Michael Schenk

Die Pferdelords 11 - Die Schmieden von Rumak


Скачать книгу

die Hochmark bestreifte. Nedeam war den Reitern des damaligen Pferdefürsten gefolgt, um diese zu warnen und Hilfe für die Mark zu holen. Das war selbst für einen Knaben des Pferdevolkes eine sehr tapfere Tat gewesen, und zum Dank hatte er den Eid der Pferdelords ablegen dürfen. Seine Fähigkeit und sein Glück im Kampf führten im Verlauf der Jahre dazu, dass er zum Ersten Schwertmann, dem Führer der ständigen Wache des Pferdefürsten, aufstieg. So verließ er das Gehöft und wurde Berufssoldat, eine Entscheidung, die er nie bereute. Er hatte die Pferdelords schon oft unter Garodems Banner in den Kampf geführt, und als ein Nachfolger für Garodem und dessen Gemahlin Larwyn gefunden werden musste, war die einstimmige Wahl auf Nedeam gefallen.

      Nedeam, Pferdefürst der Hochmark des Pferdevolkes.

      Ein Rang, den er sich nie erträumt und ebenso wenig gewünscht hatte, denn er wusste, wie schwer die Verantwortung für das Wohl einer Mark auf den Schultern ihrer Pferdefürsten lastete.

      Er war ein schlanker und nicht sonderlich hochgewachsener Mann, mit dem typischen blonden Haar des Pferdevolkes und blauen Augen, die schon zu viel Grausamkeit und Blut gesehen hatten. Eigentlich war er vierundvierzig Jahre alt, doch wer ihn zum ersten Mal erblickte, hätte ihn auf höchstens Mitte der Zwanzig geschätzt. Auf merkwürdige Weise traf beides zu. Als Nedeam vor vielen Jahren gegen einen bösartigen Grauen Magier des Schwarzen Lords gekämpft und diesen bezwungen hatte, übertrug die Kreatur im Tode unabsichtlich einen Teil ihrer Fähigkeiten auf den Pferdelord. Fähigkeiten, die Fluch und Segen zugleich sein mochten. Nedeams Wunden heilten schneller als gewöhnlich und hinterließen keine Narben, und er verfügte über die Gabe der Aura. Sie ermöglichte es, die Empfindungen anderer Wesen zu erkennen und zu deuten, ob diese feindlich oder freundlich gesonnen waren. Ein Grauer Magier konnte diese Fähigkeit bewusst einsetzen, für Nedeam hingegen war es nicht möglich, sie zu kontrollieren. Manches Mal hatte die Aura ihn vor einer drohenden Gefahr gewarnt, doch ebenso oft ließ sie ihn im Stich.

      Überaus willkommen war dem Pferdefürsten hingegen, dass die Teilverschmelzung mit der sterbenden Kreatur auch ein wenig von ihrer Langlebigkeit auf ihn übertragen hatte. Eine Langlebigkeit, die Nedeam wesentlich langsamer altern ließ, und die entscheidend dazu beigetragen hatte, dass er seine geliebte Elfin Llaranya heiraten konnte. Obwohl sie ihn von Herzen liebte, war sie davor zurückgeschreckt, sich mit einem Sterblichen zu verbinden, denn ein unsterbliches Wesen scheute es, dem Verwelken eines geliebten Menschen hilflos zusehen zu müssen. So hatte die grausame Kreatur auch Gutes bewirkt, und Nedeam und Llaranya waren glücklich miteinander.

      Llaranya war eine Elfin vom Hause Deshay, des Urbaums aller Elfen, und im Gegensatz zu dem sonst bei Elfen üblichen weißblonden Haar, zeigte das ihre sich in seidig schimmerndem Schwarz. Ihre Schönheit war von jenem Ebenmaß, das der Art ihres Volkes entsprach, und sie war gleichermaßen eine liebende Frau, wie auch eine überaus fähige Kriegerin.

      Nedeam und Llaranya hatten an diesem Tag über Belange der Stadt Eternas gesprochen. Nun standen sie auf der Plattform des mächtigen Signalturms der Festung von Eternas und blickten über das weite Tal hinweg. Der Schwertmann der Wache und der Signalposten hatten die vertrauliche Geste bemerkt, mit der sich das Paar an den Händen hielt, und sich diskret zurückgezogen. Die rauen Kämpfer der Hochmark hatten die beiden ins Herz geschlossen und wussten, wie selten die Momente des Glücks waren, die ihnen die Sorge um die Hochmark ließ.

      Es ging auf den Mittag zu, und die Sonne zeigte jede Einzelheit des Tals von Eternas.

      Es erstreckte sich gute fünfundzwanzig Tausendlängen von Osten nach Westen und fast vierzig Tausendlängen von Süden nach Norden. Auch die anderen Täler wiesen eine beachtliche Größe auf, doch das von Eternas war unbestreitbar das größte und fruchtbarste. Am rechten Ufer des Eten erstreckte sich der einzige Wald der Hochmark, links des Flusses lagen die Stadt, die Festung und die Getreidefelder. Auf Letzteren erhoben sich die ersten Getreidehalme, und bald würden sie ein Meer von wogendem Gold bilden. Hier gab es nur wenig Hornvieh, denn der kostbare fruchtbare Boden war dem Korn vorbehalten.

      Stadt und Festung waren am nördlichen Ende des großen Tals erbaut worden und schützten den dortigen Pass. Aus dem einstigen Weiler war eine Siedlung entstanden, die inzwischen fast achttausend Bewohnern ein Heim bot. Damit war sie am Ende ihrer Aufnahmekapazität angelangt, denn die Hochmark durfte nur so viele Menschen aufnehmen, wie sie eigenständig ernähren konnte. Ihre Lage im Gebirge des Noren-Brak bot ihr einen einzigartigen Schutz und war zugleich eine fortwährende Bedrohung. Schon ein Felsrutsch konnte die Handelsrouten der Gebirgspässe unterbrechen und die Mark isolieren.

      Entgegen der üblichen Bauweise des Pferdevolkes waren die Gebäude der Hochmark, aufgrund eines Mangels an Holz, aus Stein errichtet und wiesen bis zu drei Stockwerke auf. Der Handel mit den anderen Marken hatte dazu geführt, dass viele Bewohner die Fassaden nachträglich mit Holz verkleidet hatten. Einige taten dies, weil sie sich der Tradition verbunden fühlten, andere wollten den neuen Wohlstand augenfällig machen. Handelswege und Straßen waren mit Steinplatten gepflastert, unter denen die Rohre des Abwassersystems verliefen. Mehrere Dampfpumpen versorgten die Wasserstellen in der Stadt mit einem steten Strom aus dem Eten.

      Dampf beherrschte das Ostufer von Eternas, denn dort befanden sich die zahlreichen Handwerksbetriebe. Hier wurde Leder gegerbt und Stoff gewebt, hier wurde genäht, geflickt und geschmiedet. Die Produkte der Hochmark genossen einen guten Ruf in den unteren Marken, doch inzwischen wurde viel Handarbeit durch das Hämmern und Sägen von Maschinen abgelöst, und es gab Leute, die sagten, die Qualität leide darunter. Es mochte stimmen oder auch nicht, aber die Pferdelords ließen sich ihre Waffen und Rüstungen nur von Schmiedemeistern fertigen, die sich auf die Kraft der Arme und Geschicklichkeit der Hände verließen.

      Die Stadt und das Tal boten ein bunt wogendes Bild.

      Das Frühlingswetter ließ den Handel aufblühen, da die Wege wieder frei von Eis und Schnee waren. Handelszüge trafen aus den anderen Marken ein oder brachen dorthin auf. Menschen strömten aus den Weilern und von den Gehöften in die Stadt, um ihre Waren anzubieten und jene Dinge zu erstehen, die sie nicht selbst herstellen konnten. Die Stadt wimmelte von bunten Gewändern und hallte wieder von den geschäftigen Stimmen der Bewohner und Besucher.

      Die Festung von Eternas und die Garnison der Schwertmänner wirkten hingegen wie ruhige Inseln. Die alte Burg war längst erweitert worden und verfügte über manche Neuerung, teilweise Folge des Erdbebens, welche die Anlage vor einigen Jahren beschädigt hatte. Auf der Nordmauer, die einst den Pass bewacht hatte, stand eine Batterie schwerer Dampfkanonen. Das ausgebaute Hauptgebäude wurde von einem neuen Signalturm gekrönt, auf dem ein hochmodernes Langauge und die Konstruktion des Signalgerätes installiert waren. Man hatte ein Sprachsystem aus kurzen und langen Lichtblitzen ersonnen, welches Nachrichten über die Kette der Signalstationen bis in den fernsten Winkel des befreundeten Reiches Alnoa tragen konnte und auch Verbindung zur Festung am Nordpass des Eten erlaubte. So war es in kürzester Zeit möglich, auf Gefahren zu reagieren.

      „Endlich Frühjahr“, sagte Llaranya leise. „Auch wenn ich den Winter zu schätzen weiß, im Wald des Urbaums gab es den Wechsel der Jahreszeiten nicht, und so bleiben mir Schnee und Eis doch ungewohnt.“

      „Dieser Winter war besonders lang und kalt“, stimmte Nedeam zu. „Es hat Schäden in der Stadt gegeben, und die Streifen der Schwertmänner berichten, dass auch die Wege und Straßen außerhalb gelitten haben. Vor allem jene, die mit Steinplatten belegt sind, damit die schweren Handelswagen es leichter haben.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ich mag keine steinernen Wege. Ein Pferd muss freien Boden unter den Hufen spüren.“

      „Du sprichst und denkst immer wie ein Pferdelord.“

      „Ich bin ein Pferdelord.“ Er grinste und küsste sie auf die Wange. „Und das werde ich immer sein, so wie du immer eine Elfin des Urbaums sein wirst.“

      „Die beiden Ältesten, die vorhin deinen Amtsraum verließen, wirkten nicht sonderlich beglückt. Bedrücken sie die Schäden, die der Winter in der Stadt verursachte?“

      „Eher der Schaden, den das in ihrem Goldbeutel verursacht.“ Nedeams Gesicht zeigte einen Moment den Unmut, den er empfand. „Der Frost hat viele Wasserleitungen und Rohre der Kanalisation bersten lassen. Nun müssen die Straßen aufgerissen