behutsam nahm sie auch schon mal einen von uns in die Hand und streichelte uns, während sie jedem von uns liebe Worte zuflüsterte. Sie lernte auch noch unsere Mutter Lisa kennen und gab ihr zu verstehen, welch bezaubernde Babies sie doch habe. Wir hatten das Glück, dass sie es war, die in der Woche, in der unsere Familie Urlaub machte, nach uns schaute und Mama Lisa, Großmutter Pünktchen und die anderen Tiere versorgte. Wir fanden sehr schnell Vertrauen zu ihr, denn sie schenkte uns viel von ihrer Zeit. Zwei Mal brachte sie jemanden aus ihrer Familie mit, dem sie uns mal vorstellen wollte. Ein Mal war es ihr Junge, das nächste Mal ihr männlicher Partner. Alle waren ausgesprochen freundlich und nett. Zu dem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass ich einmal mehr mit ihnen zu tun haben würde.
UNSERE ENTWICKLUNG
Nachdem wir unsere neugewonnene Erfahrung wie Sehen, Hören, Laufen, Spielen, … erleben durften und gleichzeitig den tragischen Verlust unserer über alles geliebten Mutter zu verarbeiten hatten, ging es mit unserer Weiterentwicklung stetig vorwärts. Ich erkannte, dass sich in jedem Verlust auch eine Gelegenheit verbirgt. Wie aus dem Nichts heraus tauchte eine neue Tür auf, die es galt behutsam, neugierig und entschlossen zu öffnen. Dadurch eröffneten sich uns Horizonte und Wege, die wir zuvor noch nicht bereit gewesen waren freiwillig zu wählen. Obwohl ich sehr traurig war, gewann ich großes Vertrauen zu den Menschen. Sie fingen uns auf mit ihrer Tierliebe, boten uns Schutz und gaben uns die nötige Zuwendung. Wir erfuhren von ihnen, was mit unserer Mutter geschehen war. Für ihren kleinen Ausflug hatte sie sich für eine gefährliche Variante entschieden und sich wahrscheinlich gerade auf dem Rückweg zu uns befunden. Dazu musste sie eine viel befahrenen Bundesstraße überqueren. Wie es das Schicksal so wollte, wurde sie dabei von einem Auto erfasst, welches ihr das Leben und uns die Mutter nahm. Damit hatte so früh keiner gerechnet, doch das Leben ging weiter, wie man so schön sagt. Wir Geschwister hatten uns und die Menschen, die wirklich alles gaben, damit es uns gut ging. Neben der Muttermilch hatten wir schon vorsichtig mit festen Nahrungsversuchen begonnen. Trotzdem brauchten wir für den Übergang eine Ersatzmuttermilch. Das erledigte der Menschenvater, denn er war zu dieser Zeit mit uns alleine. Seine Familie machte Urlaub mit den Großeltern. Liebevoll rührte er uns täglich mehrmals die Ersatzmilch an und stellte sie uns zum Essen bereit. Das war zwar kein Vergleich zu Mutters Milch, aber es war in Ordnung. Außerdem bekamen wir diese Milch nur etwa zwei Wochen lang – und das war zu verkraften. Diese Zeit der fürsorglichen Zuwendung seitens