Michael Schenk

Die Pferdelords 11 - Die Schmieden von Rumak


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Gesicht des kleinwüchsigen Gardekommandeurs Daik ta Enderos wirkte unbewegt. Nur das leichte Wippen auf den Fersen verriet seine zunehmende Ungeduld. Gelegentlich strich er sich über den schmalen Oberlippenbart und sein Blick haftete fest auf der Gestalt des Magiers. Ohne seine Rüstung wirkte ta Enderos ebenso wenig beeindruckend wie der König, aber seine Tapferkeit und Klugheit waren allgemein anerkannt. Er war bei den Gardetruppen geachtet und beliebt und, zum Bedauern einiger Hochgeborener des alnoischen Adels, ein unbestechlicher Freund und Verbündeter des Königs. Im Augenblick trug er eine schlichte Tunika, die, der Mode entsprechend, bis zur Mitte der Oberschenkel reichte. Die wadenlangen Beinkleider darunter konnten die ausgeprägten O-Beine nicht verbergen. Ta Enderos war ein leidenschaftlicher Reiter und hatte den größten Teil seines Lebens im Sattel verbracht.

      „Nun?“

      Die Frage kam von einem Mann, der in einigen Schritten Entfernung stand und dem die Nähe des Magiers sichtlich unangenehm war. Welbur ta Andarat war nicht nur ein Hochgeborener des Reiches, Mitglied des Kronrates und Verwalter der Schatzkammer, sondern auch ein ungewöhnlich gut aussehender Mann. Er hätte jederzeit für ein Kriegerdenkmal Modell stehen können, doch er kämpfte lieber mit Worten, als mit der Klinge. Er galt als Weiberheld und tat vieles, um diesen zweifelhaften Ruf zu nähren. Unbestritten hatte er Verbindungen zu den verschiedensten Kreisen der alnoischen Gesellschaft und gehörte zu jenen Ratsmitgliedern, die dem König und der Garde, im übertragenen Sinne, gerne Knüppel zwischen die Beine warfen.

      Marnalf bewegte sich und strich sich nachdenklich über das Kinn. „Ich vermag nicht zu sagen, was es mit den Feuerbällen auf sich haben könnte. Jedoch scheinen sie mir nicht magischen Ursprungs zu sein. Kein Flammzauber wäre mächtig genug, sie zu erzeugen. Kein Wuchtzauber stark genug, sie über große Entfernung zu schleudern. Dennoch steht für mich außer Zweifel, dass sie kein natürliches Ereignis sind.“

      „Ah, wahrhaftig? Zu dieser Erkenntnis gelangten wir ebenfalls“, sagte Welbur mit leichtem Spott in der Stimme und ignorierte die ärgerlichen Blicke des Königs und des Gardekommandeurs. „Dafür brauchen wir keinen Grauen Magier.“

      „Marnalf ist Gast des Reiches und aufgrund meiner persönlichen Bitte zugegen“, wies ihn der König mit scharfer Stimme zurecht. „Es gebührt Euch nicht, dies infrage zu stellen, Welbur ta Andarat.“

      Der Adlige zog ein feines Tuch aus der Tunika und betupfte sich geziert die Mundwinkel. „Eine Kritik am Gast Seiner Majestät lag mir fern“, versicherte er. „Ich wollte nur zum Ausdruck bringen, dass ich mir von der Anwesenheit des Grauen Wesens mehr erhofft hatte.“

      Marnalf wandte sich nun endgültig von der prächtigen Aussicht ab und betrat den Raum, den der König oft nutzte, um sich auf die Sitzungen des Kronrats vorzubereiten. Da sich dieses Refugium hoch oben in der Spitze des Königsturms befand, hatte es den Grundriss eines perfekten Halbkreises. Die Rundung folgte der Außenwand, hinter der geraden Seite lagen ein Ruheraum und das Treppenhaus. Dort befand sich, neben der endlos erscheinenden Treppe, auch eine Aufzugsplattform, die mithilfe einer Seilwinde und einer Dampfmaschine betrieben wurde.

      Die gesamte Längswand wurde von einer Karte des Reiches eingenommen. Dazu hatte man das Mauerwerk sorgfältig mit Holz vertäfelt und dieses dann farbig bemalt. Tür und Rahmen waren darin einbezogen. Eine ähnliche Karte war in den Boden des Versammlungsraums des Kronrates eingelassen, doch diese hier war weitaus detaillierter. Sie wies Markierungen und handschriftliche Anmerkungen des Königs auf. An etlichen Stellen steckten lange Nägel, an die verschiedenfarbige Stoffstreifen geknotet waren.

      Entlang der Außenwand standen Regale mit den unvermeidlichen Schriftrollen und Büchern, unterbrochen von den großen Fensteröffnungen und Balkontüren. Der Schreibtisch hatte die ungewöhnliche Form eines Hufeisens, mit einem gepolsterten Stuhl innerhalb der Rundung und drei anderen außerhalb. Bedienstete hatten Speisen und Erfrischungen auf der Tischplatte abgestellt, die aus poliertem weißem Stein gefertigt war.

      Der graue Magier schritt zu der Kartenwand und sah dann Daik ta Enderos an. „Die Berichte aus den Provinzen Eures Reiches sind zuverlässig?“

      „Es sind Berichte der Garde“, erwiderte der Gardekommandeur mit einem Unterton der Empörung. „Selbstverständlich sind sie zuverlässig.“ Ta Enderos schob ein Tablett zur Seite und zog einen kleinen Stapel Papier hervor. „Wir wissen von acht Feuerbällen, die glücklicherweise nur wenig Schaden angerichtet haben. Ich habe die Einschlagstellen auf der Karte markiert.“ Er deutete hinüber. „Es sind die Nägel mit den roten Tuchstreifen. Wir verwenden rote Farbe als Gefahrenzeichen, da sie der Farbe des Blutes entspricht.“

      Marnalf nickte. „Ich will die Berichte keineswegs in Zweifel ziehen. Doch seid so gut und lasst uns die Karte nochmals markieren.“

      „Wozu das?“, knurrte Welbur. Er schenkte sich einen Becher Wein ein. „Die Markierungen sind sicherlich an den richtigen Stellen.“

      „Wie ich soeben erwähnte, ziehe ich das nicht in Zweifel“, erwiderte der Magier mit sanfter Stimme. „Das Muster scheint zufällig, und doch ist etwas daran, was mich irritiert. Ich möchte die Nägel erneut setzen, und zwar in der Reihenfolge, in der die Feuerbälle erschienen sind.“

      Daik ta Enderos nickte. „Ich verstehe Eure Absicht, Hoher Herr Marnalf. Doch diesbezüglich sind die Berichte nicht so zuverlässig, wie ich es mir wünschen würde. Einige Einschläge wurden nicht direkt beobachtet, sondern erst nach Tageswenden entdeckt. Es mag also sein, dass die zeitliche Reihenfolge nicht ganz korrekt ist.“

      „Dennoch wird es hilfreich sein, um sich ein näheres Bild zu machen.“ Marnalf blickte die Karte an und konzentrierte sich kurz.

      Die drei Alnoer bemühten sich ihre Fassung zu bewahren, als sich die Nägel mit den roten Markierungen aus der Karte lösten und, wie von Geisterhand bewegt, zum Tisch hinüberglitten, wo sie sich vor Daik ta Enderos aufreihten und scheinbar schwerelos in der Luft hingen.

      Der Gardekommandeur warf Marnalf einen abwägenden Blick zu, ergriff die Markierungen ohne Zögern und trat zur Karte. Er hatte die Fakten im Gedächtnis und brauchte nicht auf die Berichte zu blicken. „Der erste Einschlag wurde hier bemerkt“, sagte er und steckte eine Markierung in die Karte. „Der Zweite erfolgte an dieser Stelle.“

      Bei drei Feuerbällen konnten sie sich in der zeitlichen Reihenfolge nicht sicher sein, doch es wurde offensichtlich, worauf der Magier abzielte.

      „Sie wandern über die Karte“, murmelte Welbur ta Andarat überrascht und tupfte sich den Mund. „Ungefähr von der Mitte der Ostprovinz auf die Hauptprovinz zu.“

      „Und sie nähern sich dabei eurer Hauptstadt Alneris“, fügte Marnalf ernst hinzu. „Als werfe jemand Geschosse und versuche damit diese Stadt zu treffen.“

      „Solche Geschosse gibt es nicht“, knurrte der Gardekommandeur. „Und schon gar keine Waffe, mit der man sie werfen könnte. Nicht so große Geschosse und nicht so weit.“

      „Nein, so große Dampfkanonen gibt es nicht“, meinte nun auch Welbur ta Andarat, dem die Betroffenheit ins Gesicht geschrieben stand. „Und ich kann mir nicht vorstellen, dass die Orks so große Kanonen und genügend Berstpulver besitzen.“

      „Nein, Berstpulver wäre dazu niemals in der Lage. Aber die Einschläge der Feuerbälle nähern sich unzweifelhaft eurer Stadt“, bekräftigte Marnalf. „Und sie kommen in verhältnismäßig regelmäßigen zeitlichen Abständen, soweit wir dies beurteilen können. Ich glaube nicht, dass es sich um ein natürliches Phänomen handelt. Das ist ein wichtiger Hinweis.“

      „Ein Hinweis? Inwiefern?“

      „Die Feuerbälle kommen aus dem Osten, aus dem Reich des Schwarzen Lords. Ich bin davon überzeugt, dass sie von dort geworfen werden, obwohl ich nicht weiß, welcher Zauber das bewirken könnte. Auch wenn ich selbst ein Magier bin, so mag es doch Kräfte geben, die mir verborgen sind“, räumte Marnalf ein. „Nun, der zeitliche Abstand zwischen den Feuerbällen scheint mir Beweis dafür zu sein, dass diese Objekte mit der Absicht erscheinen, eurer Stadt Schaden zuzufügen. Gehen wir also davon aus, dass es so ist, dann bedeutet dies, dass derjenige, der die Feuerbälle wirft, Informationen darüber