Michael Schenk

Die Pferdelords 11 - Die Schmieden von Rumak


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mehr Sorge, als die reine Masse orkscher Legionen.“

      „Ich verstehe sehr wohl, was du meinst. Sie sind Menschen, und als solche werden sie mit ebensolcher Tapferkeit und ebensolchem Einfallsreichtum kämpfen wie ihr Pferdelords.“ Llaranya leckte sich über die vollen Lippen. „Das ist der Grund, warum wir Elfen euch Menschen immer ein wenig gefürchtet haben. Ihr seid so kurzlebig und zugleich so wissbegierig, passt euch den Dingen so viel schneller an, als es dem elfischen Volk jemals möglich war. Vielleicht ist es die relative Unsterblichkeit, die uns im Lernen träge macht“, fügte sie mit einem Seufzer hinzu. „Oh, wir verfügen über ungeheures Wissen, Nedeam, das weißt du wohl, doch wir bemerken auch, wie rasch ihr Menschen eigene Kenntnisse erlangt. Es mag die Tageswende kommen, zu der ihr euch unserem Wissen annähert. Andererseits sind da euer unstetes Wesen, eure Habgier und eure Missgunst. Wahrscheinlich würdet ihr euch gegenseitig vernichten, bevor ihr zu Erkenntnis gelangt. Ja, Nedeam, mein geliebter Mann, ich kann dein Unbehagen bezüglich der Rumaki verstehen. Sie sind wie alle Menschen, und das macht sie gefährlich.“

      Unter ihnen, in der offenen Bodenluke der Plattform, war ein leichtes Hüsteln zu vernehmen. Der Helm eines Schwertmannes wurde sichtbar, und sein Gesicht und seine Stimme verrieten gleichermaßen Sorge. „Verzeiht, Hoher Lord und Hohe Dame, ich will euch nicht beunruhigen, doch unser aller Augenstern hüpft auf der Ostmauer über die Zinnen.“

      Nedeam und Llaranya fuhren herum, und für einen Moment stand Erschrecken in ihren Gesichtern. „Neliana?“

      „Ah, wahrhaftig“, stieß der Schwertmann hastig hervor, und man sah ihm die Verlegenheit an. „Wir haben die Kleine gut im Auge behalten, doch sie ist flink wie ein Elf. Bevor wir uns versahen, sprang sie auf die Zinnen und keiner von uns rechnete damit.“

      „Sie ist ein Elf“, erwiderte Llaranya eher unbewusst und machte sich an den Abstieg.

      „Wenigstens ein halber“, korrigierte Nedeam und folgte ihr rasch.

      Wachen und Bedienstete wichen dem besorgten Fürstenpaar aus, welches durch den Flur des Obergeschosses lief und dann auf den hölzernen Übergang hinauseilte, der das Haupthaus der Festung mit deren Ostmauer verband.

      Neliana.

      Die relative Unsterblichkeit des elfischen Volkes hatte zur Folge, dass es nur selten das Glück einer Geburt gab. Nedeam und Llaranya war es zuteilgeworden, und vor knapp zwei Jahren war ihre Tochter Neliana zur Welt gekommen. Ein kleines Mädchen mit dem tiefschwarzen Haar der Mutter, den strahlend blauen Augen des Vaters und den typischen spitzen Ohren des elfischen Volkes. Die Kleine war der ganze Stolz ihrer Eltern, und das elfische Wort für „Augenstern“ bezeichnete sehr treffend den Liebreiz, den Neliana ausstrahlte. Es gab kaum jemanden, der das kleine Mädchen nicht sofort ins Herz geschlossen hätte. Als Säugling hatte sie gelegentlich die Nacht zum Tage gemacht, wenn ihre kräftige Stimme nach Nahrung oder Zuwendung verlangte. Doch auch die hartgesottensten Schwertmänner hatten keinerlei Groll gehegt, wenn ihre Nachtruhe gestört wurde, und das, obwohl das Geschrei Nelianas wohl bis in den letzten Winkel der Burg gedrungen war.

      Das Kind verfügte über einen natürlichen Charme und ein derart strahlendes Lächeln, dass es die Herzen der Burgbewohner im Sturm erobert hatte. Vor allem die der Kämpfer der Hochmark, die in ihrer Freizeit ganz neue Beschäftigungen und Talente entdeckten. Eine Unmenge an Tieren war, mit mehr oder minder großem Geschick, geschnitzt worden, und man sah der Kleinen gerne jene Dinge nach, welche ihre Entdeckungsreisen durch die Festung begleiteten. Manches ging zu Bruch, manches wurde beschmutzt, aber oft genug konnten die Erwachsenen ihr Lachen nur mühsam unterdrücken, wenn Neliana ihre Welt mit konzentriertem Gesichtsausdruck erkundete. Einzig die beiden Köche der Festung zogen manchmal finstere Mienen, denn Llaranya achtete ihrer Meinung nach viel zu genau darauf, dass man ihrer Kleinen nicht zu viele Leckereien zusteckte.

      Nedeam und Llaranya fanden nicht immer die Zeit, das Mädchen im Auge zu behalten, doch sie sorgten sich nicht, wenn es die Winkel von Eternas erforschte. Wenigstens einer der Schwertmänner war stets in der Nähe und achtete darauf, dass Neliana kein Leid geschah. Sie war ein aufgewecktes und fröhliches Kind, und gelegentlich entwischte sie ihren Beschützern, weil sie das Versteckspiel liebte.

      Diesmal hatte Neliana beschlossen, die Ostmauer zu erkunden. Natürlich kannte sie längst jeden Stein, der darin verbaut war, doch gerade diese Mauer übte eine merkwürdige Faszination auf das Mädchen aus. Möglicherweise weil man von hier den Wald der Hochmark mit seinen Wildtieren und dem elfischen Haus der Geschwister Lotaras und Leoryn sah. Zumindest, wenn man groß genug war, um zwischen den Zinnen hindurchzublicken. So sehr sich das kleine Mädchen auch auf die Zehenspitzen stellen mochte, den Ausblick konnte es bislang nur genießen, wenn einer der Erwachsenen es auf den Arm nahm. An diesem Tag hatte Neliana offensichtlich beschlossen, dass es an der Zeit war, die Zinnen auf eigenen Füßen zu überschauen. Der Schwertmann der Wache, der sie beaufsichtigte, hatte eher darauf geachtet, dass sie nicht vom Wehrgang in den Hof hinabstürzte, und war völlig überrascht worden, als es ihr gelang, sich zwischen den Mauersteinen emporzuziehen. Nun stand sie auf der Außenkante einer Zinne, und ihre Zehen ragten über den Stein hinaus.

      Dies war die Situation, in der Nedeam und Llaranya ihr geliebtes Kind vorfanden. Ein Stück abseits stand der verantwortliche Schwertmann, dem die Angst um das Mädchen im Gesicht stand. Andere waren herbeigeeilt, doch keiner von ihnen wagte es, sich zu nähern, um die Kleine nicht zu erschrecken.

      Nedeam biss sich auf die Lippe. „Ein plötzlicher Windstoß oder ein Schreck, und sie wird über die Mauer in die Tiefe stürzen“, ächzte er. „Wir müssen behutsam vorgehen.“

      „Sie wird nicht fallen“, versuchte Llaranya ihn zu beruhigen. „Sei unbesorgt, mein Liebster, sie ist eine Elfin des Waldes und hat die Reflexe der Elfen.“

      Der Pferdefürst sah sie zweifelnd an. „Ah, und warum sehe ich dann solche Sorge in deinen Augen?“

      „Weil unser Augenstern nur eine halbe Elfin des Waldes ist und möglicherweise ein paar menschliche Eigenschaften des Pferdevolkes geerbt hat“, räumte Llaranya ein. „Jedenfalls hat sie die Abenteuerlust von dir. Ich hoffe nur, sie hat nicht auch deine langsamen Reflexe.“

      „Ich bin nicht langsam“, flüsterte er. „Ich bin nur nicht so schnell wie ein elfisches Wesen. Lass mich vorgehen, sie vertraut meiner Stimme.“

      „Meiner ebenso“, zischte die besorgte Llaranya und hielt Nedeam am Ärmel zurück. „Zudem bin ich schneller als du, wie du ja selbst zugegeben hast. Das könnte hilfreich sein.“

      Der nervöse Schwertmann kam behutsam zu ihnen. „Es war nur ein flüchtiger Moment, Hoher Lord und Hohe Dame. Wahrhaftig, ich würde alles dafür geben, wenn ich es ungeschehen machen könnte.“

      „Noch ist nichts geschehen“, sagte die Elfin leise. „Und es wird auch nichts geschehen. Dazu ist Neliana zu klug und zu geschickt.“

      Nedeam zweifelte weder an der Klugheit, noch an der Geschicklichkeit seiner Tochter, dennoch fühlte er sich keineswegs beruhigt, als Llaranya langsam an die Mauer trat und dabei mit sanfter Stimme sprach. Der Inhalt ihrer Landschaftsbeschreibung war eher unsinnig, doch es kam nur auf den Klang der Stimme an, die das Interesse der Tochter wecken sollte. Eher zögernd wandte sich Neliana vom Anblick des Waldes ab und sah ihre Mutter an. Ein strahlendes Lächeln glitt über ihr Gesicht, und sie streckte Llaranya die Arme entgegen. Dabei drehte sie sich auf den Fersen und schien nach hinten abzurutschen. Ein paar Männer und auch Nedeam stießen instinktiv entsetzte Rufe aus, doch das Kind schien für einen kurzen Augenblick auf den Ballen zu wippen und sprang unvermittelt nach vorne, direkt in die ausgestreckten Arme, die sie sanft und auffingen.

      Nedeam war versucht, einen erleichterten Fluch auszustoßen oder mit Neliana zu schimpfen, doch er wusste, dass er ihr Unrecht getan hätte. Während die Schwertmänner nun aufgeregt durcheinandersprachen und die Wache sich ein paar unfreundliche Worte anhören musste, schloss der Pferdefürst seine beiden Lieben in die Arme.

      „Schöner Wald“, erklärte Neliana mit sichtlichem Stolz. „Und ich habe ganz allein geguckt.“

      „Ja, das hast du, mein Schatz“, bestätigte Nedeam. „Aber das nächste Mal kletterst